WEIHNACHTEN UND DER BÄCKER VON ADAM SMITH

Kreuzgang im Dom zu Havelberg

Alle Jahre wieder rätseln wir, warum Weihnachten so früh, so aufwändig und letztlich weder vernünftig noch sinnvoll noch emotional befriedigend gefeiert wird. Trotz Weihnachten sterben nicht nur mehr Menschen in dieser Zeit des Jahres, sondern es bringen sich auch mehr selbst um. Es wird mehr gegessen, mehr getrunken, mehr gestritten und mehr getrennt, als alle die vielen Geschenke, die die Hermes- und DHL-Boten bringen, wieder gut machen können. Die Kirchen sind am Heiligabend voll, aber das sind sie auch, wenn das Weihnachtsoratorium von Bach oder der Messias von Händel gegeben werden. Diese Art der Kritik an Weihnachten gehört schon seit zweihundert Jahren dazu und ist beinahe selbst Teil des Rituals geworden. Sie hat also gar nichts mit Weihnachten zu tun, sondern mit dem Wohlstand, den wir uns eben anders vorgestellt haben, problemloser, fettlösender, perfekter, ein Wohlstand, der nicht wehtut.

Man könnte eine neue Partei gründen, die AfW, die Alternative für Weihnachten, aber sie wäre – zum Glück – genauso rat-, tat-, sinn- und erfolglos wie die Alternative für Deutschland. Man kann Alternative sein, aber die bloße Deklaration des Gestern reicht dafür nicht aus. Alternativen gehen von einer Idee oder von Menschenmassen aus. Je individueller zu sein allerdings der Zeitgeist uns vorschreibt, desto schwerer ist es, Menschen für ein Ziel zu gewinnen oder auch nur zu halten. Hinzu kommt – und das war schon immer so -, dass es leichter ist, empört zu sein, als etwas zu tun. Und die für die Empörung passenden Tribünen haben die Internetgiganten Bill Gates, Lord Zuckerberg oder Lawrence Edward Page zur Verfügung gestellt. Man könnte annehmen, dass sie das für uns taten, für unsere demokratische Beteiligung oder unser demokratisches Placebo, für unsere Information oder Desinformation, für unsere Konzentration oder Ablenkung. Aber –  fast möchten wir leider schreiben – es ist so wie mit dem Bäcker von Adam Smith: er bäckt nicht, damit wir, sondern damit er satt wird. Es gibt keinen Versorgungsauftrag. Es gibt keinen Auftrag. Es gibt nur Möglichkeiten.

Für Weihnachten sehe ich zwei Möglichkeiten: Frieden und Kinder.

1

Frieden fängt immer zwischen zwei Menschen an. Es ist leicht, mit einem Friedensplakat auf die Straße zu gehen und zu rufen, dass Wasserwerfer kein Mittel der Demokratie sein dürfen, können und sollen. Das ist zwar richtig, aber Ort und Zeit der Verkündung sind denkbar ungünstig. Der Polizist – der nur seine Pflicht tut, manchmal auch etwas mehr oder etwas weniger, wie wir alle – ist der falsche Adressat. Es ist leicht, anzunehmen, dass am Waffenexport die Waffenexporteure märchenhafte Summen verdienen. Am Export Deutschlands machen die Waffen weniger als ein Prozent (etwa 10 Milliarden €) aus. Das sage ich nicht zur Gewissensberuhigung, sondern um die Relation zu richten. Nicht nur der Waffenexport ist falsch und überflüssig, sondern auch die Waffenproduktion. So wie vor einigen Jahren die letzte Steinkohlenzeche aus wirtschaftlichen Gründen feierlich geschlossen wurde, müsste auch in Kürze das letzte Waffenwerk aus moralischen Gründen seine Pforten schließen. Früher war alles schlechter. Und deshalb sollte Deutschland nicht nur das Sozialamt der Welt werden, sondern das weltweit erste waffenfreie, pazifistische und vegetarische Territorium. Das wäre eine Alternative für Deutschland! Das wäre Weihnachten!

Es ist sicher nicht falsch, auf die Bedrohungsattitüde des Autokraten und Männlichkeitswahnsinnigen Putin mit der Ausweisung von Diplomaten zu antworten. Aber das ist eine Antwort aus dem Arsenal der Beamten alter Prägung. Jetzt haben wir das Glück, möglicherweise – und ich hoffe es sehr – eine Sozialromantikerin als Außenministerin zu haben. Jetzt sollten wir gegen die Putins dieser Erde die entwaffnenden Argumente der Friedensvisionen aus unserem Arsenal holen. Denken wir an die großen Erfolge von Yesus (Weihnachten!), Gandhi, Schweitzer und King, der sogar in seinem Namen das alte Erbe trug und mit soviel Erfolg soviel neues in die Welt brachte: I HAVE A DREAM, und nicht diesen waffen- und rachestarrenden Unsinn, der immer nur verloren hat.

Aber all das kann man nicht durch Warten, Empören oder Parteigründungen, so sinnvoll sie diesmal auch erschiene, erreichen, sondern nur dadurch, dass jeder seine Partei, seinen Bundestagsabgeordneten, jeden Politiker, jede Initiative, jede Zeitung, jede Facebook- oder Whatsappgruppe mit dieser Vision überschüttet. Bis auf einige wenige Lobbyisten gibt es niemanden, der für Waffenexporte ist. Für Waffen gibt es viel weniger Argumente als für Steinkohle. Statt dass wir uns über Ereignisse von gestern empören, denn sie sind nicht veränderbar, sollten wir versuchen, endlich alle unsere neuen Mittel zu nutzen, um zu sagen, was wir sagen wollen und was wir wollen. Offensichtlich reicht es nicht, alle vier Jahre eine Partei oder eine Person zu wählen. Man muss auch wissen, was man will. Und man kann die ungeahnten neuen kommunikativen Mittel endlich für besseres nutzen, als für Fotos des Mittagessens oder von einem selbst. Wer nur sich als Botschaft hat, sollte schnellstens über sich nachdenken. Es ist nie zu spät.

2

Die Botschaft von Weihnachten ist ja die Geburt eines Kindes, dem eine große Zukunft vorausgesagt wird. Das Kind erscheint als so bedeutend, dass die Eltern fliehen müssen, weil der König einen Kindermord plant und auch tatsächlich ausführt, dass andere Könige von weither, aus dem Jemen und aus Äthiopien etwa, anreisen, um Teil einer Zukunftsoption zu werden. Das Kind ist die Alternative. Aber auch für die Kinder war früher alles schlechter. Im alten Rom wurden überzählige Babys aus dem Fenster geworfen, und noch bis 1871 durfte in Deutschland ein Vater seinen Sohn totschlagen, wenn er ihn züchtigte. Die Emanzipation des Kindes und der Kindheit gibt es erst seit dem neunzehnten Jahrhundert. Und jetzt haben wir in der reichen Hälfte der Welt wenige und in der armen Hälfte viele Kinder. Trotzdem gibt es sowohl in Kenia als auch in Deutschland Lehrermangel. Uns ist sowohl der Sinn – des Lebens wie der Kinder – verloren gegangen, wie auch die Priorität. Für die von uns merkwürdigerweise nicht so hoch geschätzten Steinzeitvölker ist Bildung kein Ressort, sondern tägliche Übung. Das Argument der Arbeitsteilung entfällt, weil wir nicht die Arbeitsteilung aufgeben müssen, um dieses Vorbild zu nutzen, sondern den sinnlosen Umweg über Regeln. Lernen ist besser als regeln. Die Schule ist in der industriellen Welt zu einer eigenständigen – und deshalb notwendigerweise kontraproduktiven Institution geworden. Schule und Leben haben sich auseinandergelebt. Die Technische Universität Berlin, die genauso viele Nobelpreisträger hervorgebracht hat wie Harvard (auf Platz 1), liegt im Ranking der Bildungsstätten auf Platz 192, obwohl vor dem wunderschönen Mathematikgebäude Werner von Siemens steht.

Und auch hier geht es nicht um jammern, hadern, greinen oder rechten, sondern darum, jedem Kind, das wir kennen, ein Maximum an Bildungsoptionen zukommen zu lassen. Fangen wir morgen mit dem Kind an, das uns am nächsten und am fernsten steht. Nehmen wir einfach die Kinder in den Focus, der ihnen gebührt. Nicht den Eltern ist zu danken (denken wir an Adam Smith‘ Bäcker), sondern den Kindern, dass sie keine Kopie von uns sind, dass sie uns vom ersten Tag an neue Perspektiven geben, dass sie unser Erbe sorgsam behandeln und unsere Werke fortführen, falls sie sich nicht im abgebildeten Mittagessen erschöpfen. Der Wohlstand hat unseren Blick auf uns verkleinert, statt ihn zu erweitern. Eine arme Familie vor hundert oder vor zweihundert Jahren (als das Lied STILLE NACHT geschrieben wurde, weil die Orgel defekt war) konnte nicht anders als an sich und das Essen denken. Wir dagegen, die wir unendlich viel Zeit und kommunikative Möglichkeiten haben, rotten die letzten Elefanten, Wale und Wölfe aus, obwohl sie uns ähnlich sind, weil sie angeblich unsere Schafe fressen oder etwas haben, was wir gern hätten oder weil sie uns einfach im Weg sind, wir dagegen tun nichts gegen Waffen und für Bildung, wir dagegen sind mit uns und unserer Welt zufrieden. Und womit wir nicht zufrieden sind, dafür suchen wir Schuldige, und die sind leicht zu finden. Nicht so leicht ist es, sich selbst als den Mitschuldigen zu erkennen und jetzt, in dieser Minute sein Leben zu ändern. Das ist Weihnachten.

PANDEMISCHE WEIHNACHT

Kreuzgang des Havelberger Doms

 

PANDEMISCHE WEIHNACHT

Die Gans ist gegessen. Das Fest ist gefeiert. Das Lametta ist verworfen. Was bleibt, sind Müll und Gedanken.

Noch vor zehn oder sogar nur sechs Jahren erschien die Politik vielen Menschen langweilig und gleichförmig. Viele glaubten an die Politikverdrossenheit ihrer Raum- und Zeitgenossen. Aber es gab Vorboten: die Banken- oder Griechenlandkrise und Sarrazins dummes, böses Buch. Es war zum Glück auch – was wir damals ahnten und heute wissen – falsch. Deutschland schafft sich nicht nur nicht ab, sondern erfindet sich neu, weil es sich neu erfinden muss und kann. Der Grund ist allerdings weniger, dass es feindliche Machenschaften von Gates & Merkel und dem ausgedachten ‚Weltjudentum‘ gibt. Noch nicht einmal die ‚Reichsbürger‘ können Deutschland erschüttern, obwohl sie das so sehr gehofft hatten. Es ist auch nicht das Corona-Virus, was uns den Neubeginn aufzwingt.

Das Corona-Virus hat uns aber wie der Totalschnitt eines Pathologen oder Romanciers gezeigt, wozu wir fähig sind. Europa, dessen angeblich morbider Zustand immer wieder beschworen wird, hat nicht nur auf Urlaubsreisen, sondern vor allem auch und zum zweite Mal auf Weihnachten verzichtet. Die Häme ist weitgehend aus der Politik gewichen. Für eine so große Krise arbeitet Europa erstaunlich gut zusammen. Obwohl die Demonstrationen, die sich 2016 gegen die Flüchtlingspolitik, nun aber gegen die antipandemischen Maßnahmen der Regierungen richten, ärgerlich, schändlich und vor allem lächerlich sind, werden sie weitgehend geduldet. Schädlich dagegen sind sie nicht und auch sie werden Deutschland und Europa nicht abschaffen.  

Abschaffen – ein Wort übrigens, das wieder eine Art von großem Administrator unterstellt – müssen wir unsere Lebensweise der Verachtung, Vermüllung und Vernichtung der Natur. Es wird bald mehr Plastikteile als Fische in den Weltmeeren geben. Aber weil es eben keinen Großadministrator gibt, müssen wir es selber tun.

Wer es geschafft hat, dem Corona-Virus zu widerstehen, der sollte es auch mit Weihnachten aufnehmen können. Weihnachten ist vom Fest der Yesusgeburt zu einem Konsumterrortiefpunkt der Verschwendung geworden. Das Symbol der Menschwerdung – nicht Gottes, sondern der Menschen – in der Verehrung eines neugeborenen Kindes unter widrigsten Umständen, wurde schrittweise in ein konsumistisches Horrorszenario verwandelt. Ob zum Beispiel der Weihnachtsmann dabei eine Rückkehr heidnischer Gebräuche oder der Trottel des Konsums ist, bleibt gleichgültig. Der Ersatz einer einzelnen wunderwirkenden Kerze durch elektrische, automatisch gesteuerte Beleuchtungen ganzer Vergnügungsparks und zu Vergnügungsparks umgewidmeter Innenstädte, der Wettbewerb der Hausbesitzer der Vorstädte um die hellste und brutalst verschwenderische Beleuchtung, die vierwöchige Dauerbeschallung und damit inflationäre Opferung der Weihnachtslieder – das alles ist bedauernswert, aber nicht unumkehrbar. Weihnachtmann und Weihnachtsbaum sind so gesehen Merkmale des Untergangs, den wir verhindern können, indem wir sie wieder abschaffen. Vielleicht beginnt der als Neuerer gepriesene Papst in Rom mit der Abschaffung der infantilen Yesuspuppe. Es gibt genügend Babys, die auf einen Träger warten.

Gefeiert wird eigentlich die Geburt eines Kindes, von dem sich später herausstellt, dass es der Menschheit einige der besten Sätze und Lehren brachte, das aber mit den Mächtigen ebendieser Menschheit kollidierte und demzufolge ermordet wurde.

Daraus muss folgen, dass es niemals mehr Mächtige geben darf, denen die Lizenz zum Töten oder auch nur Einkerkern von Störern ihrer Macht gegeben wird. Wer sich eine solche Lizenz anmaßt, muss gehen. Auch Tränengas und Wasserwerfer sind keine Argumente. Erkennbar sind solche autoritären Politiker an ihrem clownesken Verhalten, das nicht ihrem Verstand, sondern ihrem Unverstand entspricht und von den wirklichen und ernsthaften Clowns zurecht und gekonnt nachgeäfft wird. Wir haben vor Jahr und Tag schon auf das merkwürdige, verkehrt herum wahrgenommene Verhältnis von Chaplin und Hitler, die im selben Monat desselben Jahrs geboren wurden, hingewiesen. Hitler, der als arbeits-, obdach- und sinnloser Asylheimbewohner sicher oft ins Kino gegangen ist, sah dort den Tramp, den Wanderarbeiter, der das Gute will, aber durch tausend Schwierigkeiten, die zum Weinen und zum Lachen sind, hindurch muss. Hitler kannte das, denn er wurde in Wien wegen seiner lächerlichen antisemitischen Reden von Bauarbeitern vom Baugerüst geworfen. Sein clowneskes Verhalten behielt er bis zu seinem würdelosen Abgang bei. Er ahmte Chaplin nach, ohne dessen Qualität auch nur erahnen zu können.

Daraus muss weiter folgen, dass wir noch viel mehr die Möglichkeit jeder Tötung ächten und verhindern. Es muss die Ächtung geächtet werden, nicht Menschen. Die Verherrlichung von Waffen und die Waffen selbst müssen geächtet werden, nicht Menschen. Der Staat mit seinen Polizisten und Soldaten sollte den Anfang machen. Einige Länder, in denen überwiegend die Vernunft regiert, wie zum Beispiel Deutschland, sollten die Waffenindustrie stilllegen und den Im- und Export von Waffen verbieten. Alle Institutionen, Sozietäten, Gruppen und Vereine sollten diesem Beispiel folgen. Im Vatikan, in dem es außer dem Papst auch einen Nuntius der Hölle zu geben scheint, sollte ebenfalls begonnen werden, das Böse zu tilgen: Geld, Gier, Geschwätz, Lüge und Machterhalt.

Die Aufforderung zur Rückkehr oder die Rückkehr zu alten Gewohnheiten selbst, kann nur schädlich sein. Als vor hundert Jahren die spanische Grippe fast ungehindert wüten konnte, rief der Bischof von Zamora seine Mitbürger auf, die Reliquien des heiligen Rochus – der in seinem Grabe rotierte – zu küssen. Damit wurde diese Stadt zum hotspot der Seuche und die Seuche bekam daher ihren Namen, und auch weil einzig die spanische Presse unzensiert über den Verlauf und die Todeszahlen berichten konnte. Man kann des heilenden Rochus von Montpellier, der sich um Pestkranke kümmerte und deshalb verfolgt wurde, nur durch Selbstlosigkeit gedenken. An Reliquien sollte man dabei nicht glauben, man sollte Menschen lieben, aber keine Gegenstände. Heilend oder heilig können nur Medizin und Liebe sein, nicht Menschen und Dinge.

Wir können religiös nur durch die Ehrfurcht vor dem Leben sein. Wir müssen auch gar nicht mehr religiös sein. Vernunft und Aufklärung können heute genau das Gute bewirken, das früher fast nur durch die Religionen erreicht werden konnte. Fehlbar sind beide, Religion und Vernunft.  

Wir leben nicht nur nicht in besonders harten Zeiten. Die Zeiten sind immer gleich hart und gleich warm und herzlich. Wir leben in Zeiten neuer Chancen, auch das ist nicht neu, aber wir können es jetzt besser erkennen als je zuvor. 1918, noch bevor die spanische Grippe beendet war, zerfielen fünf große und schädliche Reiche: das Osmanische Reich, das schon mehrere Jahrhunderte lang geschwächelt hatte (‚der kranke Mann am Bosporus‘), das Russische Zarenreich, ein Unort von Ausbeutung, Unterdrückung und Alkoholismus, die österreichisch-ungarische Doppelmonarchie, ein am eigenen Rassismus gescheiterter Vielvölkerstaat, das deutsche Kaiserreich, bis heute das Vorbild für Bürokratismus, Militarismus und Kadavergehorsam und, allerdings noch nicht vollständig und krass angeheizt durch die spanische Grippe, das British Empire. Sie gingen zurecht, weil sie sich überlebt hatten, unter, aber sie alle hatten auch gute Seiten. Das Osmanische Reich war von einem zwanzigjährigen Visionär, Mehmet II., errichtet worden,  sein enormer Beitrag zur Musikgeschichte kann hier nicht ausgeführt werden, Russland brachte Lew Graf Tolstoi mit seiner Lebensreform hervor, Deutschland Bach, das Automobil und die Schallplatte, Österreich Beethoven und Kafka und Großbritannien den Widerwillen vor kolonialer Ausbeutung.

Jede Zeit hat ihre Chancen. Wer mit Corona fertig wurde, kann auch Weihnachten in der heutigen konsumistischen Perversion abschaffen. Das wird natürlich kein administrativer Akt sein, sondern die durch Überzeugung erreichte Abänderung der Gewohnheiten.  Die Plastiktüte ist das Vorbild. Auch die Atombombe ist seit Hiroshima und Nagasaki nie wieder angewendet worden, sie kann weg. Der Plastikbecher muss das nächste Ziel sein. Dann kommt Weihnachten.

„Viel Kälte ist unter den Menschen, weil wir nicht wagen, uns so herzlich zu geben, wie wir sind.“ 

[Albert Schweitzer]

YUSUF UND SEINE BRÜDER

nacherzählt* für einen jungen Muslim**

Es war einmal ein Mann im Land Kanaan, der war der Sohn Ishaks und Ibrahims, er hieß Yakub und hatte zwölf Söhne, von denen ihm aber Yusuf der liebste war. Möglicherweise glaubte er den Träumen seines Lieblingssohns. Denn dieser träumte, dass seine Garben stünden, die seiner Brüder aber umfielen und dass die Sonne, der Mond und elf Sterne sich vor ihm verneigten. Die Brüder wurden eifersüchtig und beschlossen, Yusuf zu töten. Ruben, der älteste Bruder war dagegen. Also zogen sie Yusuf aus und warfen ihn nackt in eine Grube. Aber auch das fand Ruben zu schlimm, so dass sie ihn schließlich an vorüberziehende Händler als Sklaven verkauften. Deren Karawane aber zog nach Ägypten. Dort verkauften die Kaufleute Yusuf an Potiphar, den Kämmerer und Hauptmann der Palastwache des Pharaos. Die böse Frau des Potiphar aber wollte den jungen Yusuf als Geliebten in ihrem Bett haben. Yusuf weigerte sich, weil er wusste, dass das nur Ärger bringen würde. Eines Tages gelang es aber der bösen Frau, Yusuf auf der Flucht vor ihr seine Kleider zu entreißen. Sie zeigte ihrem Mann und dem ganzen Haus die Kleider Yusufs als Beweis dafür, dass er sie vergewaltigen wollte. Yusuf kam ins Gefängnis, aber auch dort wurde er, weil er unter dem Schutz Gottes stand, recht gut aufgenommen. Eines Tages kamen auch der oberste Mundschenk, der Verwalter der Weine und Biere, und der königliche Hofbäcker ins Gefängnis. Sie träumten, dass sie drei Weinreben in der Hand hielten und drei Körbe voll Brot auf dem Kopf trügen. Yusuf deutete die Träume so, dass der Mundschenk in drei Tagen frei käme, der Bäcker aber in drei Tagen gehenkt würde. So kam es auch. Aber erst als auch der große Pharao einen bösen Traum hatte, fiel dem Mundschenk ein, dass er Yusuf versprochen hatte, alles für seine Befreiung aus dem Gefängnis zu tun. Dem Pharao hatte geträumt, dass auf seinen Weiden am Nil erst sieben fette Kühe geweidet hätten, dann aber wären sieben magere und hässliche Kühe gekommen, die die dicken und schönen Kühe gefressen hätten. Der Pharao war schweißgebadet aufgewacht. Man holte Yusuf also aus dem Gefängnis, zog ihm neue Kleider an und führte ihn vor den Pharao. Yusuf deutete die Träume so, dass nach sieben wirtschaftlich guten Jahren sieben Jahre der Teuerung und des Hungers kommen werden. Er riet dem Pharao deswegen, für die Jahre des Hungers Speicher mit Getreidereserven anzulegen. Der Pharao erkannte die großen Fähigkeiten Yusufs und machte ihn zu seinem Oberminister, also zum zweiten Mann im Reich. Yusuf ließ im ganzen Ägyptenland verkünden, dass er alles Korn aufkaufe und große Speicher bauen lasse. Und nachdem die sieben guten Jahre vergangen waren, begann in allen Ländern die Zeiten der Missernten, der Teuerung und des Hungers. Auch im Land Kanaan wurde das Essen knapp und der alte Vater Yakub schickte seine Söhne, mit Ausnahme von Binyamin, nach Ägypten, damit sie dort Getreide oder Mehl kaufen sollten. Als sie dort ankamen, erkannte Yusuf seine Brüder, aber die Brüder erkannten Yusuf nicht, denn er war ein großer, reicher und mächtiger Mann geworden. Um seine Brüder zu prüfen, warf er ihnen vor, Spione zu sein. Zudem wollte er wissen, warum der jüngste Bruder nicht dabei wäre. Er befahl ihnen, den jüngsten Bruder Binyamin zu holen, dafür sollten sie Simeon zum Pfand dalassen. Die Brüder merkten auch nicht, dass Yusuf ihre Sprache verstand, denn er redete mit ihnen über einen Dolmetscher. Sie zogen also zurück. Yusuf  hatte ihnen die Säcke vollfüllen und sogar das Geld zurückgeben lassen. Zuhause angekommen, betrübten sie ihren alten Vater noch mehr. Denn er hatte schon seinen Lieblingssohn verloren, nun war Simeon in Ägypten geblieben und Binyamin sollte dem Oberminister des Pharaos vorgeführt werden. Die Brüder wurden nun aber von ihrem schlechten Gewissen angetrieben, sie hatten wohl gemerkt, dass ihr Schicksal sich gegen sie gewendet hatte. Der Vater Yakub gab ihnen also Binyamin mit, dazu Balsam und Honig, Gewürze und Myrrhe, Datteln und Mandeln als Geschenke. Erneut prüfte sie Yusuf, indem er ihnen nun auch noch den Diebstahl seines silbernen Bechers anlastete. Als Yusuf alles auflösen und sie in sein Haus zum Essen einladen wollte, glaubten die Brüder an eine Falle und an das böse Ende einer – aus ihrer Sicht – bösen Geschichte. Yusuf aber hatte ihnen schon vergeben, als er nackt und dem Tode geweiht in der Grube lag. Er deutete die ganze Geschichte als ein Werk Gottes. Yusuf war von ganz unten nach ganz oben aufgestiegen. Zuguterletzt bat der Pharao Yakub und seine zwölf Söhne sowie deren Frauen und Kinder zu sich nach Ägypten. Yakub starb im Alter von 130 Jahren und wurde – seinem Wunsch gemäß – in Hebron begraben. Yusuf starb mit 110 Jahren und wurde zunächst in Ägypten begraben, aber später, als Musa und Harun ihr Volk nach Israel führten, mitgenommen und in Nablus beigesetzt, wo sich heute eine Gedenkstätte für Juden, Christen und Muslime befindet.  

*Bibel: Genesis (1. Buch Mose) Kapitel 37-50

Koran: Sure 12 Yusuf     

**Abdul Razaq

Worterklärungen:

Kanaan – Landesteil in Israel   Garben – gebündeltes Getreide   eifersüchtig – neidisch auf Personen    Sklave – Diener, der Eigentum ist   Karawane – Gruppe von Händlern in der Wüste, meist mit Kamelen   Kämmerer – Finanzbeamter   Palast  – Schloss, prächtiges Haus   Pharao –  König in Altägypten  Teuerung – Inflation, die Preise steigen, weil die Waren knapp werden   Speicher – Aufbewahrungsort   Getreide – Korn, das zu Mehl gemahlen wird     Reserve – Vorrat, Aufgehobenes   Oberminister – Kanzler, Großwesir, Prime Minister, Ministerpräsident   Spion – Kundschafter, Auskundschafter, der heimlich Informationen beschafft   Pfand – Gegenstand, der gegen einen anderen Gegenstand getauscht wird, um ihn später wieder zurückzutauschen     Dolmetscher – Übersetzer von einer Sprache in die andere    Gewissen – die Bewertung der eigenen Taten oder Gedanken     Schicksal – (durch Gott) vorbestimmtes Leben     Hebron – Stadt in Israel     Nablus – Stadt in Israel