
[An evil enemy will burn his own nation to the ground to rule over the ashes. African proverb]
Jede und jeder kennt die großen Geschichten und weiß, wie sie ausgehen. Aber je mehr Geschichten es gibt, desto geringer wird ihre Strahlkraft. David war ein Hütejunge, der seinen großen Brüdern, die als Soldaten dienten, den Brotbeutel bringen sollte. Er kam genau im richtigen Moment, als nämlich die Motivation des Heeres angesichts eines übermächtigen Feindes gegen Null ging. Als dann noch der berühmteste Philosoph des Landes zur Kapitulation aufrief, griff der König zum allerletzten Mittel: er versprach demjenigen, der das Monster besiegen würde, seine Tochter zur Frau und das halbe Königreich. Selbstverständlich ist aufzugeben eine Option, aber der Mensch – und auch das Tier – neigt dazu, sein ererbtes oder erworbenes Revier oder Reich erhalten zu wollen. Er greift also zu den gleichen Waffen wie der Angreifer, das Monster. Zwischen den beiden Lösungen, die beide zu einem Gleichgewicht führen, liegt aber noch eine dritte Möglichkeit: die Flucht, die weder ein Aufgeben, denn man nimmt das Erworbene als Tradition mit, noch eine Auseinandersetzung mit Blutvergießen und Tod ist. Oder aber der berühmteste Philosoph des Landes hatte Unrecht: seine Voraussetzung, dass der übermächtige Feind nicht zu schlagen sei, war falsch. Auch der König und Oberbefehlshaber kann Unrecht gehabt haben und die gewählten Waffen waren falsch. In der Geschichte greift David jedenfalls zum Katapult und schießt dem Monster sein einziges Auge aus. Vielleicht ist das sogar die Hauptaussage: das Böse sieht die Welt immer höchst verzerrt, weil es nur ein Auge hat. Es kann die Gegenseite gar nicht sehen. Es sieht nur seine Seite. Ceauşescu und Macbeth bemerkten nicht, warum der Wald auf sie zukommt und Massen in Bukarest sich entfernen. Sie waren auf diesem Auge blind. Putin sah nicht, dass die bestellten und bezahlten Menschen, die im Luschniki-Stadion als Claqueure bereit standen und saßen, mit ihren Handys spielten und lebhaft miteinander schwatzten, denn sie klatschten auf Kommando und mussten demzufolge nicht zuhören. Stattdessen freute er sich, der monströse Staatenlenker im 12.000-€-Mantel aus Italien, dass die Claqueure tatsächlich an den von ihm selbst vorbezeichneten Stellen klatschten und Urrraaa riefen. Inzwischen zeigt sich, dass in dem ungleichen Ringen das kleinere Land gewinnen kann, nicht weil es militärisch, sondern weil es moralisch überlegen ist.
Einer von den Davids des zwanzigsten Jahrhunderts wird leicht vergessen: Polen. Nach einer unsäglich tragischen Geschichte der Teilungen und Vereinnahmungen begann das Jahrhundert nicht nur mit dem ersten Weltkrieg, sondern mit dem missglückten Versuch der Bolschewiki, sich Polen nebenbei zu holen und dem erfolgreichen Eingreifen deutscher Freischärler bei der heute vergessenen Teilung Oberschlesiens. Allerdings war Polen in der Zwischenkriegszeit selbst ein autokratisch geführtes, wenn nicht sogar protofaschistisches Land, das seinerseits auch Gebietsansprüche hatte und durchsetzte (polnisches Litauen, mährisches Oberschlesien). Der zweite Weltkrieg jedoch begann mit dem synchronisierten Überfall Hitlerdeutschlands und der Sowjetunion auf Polen und seiner erneuten Teilung. Die Kombination von Massenmord und apologetischer Propaganda wurde in dieser Zeit nicht erfunden, erreichte aber mit dem ‚Bromberger Blutsonntag‘ und dem Massaker von Katyn vorputinsche Tiefpunkte. Auf deutscher Seite war einer der Hauptprotagonisten Edwin Erich Dwinger (‚Die volksdeutsche Passion‘), auf sowjetischer Seite der stellvertretende NKWD-Chef Wsewolod Merkulow.
Auf deutscher Seite hielt sich lange die propagandistische Version des ‚17-Tage-Feldzugs‘, in dem Polen untergegangen sei. Tatsächlich ist Polen nicht nur nicht besiegt worden, sondern gehörte zurecht zu den Siegermächten des zweiten Weltkriegs. Dass die polnische Kavallerie gegen die deutschen Panzer mit Lanzen vorging, wie auch Günter Grass in den tragikomischen ‚Polnische-Post‘-Kapiteln seines weltberühmten Romans ‚Die Blechtrommel‘ beschreibt, ist nicht dem Anachronismus – wie bei dem legendären, aber gescheiterten Reitergeneral Budjonny – geschuldet, sondern im Gegenteil einem verzweifelten Heroismus. Zwei Exilarmeen, zwei Exilregierungen, der Aufstand im Warschauer Ghetto (1943) und schließlich der Warschauer Aufstand (1944) belegen den ungebrochenen Willen: jeszcze Polska nie zginęła. Nach der letztlich erfolgreichen Westverschiebung Polens begann aber noch einmal eine Phase der nationalen Erniedrigungen: der äußerst erfolgreiche sowjetische Marschall Rokossowski wurde polnischer Verteidigungsminister. Das ist auch ein eklatanter Fall von Überschätzung der Herkunft, er stammte zwar aus Polen, sprach aber kein Polnisch mehr. Kurzerhand befahl er allen polnischen Offizieren, künftig Russisch zu sprechen.
1956, 1970 und 1980 stand Polen nach der DDR, aber vor Ungarn und der Tschechoslowakei an der Spitze der Ausbruchsversuche aus dem gescheiterten Staatssozialismus, auf dessen Tribünen von Moskau handverlesene und gesteuerte Marionetten agierten, jedoch meist nur winkten statt wirkten.
Viele polnische Menschen waren Helden, viele aber auch Opfer, und etwa ebenso viele gingen ins Ausland: nach Deutschland, in die USA und nach Kanada, nach Schweden und neuerdings auch nach Großbritannien.
Polen ist und bleibt der unbekannte David, der nie aufgegeben hat. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass Polen so viele Ukrainerinnen und Ukrainer aufnimmt und Deutschlands Opportunismus scharf attackiert. Und es wundert uns auch nicht, dass der selbst ernannte Hobbyhistoriker Putin aus all den Desastern seiner Autokratenkollegen nichts gelernt hat als lange Tische gegen Viren. Immer, seit Sulla (138-78 BC), behaupten sie alle, dass sie den Staat retten wollen, die Nation, die verlorenen Brüder – denn Schwestern zählen für sie nicht – heimholen (Irredentismus). Immer liegen ihre Ziele in einer nebulösen Vergangenheit. Immer sieht sich der Führer in einer pseudoreligiösen, ingeniösen Position, die claqueristische oder echte Verehrung hat kultische Züge. Immer wird auch das eigene Land in Schutt und Asche gelegt.
… und ich hatte gehofft, du hättest eine Lösung anzubieten …
Mir fiele nur ein, mit dem ganzen Geld für weitere Waffen, humanitäre Hilfe und Wiederaufbau alle noch in der Ukraine ausharrenden tapferen Menschen zu evakuieren, das leere Gebiet dem Russen zu überlassen und die Ukraine anderswo neu aufzubauen.
Inzwischen fällt vielleicht doch noch irgendeinem klugen Kopf endlich die wirksamste Antwort auf künftige Kriegsgelüste ein. Jeder, der einen Krieg beginnt, sollte unverzüglich von einem Weltgericht verurteilt und unschädlich gemacht werden. Fanatikern, die ihm nachfolgen wollen, sollte dasselbe blühen. Jeder weitere Tag Krieg auf diesem Planeten gehört vermieden.
Beschämend, dass plötzlich egal scheint, wieviel Krieg samt Folgen kostet, während man noch vor wenigen Monaten erbittert darum feilschte, mit welchem Geld die Coronaschäden finanziell abzufedern seien …
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