ZEITUMSTELLUNG

Seit es die Zeitumstellung gibt, gibt es auch den Widerstand gegen sie. Manche mögen die Unbequemlichkeit tatsächlich empfinden. Kinder und alte Menschen können zum Beispiel einige Tage aus dem Rhythmus geraten. Andere sehen eine günstige Gelegenheit, wieder einmal gegen die Regierung zu sein. Unsere alte Ostregierung tat ausnahmsweise etwas sehr Schlaues: sie berief sich auf den Westen und auf dessen Sachzwänge. Es gibt immer gute Gründe, gegen die Regierung zu sein. Vielleicht war das Hauptargument gegen die DDR die Mauer, aber dann ist das entscheidende Argument gegen unsere heutige Regierung auch ausschließlich der Waffenhandel und die Massentierhaltung einschließlich Kükenschreddern. Wir sind uns alle einig, dass Krieg, Bürgerkrieg und Terrorismus falsch und verbrecherisch sind und nicht unterstützt werden dürfen. Aber wir wählen immer wieder Regierungen, die den Waffenhandel erlauben. Die neue Partei ist sogar für das Schießen an den Grenzen. Das einzige, was uns entlastet, ist der geringe Anteil des Waffenhandels, nämlich etwas über einem halben Prozent  an unserem Exportvolumen von 1,2 Billionen Euro im vergangenen Jahr. Da die meisten Rüstungsgüter hochwertig sind, U-Boote, Panzer, Kriegsschiffe und Flugzeuge, ist also auch ihre absolute Menge eher gering. Aber das sind nur Entlastungen und Rechtfertigungen. Es ist jedoch auch schwer, seine Haltung im Welthandel zu ändern.

An der Massentierhaltung und am Kükenschreddern kann man besser beschreiben, dass wir nicht bereit sind, unser Leben zu ändern, auch nicht wenn wir uns ununterbrochen empören. Es zeigt sich, dass Empörung leichter ist als Tat. Wir könnten ohne Probleme auf Fleisch verzichten, nicht für immer, aber als Boykott. Erinnern wir uns an den Boykott gegen die Versenkung der Shell-Bohrplattform. Es war kein großes Problem, die Autofahrer in ganz Europa dazu zu bringen, nicht bei Shell zu tanken, und Shell knickte nach wenigen Tagen ein. Vielleicht hören große Konzerne erst ab dem Verlust von einer Milliarde zu. Als Vorbild und Namensgeber sollten wir uns aber, obwohl er auf eine Stadt begrenzt war, den Montgomery Bus Boycott nehmen, der damit begann, dass Rosa Parks in Montgomery, Alabama, auf ihrem Platz im Bus sitzen blieb, den ihr jemand aus Prinzip, nicht aus Not streitig machen wollte.

Also, warum boykottieren wir nicht das Billigfleisch, das seinen Grund in der Massentierhaltung und im Kükenschreddern hat? Diese Frage ist ganz leicht zu beantworten: weil es leicht ist, Jahr für Jahr bei Facebook zu posten: Gegen …. Wenn du auch dagegen bist, teile das. Zwei Klicks, und schon haben wir unser Gewissen beruhigt. Gegen alles gibt es inzwischen auch Unterschriftensammlungen. Ganz sicher ist es sinnvoll, wenn eine Schule für den Verbleib eines Mitschülers oder einer Mitschülerin eine Petition an die Härtefallkommission einreicht: konkrete Menschen für ein konkretes Ziel, und das ist ein Mensch in Schwierigkeiten. Die Zahl der Petitionen und deren ausführender Organisation hat dermaßen zugenommen, dass man, falls man sich beteiligen will, sich erst durch einen Wust von Spendenaufrufen kämpfen muss. Inzwischen leben schon wieder Dutzende von Menschen von Petitionen. Ich würde lieber jemanden bezahlen, der den Montgomery Bus Boycott II organisiert.

Der Bundeskanzler sprach, als Russland die Ukraine überfiel, von einer Zeitenwende, meinte aber den Politikwandel Deutschlands in Bezug auf die Rüstungsausgaben du die Waffenlieferungen an die Ukraine. Inzwischen wird sogar von Opposition und Regierung über ein Energieembargo gegen Russland nachgedacht, das vor vier Wochen noch ganz unmöglich erschien. Dabei ist es unerheblich, ob der Frühling oder die Einsicht diesen Sinneswandel, denn darum handelt es sich, herbeizauberte. Der US-Präsident sprach heute* vor dem Warschauer Königsschloss von der Kontinuität der Demokratie und der Geschlossenheit der Demokraten. Der damalige Resident des KGB in Dresden hatte schon damals, 1989, die Zeichen der Zeit und die Wirkmächtigkeit des Freiheitsstrebens falsch beurteilt, als er mit einer Pistole versuchte, den Lauf der Dinge aufzuhalten. Sein Weltbild war von Machtfantasien umstellt, und das hat sich offensichtlich nicht geändert. Am absurdesten war es wohl, als er Kanzlerin Merkel mit seinen Hunden bedrohte. US-Präsident Biden nannte diese Machtfantasien heute obszön. Leider fehlte in der auf Abraham Lincoln basierenden Rede der Satz, der sie kennedy- oder reagangleich gemacht hätte: Ich bin ein Berliner, Mr. Gorbachew, tear down this wall. Aber worum soll man Putin bitten, dessen Ohr in Taubheit getaucht und dessen Geist im kalten Krieg verblieben ist? Vielleicht erhebt sich der von ihm öffentlich gedemütigte Geheimdienstchef Naryschkin, mit dem er seit den Tagen des KGB befreundet ist. Vielleicht haben wir auch den verdrossenen Blick des Verteidigungsministers Schoigu richtig gedeutet, und er hat gar keine Herz-, sondern Gewissens- oder wenigstens Kompetenzprobleme und bereitet im Stillen einen Militärputsch vor. Die für Russland passendste Lösung wäre allerdings der erfolgreiche Aufstand der 20.000 Mütter der gefallenen Soldaten. Das würde der Weltgeschichte eine griechische Tragödie mit tröstlichem Ausgang schenken.   

Was also spricht gegen die Zeitumstellung? Natürlich kann man die Zeit nicht umstellen. Wir meinen ohnehin immer die Uhr, wenn wir Zeit sagen. Die Uhr dient unserer Orientierung. Wir wollen eine Struktur, und wir geben uns eine Struktur. Die Umstellung der Uhr stärkt den Morgen gegen den Abend. Das ist eine Botschaft, die wir gebrauchen können. Wenn wir die Uhren umstellen, kann uns bewusst werden, dass die Messung der Zeit nicht nur relativ ist, sondern Willkür. Wir halten mit der Zeitmessung nicht nur am geozentrischen Weltbild fest, sondern auch am Duodezimalsystem. Es stärkt schon unsere Flexibilität, dass wir zwei und manchmal auch mehr Denksysteme nebeneinander, parallel oder sogar synchron benutzen können. Unser Hauptdenk- und -glaubenssystem beruht auf Egoismus. Wir müssen  glauben, dass wir Recht haben, dass unsere Gruppe erfolgreich ist, dass das Fleckchen Erde, in das wir gestellt sind oder das wir gewählt haben, optimal für uns ist. Unser Hauptlebenssystem beruht aber auf Altruismus, Solidarität, Kooperation, Nächstenliebe. Von Anbeginn der Menschheit wird über die Prioritäten gestritten, und immer ist es falsch, was wir entscheiden. Spontan entscheiden wir uns eher für den anderen Menschen, rational fallen uns aber tausend Gründe gegen ihn ein. AM I MY BROTHER’S KEEPER? YA. Nicht die Länge des Wegs, sondern die Nähe des Ziels lässt uns ermüden. Wir kämpfen ein ganzes Leben lang gegen die Relativität der Dinge und Menschen, die uns umgeben. Wir können und wollen uns nicht damit abfinden, dass perfekt zu sein eine Idealvorstellung ist, die noch nicht einmal in der wunderbaren Natur verwirklichbar war, und die Natur hatte Milliarden von Jahren und Billionen von Möglichkeiten, soweit wir sehen können.

Jährlich zweimal könnten wir üben, dass wir nicht nur Männer, sondern auch Frauen, nicht nur Frauen, sondern auch Männer sind. Wir könnten diesen Sonntag daran denken, wie wir aus Schwarzen Weiße wurden. Es gibt keine Wiedergutmachung, aber vielleicht kann man es die nächsten Jahrtausende einfach besser machen. Diese ständige Ablehnung, die nur dazu dient, uns selbst als perfekt und einmalig zu sehen, hat der wunderlichste Dichter des zwanzigsten Jahrhundert in einem faszinierenden Büchlein beschrieben. Seine Frage war vielleicht: erkennen wir im Käfer unseren Bruder wieder? Tatsächlich, da der Dichter drei Schwestern hatte, ist die Schwester des Käfers lange Zeit kooperativ. Anscheinend ist Schwesternschaft – obwohl die üblichen Worte Bruderschaft und Brüderlichkeit heißen – eine Urfigur menschlichen Verhaltens: es vereint sich in ihr die dem Vater gegenüber stärkere Rolle der Mutter mit der des Geschwisters. Bei der älteren Schwester kommt die brüderliche Rolle des Beschützers hinzu. Vor der größten Gruppenzugehörigkeit, der geschlechtlichen, gibt es anscheinend die Geschwisterlichkeit und in ihr die Schwesterlichkeit. Ich glaube nicht, dass der Westen, also Europa, Nordamerika und Japan, wegen seiner Kinderlosigkeit zum Scheitern verurteilt ist. Vielmehr wird er seine führende Rolle einbüßen, weil sein Wirtschaftsmodell zu egoistisch ist. Es schädigt andere. Und die anderen werden kommen und ihre Begriffe von Schwesterlichkeit, als Beispiel, und Zeit mitbringen. Und die neuen Lehrer kommen als Bittsteller. Alle fünfhundert Jahre müssen wir unsere Begriffe ändern, nicht weil es jemand will, sondern weil sie nicht mehr taugen. Es ist sehr sinnlos, sich nach der Vergangenheit zu sehnen und dabei die Zukunft zu verpassen.

VOM WARTEN AM SCHWARZEN NETTO

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Hier ist nicht einfach die Kirche von Fürstenberg an der Havel abgebildet. Um eine gedankenlose Postkarte zu sein, hat das Bild zwei Elemente zu viel: die Frau und die Pergola.

Eine alte Frau sitzt auf einer Bank und wartet. Sie schwebt zwischen Leben und Tod. Das Leben ist der Supermarkt hinter ihr, aus gelben Klinkern gebaut und mit einer Pergola verziert, die die räumliche Distanz zur neogotischen gegenüberliegenden Kirche verstärkt. Der Stil der Kirche verweist auf die ältere Gotik, auf das längst vergangene Leben, auf den Tod,  das Baumaterial auf die neuere Zeit, als in den Tongruben von Zehdenick und den Hoffmannsöfen von Mildenberg die Reichshauptstadt Berlin antizipiert wurde, und eben auch diese wunderschöne Kirche. Ihr Baumeister liebte Wimperge und Fialen. Seine schlanken Türme erinnern an Minarette, eine Bauauffassung, die mit dem maurischen Stil zum zweiten Mal in Europa Fuß fassen konnte, und die heute – wie durch ein Wunder – zu den allgegenwärtigen und allseits beliebten Istanbul- und Kappadokia-Grill- und Imbissstätten passen.

Vor der alten Frau liegt ihre Vergangenheit, hinter ihr die Gegenwart und Zukunft. In der Kirche wurde sie mit heute meist unverständlichen Ritualen an einen Kulturtyp gebunden, der, wenn er als Monopol und mit dem Staat verknüpft auftritt, übermächtig, einmalig und ausschließend erscheint und zur Segregation einlädt. Auf der anderen Seite des Schwedtsees war einer der Tiefpunkte dieser Richtung, das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück. Dort begegneten sich, wenn auch nur kurz und nicht synchron, Nina Gräfin Schenk von Stauffenberg, Rosa Thälmann, Margarete Buber-Neumann und Milena Jesenská, die Antagonistinnen des Nationalsozialismus waren genauso heterogen wie die Protagonisten. Aber noch vor kurzem, in der besten Zeit der alten Frau auf der Bank,  marschierten durch diese Stadt blutjunge russische Soldaten mit martialischer Blasmusik, dafür wurde an jedem Abend die B 96 (damals F 96) gesperrt. Wenn sie nicht gerade durch das Städtchen marschierten, bewachten sie die Atomsprengköpfe, mit denen Putin jetzt die Ukraine und uns bedroht.

Vielleicht erscheint der alten Frau das Verschwinden dieser eigenartigerweise vor ihr liegenden Vergangenheit wie das Verblassen eines Traums am frühen Morgen. Das wirkliche Wunder ihres Lebens liegt aber hinter ihr: der Supermarkt, der durch die Pergola und die gelben Klinker mit der Kirche eine Einheit bilden will, aber doch ihr genaues Gegenteil ist. Es ist ein mittlerweile auch schon arg abgegriffenes Bild, dass die Kaufhäuser und Supermärkte die Konsumkathedralen des Anthropozäns sind. Für die alte Frau, die in diesem Spannungsfeld ganz entspannt sitzt und mit einiger Wahrscheinlichkeit auf ihre Enkel oder eine Freundin wartet, ist der Supermarkt ohnehin weit mehr: er ist, ohne dass sie es gleich gemerkt hätte, die Erfüllung fast aller ihrer Träume. Sie hat genügend Geld, um sich an jedem Tag, den ihr der liebe Gott von gegenüber schenkt, alles, was sie braucht, kaufen zu können. In diesem Supermarkt, zu dem sie viel lieber Kaufhalle sagen würde und auch oft sagt, gibt es das alles – und noch viel mehr – aus mehreren Dutzend Ländern, Dinge und Länder, die sie früher nicht kannte. Aber warum gibt es weit mehr als man braucht? Einer ihrer Enkel hat ihr das in einem langen Vortrag, sie hört ihm sehr gerne zu, erklärt: your comfort zone will kill you. Junge, sprich deutsch mit mir, sagt sie dann gespielt echauffiert. Denn in Wirklichkeit ist sie stolz und froh: noch vorgestern kam ihr Vater aus französischer Kriegsgefangenschaft, noch gestern marschierten hier die Russen und schon heute erklärt der Enkel ihr die Welt auf Englisch und sie knabbern dazu Biskuits aus Italien oder Polen. Der Supermarkt bietet mehr an als wir brauchen können, weil wir mehr kaufen sollen als wir essen. Der Kapitalismus strebt nach Maximalprofit und beruht auf Maximalkonsum, und deswegen, Großmutter, sind wir beide genauso schuld wie Dieter Schwarz. Bist du denn jetzt Kommunist? Nein, ein Grüner.  

Die dazwischenliegende Straße ist genauso umstritten wie die Kirche und der Markt. Alles, was einst Segen war, wird zum Fluch. Wir können wohl mit dem Mangel besser umgehen als mit dem Überfluss. Uns tötet nicht der Hunger, sondern die Gier. Es kann nicht falsch sein, in der Idylle über Auswege aus dem Chaos nachzudenken.  

VOM KRIEGE

‘Who the fuck are you to lecture me?’ – das ist ein Zitat und die Sprache des russischen Außenministers Lawrow. Er ist das Sprachrohr Putins. Beide lügen nicht für uns, sondern für die alten Frauen in Moskau und Sankt Petersburg, von denen wir nicht wissen, ob sie ihren Führern wirklich glauben oder ob sie die Lügen nachplappern, weil sie eine Welt ohne Lügen gar nicht kennen. Aber jenseits jeder Polemik über die Unverfrorenheit muss man Putin doch fragen, wie er das Land, das er erobert haben will, regieren kann, wenn er sich bestimmt zwei Drittel bis drei Viertel seiner Bewohner zum Feind gemacht hat, von der Welt ganz zu schweigen: nur die diensthabenden Idioten dieser Erde, Lukaschenko, Assad, Kim Jong Un und Isayas Afewerki haben in der eigens einberufenen UNO-Generalversammlung für ihn gestimmt. Aber er kann und wird diesen Krieg nicht gewinnen: Wie haben wir alle gezittert, als in den Eilmeldungen der Nachrichtensender verkündet wurde, dass sich ein sechzig Kilometer langer russischer Konvoi auf Kiew zubewegt. Aber das war vor zwei Wochen, heute erzählt einer unserer Reporter, dass in Kiew alle infrastrukturellen Verbindungen noch funktionieren. Auch die gefangenen russischen Soldaten sprechen nicht die Sprache der Sieger.
Ein Krieg ist ebenso wenig zu begründen wie ein Mord. Beide sind wesensgleich und verstoßen nicht nur gegen seit langem codifiziertes Recht, sondern gegen alles, was den Menschen und das Leben überhaupt ausmacht: Fürsorge, Empathie, Solidarität. Jeder Versuch der Begründung des Krieges bedarf einer Ideologie, eines narrativen Baugerüsts, das aber immer im Wind umstürzt, bevor das Haus darunter gebaut ist. Jeder Irredentismus – die vermeintliche Befreiung von Menschen der eigenen Sprache im anderen Land – ist genauso ein Vorwand wie ein Präventivschlag. Auch das berühmteste Beispiel für eine erfolgreiche präventive Verteidigung – der Sechstagekrieg Israels 1967 gegen kriegsbereite potenzielle Angreifer – leidet so sehr unter dem moralische Makel, dass im Jomkippurkrieg auf den Angriff gewartet wurde, der dann am höchsten israelischen Feiertag auch tatsächlich erfolgte. Beide Kriege hat Israel gewonnen. Noch mehr in Misskredit geriet das Eingreifen der NATO in die serbischen Aggressionen in Bosnien und im Kosovo. Genau dieses Muster benutzen jetzt Putin und sein Lautsprecher Lawrow, nur dass sie selbst – auch im Donbass – die Angreifer sind. Die Putin-Apologeten bei uns hatten kurz ihre Agitation eingestellt, aber nach wenigen Tage wussten sie: „Da die Ukraine keine Chance hat, diesen Krieg militärisch für sich zu entscheiden, verlängern die geplanten Waffenlieferungen nur das Sterben.“
In Abwandlung eines berühmten Moshe-Dayan-Zitats könnte man ihnen und ihren links- und rechtsradikalen Freunden antworten: DIE RUSSEN KÖNNEN HIER NICHTS GEWINNEN, NOCH NICHT EINMAL DEN KRIEG.
Bei uns im Osten war es nicht en vogue, über den Finnlandkrieg, auch er ein irredentistischer und lächerlicher Feldzug, zu sprechen. Stalin hatte gerade seinen besten Marschall – den ‚roten Napoleon‘ Michail Tuchatschewski – erschießen lassen und marschierte genauso dilettantisch, chaotisch und verbrecherisch in Finnland ein wie Putin jetzt in die Ukraine. Auch damals war der Who-the-fuck-are-you-to-lecture-me-Außenminister die Stimme seines Herrn. Er dementierte die Bombenangriffe und sagte, dass aus den Flugzeugen Brot für die ‚Brüder‘ abgeworfen würde. Gut, sagte die Finnen, dann braucht er noch einen Cocktail dazu, der Herr Molotow. Ich weiß nicht, ob diese Brandsätze kriegsentscheidend waren, aber die Russen haben nicht gewonnen und mussten heute vor 82 Jahren einen schmählichen (Goliath gegen einen kleinen schmächtigen Hirtenjungen) Waffenstillstand unterzeichnen. Ein damaliger sowjetischer General kommentierte das so: Wir haben gerade soviel Land gewonnen, dass wir unsere toten Soldaten beerdigen können.
Aber selbst wenn Putin – was Gott verhüten möge – siegen sollte, hätte er nichts gewonnen. Denn ein Sieg ist niemals absolut. Ein Sieg ist immer nur der Traum vom Sieg. Der Sieger träumt, dass nie wieder ein Feind ihn ‚scheel ansehen‘ wird, so der letzte deutsche Kaiser in seiner berüchtigten, protofaschistischen Hunnen-Rede. Das Gegenteil ist die Regel: Der Verlierer stellt sich als Opfer dar, der Gewinner lebt fortan mit dem Makel seiner Gewalt.
Ein Sieg ist deshalb nicht absolut, weil keine Handlung, kein Ergebnis, keine Untat, kein Zweck und Ziel und kein Gedanke absolut ist. Noch nicht einmal eine Absicht kann alleine für sich bestehen. Wir können es am Kleinkind studieren: es läuft mit einem Ziel los, aber ziellos hält es bei jeder Blume und bei jedem Schmetterling ein. Alles unterläuft sich selbst mit und durch Friktionen.
Während frühere Generationen die Sprüche der kriegerischen Vorväter zitierten, um sich selbst zu rechtfertigen, bezeichneten sie den Krieg als den Vater alle Dinge und glaubten (glaubten sie es wirklich?), dass sie dem Krieg dienen müssten, wenn sie Frieden haben wollen, sollten wir wissen, dass durch Krieg nichts zu beginnen und zu gewinnen ist, nur dass er weit tiefer in unserer DNA sitzt, als wir glauben wollen und können. Wir leisten uns Geheimdienste und wundern uns, dass sie nicht die Zukunft voraussagen können, statt dessen aber solche Monster gebären wie Dr. Maaßen und Oberstleutnant a.D. Putin, jeder auf seine Weise, aber beide preisen sich selbst als lupenreine Demokraten an.
Dass wir zum Glück keine Zeitenwende haben, sondern allenfalls eine Kurskorrektur, sieht man schon daran, dass Sätze, die seit zweihundert Jahren offensichtlich nicht gelesen und verstanden werden, so wirken, als wäre sie gestern Abend in der Absicht geschrieben worden, Putin mit Verstandes-argumenten zum Einlenken zu bewegen. Der Autor, selbst ein bedeutender General, wusste selbstverständlich, dass seine klugen Worte in den Wind geworfen wären. Nun warten sie auf neue einsichtsvolle Leser. Who the fuck am I not to be lectured.
Das berühmte Buch, das den Krieg beschreibt, ist eigentlich eine Abhandlung über friedenserhaltende Politik.
„So stimmt sich im Kriege durch den Einfluss unzähliger kleiner Umstände, die auf dem Papier nie gehörig in Betracht kommen können, alles herab, und man bleibt weit hinter dem Ziel. Ein mächtiger, eiserner Wille überwindet diese Friktion, er zermalmt die Hindernisse, aber freilich die Maschine mit.“