FLUCHT AUS DEM SEMANTISCHEN GEFÄNGNIS II

Nr. 335

Wo es kein Brot gibt, gibt es auch keine Freiheit und kein freies Wort. Das ist eine Binsenweisheit. Aber leider ist uns deren Umkehrung nicht klar: die Inflation der Dinge schließt die Inflation atomisierter Gedankensplitter mit ein.

Gedankengänge zerlegen sich in telegrammartige Schnipsel, weil jeder, wie ein abgerichteter Hund, auf Stichworte reagiert. Weniger die Reproduktionsmedien wie Schallplatte und Film als vielmehr  Rundfunk und Fernsehen haben uns mit einer Flut überflüssiger Nachrichten zugeschüttet. Auch das ist schon oft gesagt worden.  Aber so, wie man zu viel isst, wenn man einen Überfluss an Essen im Angebot hat, so suchen sich auch die überzähligen Informationen – gleich dem Durchfall oder der Adipositas – einen Weg nach außen. Seit knapp hundert Jahren können wir im Stundentakt Nachrichten aus aller Welt hören und sehen. Damit wird auf der einen Seite die Lust an der Sensation geschürt, so wie sie früher in jedem Dorf zuhause war. Allerdings passierten in einem Dorf gewöhnlich nicht mehr als zwei bis drei Katastrophen jährlich. In den Funkmedien müssen also die Katastrophen des ganzen Landes und schließlich der ganzen Welt zusammengetragen werden. Durch diese Fokussierung auf das Elend einzelner entsteht der Eindruck des Elends aller. Überall in der Welt verbessert sich das Leben, aber in der gespiegelten Welt wimmelt es von Katastrophen und Elend. Und selbst das wird schon seit über einem halben Jahrhundert gesagt: only bad news are good news, aber wir lassen uns nicht abhalten, an das Elend zu glauben so wie früher die Menschen an die Auferstehung geglaubt haben.

Solange wir aber nur Rezipienten der überflüssigen Nachrichten waren und Opfer der atomisierten, nicht erörterbaren Gedankengänge, hielten wir still. Aber aus den ‚lieben Zuhörern und Zuschauern‘ wurden Menschen, die alles und jedes kommentieren konnten. Nach nur zehn Jahren kommentieren glaubt ein großer Teil der Kommentatoren nicht nur selbst der Urheber der Nachrichten, des Wissens und der Meinungen, sondern sogar auch der Taten selbst zu sein. Fake news sind keine Erfindung der Neuzeit, sondern die Rezeption der falschen Nachricht von einer Milliarde Menschen gleichzeitig. Die Verwechslung von aktiv und passiv hat schon Nietzsche vor fast 150 Jahren beklagt, aber er konnte nicht ahnen, dass eine Milliarde sich gleichzeitig zum Täter erklären wird. Die Reden, die früher ein solitärer Dr. Goebbels allein halten musste, werden heute im Internet von einer Million Kommentatoren gleichzeitig gehalten. Das sind schreckliche Zahlen, aber man darf nicht vergessen, dass mit jedem Schreihals oder Kommentator – auf jeder Seite – auch die Wirksamkeit nachlässt. Die Gegenseite zählt nur, aber keiner erzählt neues. Zwar vertieft sich die Spaltung, aber bei gleichzeitiger Zunahme der Redundanz. Nachrichten und so genannte Meinungen wirken also nur noch reziprok: je mehr es davon gibt, desto weniger Wirkung haben sie. Stattdessen glauben aber ihre Verbreiter an ein positives Paradox: je lauter sie riefen, desto erhörter würden sie sein.

Demgegenüber steht nicht nur das Bild vom Rufer in der Wüste. Es stellt eine Vergeblichkeit vor, vielleicht mahnt der Rufer auch Gedanken an, die wir schon lange kennen, aber verdrängen oder vergessen wollen. So wie die Ablösung des Hungers die Völlerei war und die Ablösung der Unmündigkeit und Unwissenheit die Redundanz, so sollte nach Jahrhunderten der Emanzipation und Selbstverwirklichung vielleicht wieder eine Zeit anbrechen, in der wir erkennen, dass wir nicht wert sind, dem anderen Menschen die Schuhriemen zu lösen. Wir haben lange gebraucht, um den eignen Gleichwert zu erkennen. Jahrtausende lang spielten Herkunft und Klassifizierung große Rollen. Vielleicht, wir wissen es nicht, ist die massenhafte gezielte Ermordung und Zwangsumsiedlung von Menschen nach Herkunft der Höhe-, aber gleichzeitig auch der Umschlagpunkt gewesen. Die Weltbevölkerung wird ihren zahlenmäßigen Höhepunkt um 2050 erreichen. Was spricht dagegen, dass es auch der moralische Höhepunkt der Menschheit wird? Dagegen spricht die Ideologie der Nachrichteninflation, nicht aber die Weltlage. Es gibt immer Rückschläge, jegliches hat seine Zeit, aber das behindert weder das Gute noch die Liebe. Schon immer hat es Schlechtredner gegeben, die sich selbst zu Realisten, die andern aber zu Träumern erklären. Aber seit den biblischen Zeiten – wenn wir sie historisch nehmen -, archäologisch sogar weit länger, haben sich die Träumer in das Gedächtnis der Menschheit eingeschrieben. Salomon soll siebenhundert Frauen gehabt haben, das würde selbst heute als ein Makel gezählt werden, aber geblieben ist nicht seine Verurteilung, sondern sein Urteil. Das Leben eines Menschen muss nicht zu seinen Taten und Gedanken passen, dafür gibt es viele Beispiele, der zerstreute Physikprofessor ist ein sympathisches Klischee dafür. Wer glaubt, dass er nichts glaubt, sondern, dass sein (!) Wissen ausreicht oder dass er das Wissen der anderen subsumieren könnte, überschätzt sich maßlos. Das trifft besonders dann zu, wenn seine Quellen ausschließlich inflationäre Nachrichten oder andere schnelllebige, atomisierte Splitter sind. Zwar hat sich die Hoffnung auf einen linearen Fortschritt nicht verwirklicht, sondern als Irrglaube erwiesen, aber von einer Kumulation von Wissen und Erfahrung können wir schon ausgehen. Und deshalb sollten wir auch nicht nur ständig Angst vor Manipulation, Verschwörung und Weltherrschaft haben. Es ist nicht zu bezweifeln, dass es das Streben nach Weltherrschaft gab und gibt, aber es vergeht auch ebenso schnell wie es kam. Wer das nicht glaubt, sollte sich immer wieder den Film ‚Der Untergang‘ ansehen, schon wegen Bruno Ganz. Überhaupt ist Angst, wie wir eigentlich alle wissen, ein schlechter Ratgeber. Wenn wir unser Leben schneller und gründlicher umdrehen könnten, von Selbstbehauptung zu Demut und von dauerkonsumieren zu geben und teilen, hätten wir weniger Angst. Früher haben wir alle, wie unsere Ahnen, an die Kraft der Herkunft und jede noch so widerliche Ableitung daraus gerne geglaubt, was hindert uns, ab sofort nur noch an die Kraft der Zukunft zu glauben. Zukunft braucht Zukunft und Optimismus, Glauben, Demut, Kraft, Schnelligkeit, Gedanken, Erörterungen, Menschlichkeit. Es gibt keine besseren Menschen, nur ein besseres Leben, es gibt keine schlechteren Menschen, nur ein schlechteres Leben, dessen Bedingungen sich langsam verändern lassen, wie man sieht.

FLUCHT AUS DEM SEMANTISCHEN GEFÄNGNIS

Nr. 334

Immer noch nicht vergessen ist die Zeit, in der wir Menschen in monistischen Verhältnissen lebten: der Gutsbesitzer war gleichzeitig Arbeitgeber, Richter, Entjungferer unserer zukünftigen Frau* und Patron der Kirche, in die wir bis zur Mitte des neunzehnten Jahrhunderts mit großer Regelmäßigkeit gingen, in der wir getauft, konfirmiert, verheiratet und in die Grube geschickt wurden. Vergessen ist, dass dieses Leben mit einem großen repressiven Aufwand seitens der Eliten ermöglicht wurde. Selbst der Familienvater, der gleichzeitig Opfer und unterster Delegat staatlich-kirchlicher Macht war, konnte seinen renitenten Sohn unter dem Schutz des Gesetzes totschlagen. In Armee, Kirche und Zuchthäusern wurde ebenfalls schlimmstenfalls bis zum Tod geprügelt. Die Menschen wehrten sich nicht oder nur selten, weil ein winziger Teil der Macht bis in die Familie hinein delegiert worden war, weil also die Ächtung bis hinein in den intimen, sensiblen Teil des Lebens wirkte. Der Preis für die monistische Ordnung war hoch. Seit der Aufklärung wird die repressive Durchsetzung der Ordnung schrittweise durch Liebe, Bildung und Demokratie ersetzt. Das war leicht, solange die Erinnerung an die vergangenen – also möglichen – Strafen noch hellwach war. Ein heutiger Steuerbescheid oder die Rechtshilfebelehrung auf einer Ordnungswidrigkeitenfeststellung benutzt dieselbe Sprache, in der einst drastische Strafen bis hin zum Tode verkündet worden waren. Die Elitensprache ist für weite Teile der Bevölkerung nur als Strafensprache erkennbar, selbst wenn sie sich mit der Sprache der Aufklärung kreuzt. So hört man nicht selten, dass Eltern ihre Kinder auffordern, etwas ‚vernünftig‘ zu machen, wenn sie ordentlich oder mit Schadensbegrenzung meinen. Die Vernunft ist also als Begriff bis ganz nach unten gesickert, muss aber dort für Ordnung und Durchsetzung stehen. Die Elitensprache der Gelehrten dagegen drang immer nur über Lehrer vermittelt, also auch stark zeitverzögert ins allgemeine Bewusstsein. So wird Darwin zum Beispiel bis heute nicht selbst gelesen, sondern es ist das am bekanntesten, was gar nicht von ihm ist: surviving of the fittest**. Im Austausch zwischen Wahrheit und Evidenz hat sich letztere wieder einmal durchgesetzt. Wir glauben jetzt zu wissen, was wir schon vorher geglaubt haben.

Dieses Gefangensein in einer Herrschaftssprache wird besonders deutlich in der auch heute noch üblichen Übernahme der Bürokratensprache. Bei der notwendigen Auswahl gleichrangiger Paragrafen einer Verordnung macht das Wort ‚beziehungsweise‘ Sinn. Im täglichen Leben reicht ‚oder‘, aber der Reiz der Partizipation an der Macht oder wenigstens an der Bürokratie ist zu groß, als dass man ihm widerstehen könnte. Die Demokratie hat also die sprachliche Observanz des Repressionszeitalters übernommen. Das kann man am besten an solchen Figuren zeigen, die beiden Zeitaltern angehörten, Adenauer, de Gaulle und Churchill, sie waren Patriarchen in der heraufkommenden Demokratie. Die Spiegelaffäre Adenauers trug stark autoritäre Züge, der Algerienkrieg war ein eindeutiges Relikt der Kolonialepoche, die ihrerseits der komprimierteste Ausdruck von oktroyierter Ordnung war. Für diese krassen Auswüchse des Autoritarismus musste extra das Christentum mit seiner humanistischen Botschaft ausgeschaltet werden.

Die Ausbreitung von fast omnipotenten Kommunikationsmitteln, die jeder und jedem auf der ganzen Welt verfügbar sind, hat nun dazu geführt, dass eine große Menge von Menschen den Boden der gemeinsamen Sprache verlässt. Statt einer überholten Herrschaftssprache wird nun die Sprache der Straße auf politische und allgemeinmenschliche Verhältnisse angewandt. Nun rächt sich, dass die Grundlagen der Liebe, Bildung und Demokratie nicht genügend verbreitet wurden. Zugunsten eines – für die Arbeitswelt ebenfalls notwendigen – mathematisch, naturwissenschaftlichen und ingenieursmäßigen Weltbildes wurde es vernachlässigt, die Notwendigkeit und die Herausbildung der Demokratie in Argumentationsketten von Kant, Rousseau und hannah Arendt zu studieren, unser Verhältnis zur Natur mit Darwin und Konrad Lorenz zu begründen und empathisches Verhalten nicht nur in der Familie zu fördern. So wird in der Schule – jetzt kommt ein triviales Beispiel – nicht nur der Abschreiber bestraft, sondern auch oft derjenige, der abschreiben ließ. Beides ist falsch. Hilfe und Solidarität ist immer ein übergeordnetes Verhalten, dessen Bestrafung den Bestrafer bestraft und seine Autorität zurecht untergräbt. Aber auch das Abschreiben selbst ist nur eine Sonderform des allgemeinen Kopierverhaltens, das auch nicht nur negativ zu sehen ist. Die Kopierfähigkeit von Kunst führte nicht nur zur Kunstpostkarte, sondern auch dazu, dass Musik die allgemeinste und allgegenwärtige Kommunikationsform wurde. Sie hat alle Religionen und Ideologien in den Schatten verwiesen. Dicht gefolgt ist sie von der Literatur in Form von Filmen oder Movies. Beides wird auch von einer Vielzahl von Menschen nicht nur konsumiert, sondern auch selbst gemacht. Wenn wir ganz kurz in unsere gedachte Dorfkirche zurückspringen, so konnten die damaligen Menschen nur konsumieren: die vorgegebene Musik, das zum Herrschaftswort umformatierte Narrativ des Christentums und die Herrschaft selbst, die in der Patronatsloge auch oft anwesend war und sich selbst und den Staat repräsentierte.

Durch den Computer und vor allem durch das Smartphone gelang es der übergroßen Mehrheit der Menschen, dem Gefängnis der Herrschaftssprache zu entkommen. Die Flucht führte keineswegs in Nichts oder in das Vakuum. Versatzstücke der neuen Sprache stammen vor allem aus Filmen und Texten der Musik. Fast ganz unbeachtet ist ein neues Genre der Kunst heraufgezogen, das über eine ganze Generation zu herrschen scheint: Rap. Aus dieser neuen halbaktiven Sprache und Sprachverwendung erwächst die Verachtung der Herrschaftssprache, die aber gleichzeitig die Demokratie mit ausschüttet. Die Elitenverachtung, die in den USA immer mehr als in Europa vorhanden war, hat endlich eine Ausdrucksmöglichkeit gefunden.

Das Ende des kalten Krieges war also nicht der Epochenbruch, sondern die Digitalisierung ist es. Gleichzeitig aber tritt der Mensch deutlich aus dem Arbeitsprozess heraus, bei gleichzeitiger ebenso deutlicher Zunahme der seiner Konsumtion. Alles das ist seit dem zweiten und letzten Weltkrieg immer weltweit zu denken. Die Menschen im Rest der Welt sind keine unmündigen Arbeitssklaven mehr, wie man an den soeben verschobenen Wahlen in Nigeria gut sehen kann. Zum ersten Mal in der Weltgeschichte wird ein Epochenbruch nicht durch gläubiges oder erstauntes Murmeln, sondern durch Milliarden Kommentare begleitet. Wahrscheinlich sind 99% dieser Kommentare unbrauchbar, aber das war früher, als es noch viel weniger Kommentare gab, auch nicht anders. Wir haben nicht nur das Gesetz der großen Zahl entdeckt, was nur der nüchterne mathematische Ausdruck für mehrere Wunder der Natur ist, sondern wir leben in einer Welt der Megazahlen. Wir sollten immer wieder versuchen, uns den Unsinn oder sogar Antisinn dieser unserer Welt vorzustellen: es gibt täglich eine Milliarde oft sinnloser  Kommentare und es gibt jeden Tag eine Milliarde vollgekackter Plastikwindeln, deren Entsorgung uns bisher vor unüberwindliche Schwierigkeiten stellt. Epochenumbruch. Ausgerechnet der Sprüchedichter eines Ölgroßkonzerns, nämlich ESSO, hat den Text vorgegeben, den wir statt aller Beschimpfungen, Empörungen und Besserwissereien jeden Tag einmal posten und dann auch beherzigen sollten: ES GIBT VIEL ZU TUN, PACKEN WIRS AN.

*aus Sicht der Frau überließ also ihr zukünftiger Mann der Macht die Hegemonie über die Liebe

**im Einvernehmen von Herbert Spencer als Metapher übernommen

WACHSAM LESEN

Nr. 333

Ein Abschiedsbrief

Es begegnet uns von Zeit zu Zeit ein Zeitgenosse, der an die magische Kraft des Rationalen glaubt. Selbstverständlich ist ein Leben logisch – hinterher, durch die Lebenslüge und den Nekrolog. Lebenslüge hört sich schrecklich an und wir denken vielleicht an einen Raubmörder, der in unserer Straße unter falschem Namen lebt. Aber wir selbst sind der Raubmörder. Wir selbst, jeder von uns hat sich seine Biografie selbst erschaffen, aber nicht den tatsächlichen Lebenslauf, sondern den gedachten: eins hin, zwei im Sinn, so wie wir es gelernt haben. Schon durch die mahnenden Worte unserer Mütter oder die Schelte der Väter wurde eine Person geschaffen, die eigentlich eine Personalie ist: ein fiktives Wesen, das sich trotz aller Misserfolge gleich blieb, gleich gut, gleich stark, gleich freundlich, hier teilt sich schon die Menschheit: oder gleich durchsetzungsfähig. Lange Zeit wirkten auch einfach Klischees: Frauen sind emotional, Christen sind nächstenliebig, außer Katholiken, die sind falsch, Afrikaner sind fröhlich wie Kinder und wir Europäer eben blond und rational, wie man leicht am Automobil erkennen kann, das wir alle, jeder einzelne von uns, immer wieder konstruieren.

Wir sehen, was wir sehen wollen oder können. Unser Geist will aufnehmen, aber die Synapsen sind verknotet wie das Seil eines Zirkuskünstlers oder wie der Softwareweg eines Computers, der sich aufgehängt hat. Wenn wir zwanzig Zeugen eines Verkehrsunfalls befragen, so wird es zwanzig teils sehr verschiedene Varianten geben. Es gibt schon über einen einfachen Verkehrsunfall keine Wahrheit. Wahrheit kann immer nur das Konstrukt einer, meinetwegen herrschenden, Gruppe sein. Dieses Zugeständnis an die Herrschaftskritik vergisst, dass die im Untergrund tagende und den Umsturz planende Widerstandsgruppe ebenfalls schon eine fertige Geschichte im Laptop hat. Wahrheit ist in Wirklichkeit eine Definition: einige Menschen haben sich für einen meist kleinen Zeitraum auf eine Formulierung geeinigt, die von anderen aber verlacht wird. Eine Definition hält die ewige Bewegung der Dinge, Prozesse und Meinungen für einen Moment an, eigentlich ist alles infinit. Deshalb sind auch die meisten Definitionen tautologisch, zum Beispiel Armut ist der Mangel an Lebensmitteln oder Armut ist das Leben unter dem Existenzminimum.

Ohne Vorurteile kann man nicht leben und denken, aber wer nur mit Vorurteilen durch die Welt geht, wird niemals etwas neues sehen oder hören. Für denjenigen oder diejenige gibt es keine Spontaneität der Ereignisse, sondern nur Manipulation. Letztendlich geht so ein Weltbild von einem, wie es bei Hegel heißt, Demiurgen aus. Hegels Demiurg war so etwas wie ein umgekehrter Chirurg, der die kranke Welt durch Schnitte heilen will, sie aber dabei kaputt und immer kaputter macht. Selbstverständlich gibt es Manipulation, aber sie ist weder in der Politik noch im täglichen Leben der bestimmende singuläre Beweggrund. Unerklärliches wurde von der einen Gruppe als Vorsehung, von der anderen als Gesetzmäßigkeit gedeutet. Wie irrational der Glaube an einen übergreifenden Demiurgen ist, zeigt der Vergleich zweier historischer Ereignisse, wenn auch unterschiedlicher Wertigkeit: der Beginn des zweiten Weltkrieges und der Fall der Berliner Mauer jeweils als höchst komplexe und irrationale Geflechte von hilflos agierenden Menschen, immer wieder schön: Schabowski als Gipfel der Inkompetenz. Shakespeare trifft es am besten: life’s but a walking shadow, it is a tale told by an idiot, signifiying nothing [Macbeth V5]. Das ist vielleicht sogar am schwersten zu begreifen: das meiste bedeutet nichts.

Wenn  also jemand sagt, er läse zwar das falsche, aber er sei dabei sehr wachsam, so kann man beide Aussagen ins Reich des irrationalen entsorgen. Es gibt selbstverständlich kein richtiges und kein falsches, denn was dem einen wichtig ist, ist der anderen widerlich. Jeder weiß zum Beispiel, dass RT eine Propagandamaschinerie ist, die so agiert wie früher die Prawda, eine Zeitung des Sowjetimperiums, die Wahrheit hieß, der aber niemand glauben konnte. Trotzdem haben viele geglaubt, was darin stand, schon deshalb, weil sie nicht glauben konnten, dass man eine ganze Welt erfinden und in eine Zeitung schreiben kann. Ein beliebter Spruch in der Sowjetunion, angeblich war er von Lenin, mit dem damals Eltern ihren kleinen Kindern drohten – wahrscheinlich, weil er allgegenwärtig war -, versprach, dass Vertrauen zwar gut, aber Kontrolle besser sei. Obwohl es offensichtlich umgekehrt ist, die ganze Welt und die ganze Weltgeschichte auf Vertrauen und Loyalität beruht, stand er damals an jenen Fabriken oder Baustellen, in denen das gestohlen wurde, was es wegen der Planwirtschaft nicht zu kaufen gab. Jeder wusste damals, dass die Chruschtschow-Neubauten wegen mangelnder, unmöglicher oder absichtlich verhinderter Kontrolle so aussahen und immer noch aussehen, wie sie aussehen: schief und krumm, mit der heißen Nadel hingeworfen. Kontrolle ist unmöglich. KGB, Securitate, Staatssicherheit, Mossad, CIA, BND und Verfassungsschutz, sie alle wollten oder wollen ganze Völker kontrollieren, aber haben nicht ein einziges Ereignis voraussehen oder gar verhindern können. Kontrolle ist nur sehr teilweise möglich. Deshalb passieren Unfälle. Man kann wachsam sein, aber man wird dadurch weder klüger noch sicherer.

Wir lesen zumeist das, was wir schon wissen oder was wir wissen wollen oder was wir glauben zu wissen. Geraten wir zufällig an das Gegenteil, erklären wir es kurzerhand für manipuliert. Was wir auch lesen, es wird immer die Bestätigung dessen sein, was wir wollen. Manchmal wollen wir mit den Millionen im mainstream schwimmen, an anderes Mal sind wir stolz auf unser widerstehen im Gegenstrom.

Mein schöner Satz, dass, wer einen Text liest, sein Autor wird, wird natürlich gerne sehr positiv verstanden: von der Mitwirkung des schlauen Lesers an den großen Denkprozessen der Weltliteratur. Aber er kann auch meinen: Egal in welches Buch du blickst, du siehst immer dasselbe. Millionen Leser haben die Ironie Mephistos wörtlich genommen: denn was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nachhause tragen. Andere Millionen haben Senecas Witz, dass wir für das Leben lernen sogar über Schulen gemeißelt. Am neuen Museum in Berlin, jenem schmählichst geschundenen, aber auch wunderbar wieder auferstandenen Stüler-Bau, steht, jetzt etwas durch die neue Eingangshalle verdeckt, dass die Kunst niemanden hasst, nur die Unwissenden, aus denen wir das Wort Ignoranten gemacht haben. So ist es auch mit dem Leben, es hasst niemanden, aber die Ignoranten haben es schwer. Die Kraft des Rationalen ist allzu oft nur fiktiv, weshalb die rationale Kraft des Fiktiven allzu oft übersehen wird.

ES WIRD ALLES [GUT] [WERDEN]

Nr. 331/332

I

Nach dreieinhalb Stunden über den Wolken, wo immer die Sonne scheint, ist man in einer anderen Welt. Zwar ist Island in vielen Punkten seinen skandinavischen Brüdern oder Schwestern sehr ähnlich, aber es unterscheidet sich auch. Das faszinierendste an Island ist, dass nur 350.000 Menschen nötig sind, um diesen Wohlstand, diese Gelassenheit und Freundlichkeit aufrechtzuerhalten. Die großen Hotels, Reykjavik ist eine einzige Baustelle, werden allerdings von polnischen Gastarbeitern gebaut, die auch bei bitterer Kälte und andauernder Dunkelheit unermüdlich am Schweißen und Hämmern sind, assistiert von Unmengen von Kränen. Diejenigen Isländer, die Geothermik für ihre Heizung benutzen, lassen diese Tag und Nacht auf 80°C laufen und können unbesorgt auch die Fenster geöffnet lassen. Viele Menschen scheinen zwei Autos zu besitzen, einen Kleinwagen für den Sommer und einen großen SUV, der früher Allrad hieß, für den Winter. Es gibt sogar ein Verkehrsschild: Allrad empfohlen. In der Nationalgalerie hängt eine Fotoserie von Olafur Eliasson, die fünfunddreißig der merkwürdigsten Unfälle zeigt, die trotz schwerer Autos passierten: in Schnee und Eis und Wasser und Vulkanlöchern verschwundene Autos oder Busse. Der Fotograf ist nicht verwandt mit dem gleichnamigen Organisten an der protestantischen Domkirche, der jeden Dienstagabend aus Bachs Wohltemperierten Klavier auf einem estnischen Flügel spielt. Und dieser Titel erhält hier eine schöne Nebenbrisanz. Die kleine, sehr schöne Kirche war gut beheizt und schlecht besucht. Hier wimmelt es nur so von guten Ideen, und niemand scheint sich von mangelnder Resonanz abschrecken zu lassen.

Mehrere Busunternehmen bieten Rundreisen an, und wir wählten Geysir, Wasserfall und Amerikaspalte. So wie man in Istanbul auf der einen Seite des Bosporus nach Asien, auf der anderen nach Europa blicken kann (während man am Goldenen Horn von der türkischen auf die ehemalige griechische Seite sieht), so steht man hier auf der europäischen Platte und fotografiert die nordamerikanische oder umgekehrt. Vor etwas mehr als tausend Jahren fand hier das berühmte Thing, das basisdemokratische Parlament der isländischen Männer (!) statt. Der Führer redete gegen die amerikanische Felsenwand und das Echo seiner Worte erreichte ohne weitere Verstärkung seine Zeit- und Landgenossen. Natürlich fällt uns sofort Troll Trump ein, der hier seine Mauer vorfinden würde, die Amerika vom Rest der Welt trennt. Aber das geografische Unwissen amerikanischer Präsidenten und vieler ihrer Mitbürger ist legendär – my name is legion, for we are many. Am Wasserfall, der ein gespaltener Fluss ist, waren -17°C und der orkanartige Wind aus dem Film Goldrausch. Man wärmt sich dann in einem der 1000 Luxusläden auf. Unser pakistanischer versierter Guide hatte uns schon auf die Schwierigkeit hingewiesen, die Viersekundenaktivität des Geysirs zu fotografieren. Das schaffen wohl nur professionelle Fotografen. Aber diese Erkenntnis hindert hunderte japanische Touristen nicht am warten und aberwarten bis zum Aberwitz.

Ich habe sozusagen als doppeltblinder Passagier in einer Studenten-WG übernachtet, in der es ein ständiges kommen und gehen gab, während im untergegangenen Ostblock alle Studenten sich fünfzehn Minuten nach acht einzufinden hatten. Das war übrigens der Grund, dass beim Absturz eines sowjetischen Jagdflugzeuges in der Technischen Hochschule Cottbus niemand außer dem Piloten zu Schaden kam. Heute wird aber englischsprachige Flexibilität eingeübt, und eingeübt ist nicht das richtige Wort: vielleicht eingelebt, vielleicht sogar eingeliebt. Einige meiner rechten Leser hadern immer wieder mit meiner und der allgemeinen Auffassung von Globalisierung. Sie ist genauso wenig umkehrbar wie die Entdeckung Amerikas durch Erik den Roten und seinen Sohn Leif Erikson und Christofor Colombo, der mittlere steht als riesige Statue vor der expressionistischen Halgrims-Beton-Kirche, die wie ein Eiszapfen des lieben Gottes aussieht. Diese Unumkehrbarkeit, unter der wir alle leiden und um derentwillen es so schöne Märchen gibt, ist gut durch den Unterschied von Addition und Kumulation beschrieben: durch hinzufügen verändert sich die Ausgangsbasis. Es führt kein Weg zurück in vorkolumbianische Zeitalter. Auch wenn man Globalisierung als Sündenfall sieht, sie ist geschehen, und wir müssen mit ihr leben. Daraus eben ergibt sich unsere Verpflichtung, nicht aus Schuld.

Seit der Finanzkrise von 2008, in der Island unterzugehen drohte, setzt es auf nur zwei wirtschaftliche Faktoren: Aluminiumschmelze wegen der niedrigen Energiepreise und Tourismus wegen der einzigartigen Naturschönheiten. Mehr als 99% der Energie wird aus Wasserkraft und Geothermik gewonnen, so dass es sich lohnt, Bauxit, den Ausgangsstoff der Aluminiumproduktion, von weither zu holen, um ihn hier zu schmelzen und zu verarbeiten. Die Touristen dagegen kommen von selbst. Der größte von mehr als hundert Flughäfen, Keflavik, ist ein ehemaliger NATO-Stützpunkt. Island ist Gründungsmitglied er NATO, stellt aber heute nur noch Radarstationen und medizinische Hilfe zur Verfügung, auch darin sollte es uns Vorbild sein. Dieser Flughafen ist deshalb ziemlich groß, weil er, von uns in Zentraleuropa nicht beachtete, der größte Umschlagplatz zwischen Europa und Nordamerika ist. Nach Kanada und in die USA ist es ein Katzensprung. Warum der Flughafen so angenehm leise, voller Hilfe und Freundlichkeit ist, bleibt isländisches Geheimnis.

Die Touristifizierung[1] Islands und des gesamten Abendlandes, so der mich begleitende Volkswirt, ist Gefahr und Chance zugleich. Für Island kann man tatsächlich eine neuerliche tiefe Krise befürchten, wenn man Pessimist bleiben und das einstige Ausbleiben der Touristen voraussagen will. Venedig und Florenz müssen ohnehin – und nicht zum ersten Mal – ihre Existenz neu bedenken.

Aber es gibt noch mehr kleine Länder voller Wunder. So wie Island als Modell, wenn nicht sogar als Paradigma, dienen kann, könnte man ein anderes kleines Land in der immer noch so genannten dritten Welt aussuchen und mit dem demokratisch eingeholten Einverständnis[2] seiner Bewohner zu einer touristischen Oase ausbauen, in der viele Beschäftigung und Lebensunterhalt finden könnten. Auch in Eritrea – zum Beispiel – gibt es Vulkane und durch die Höhenlage dünne Luft zum Trainieren, Wandern, Radfahren, Bergsteigen. Es gibt in der Hauptstadt Asmara futuristische (also spätexpressionistische) Architektur, mit der der italienische Diktator Mussolini, übrigens ein ehemals sozialdemokratischer Lehrer, den Weltherrschaftsanspruch Italiens begründen wollte. Es gibt eine italienische Eisenbahn von vor 150 Jahren, die genau so noch in Betrieb und bis jetzt das einzige touristische Ziel ist. Es gibt Felsenklöster wie in Tibet und uralte kulturelle Zeugnisse, deren Ursprünge mit dem weisen König Salomo datieren. Eritrea und Island sind außerdem durch die bis heute anhaltende Sitte der Patronyme verbunden und verähnlicht.

Wer nach Island fährt, kommt auf jeden Fall mit Visionen auch für sein Leben zurück, und er lernt die Gelassenheit der Isländer schätzen: Þetta reddast – es wird alles [gut] werden.

[Ich danke meinen Söhnen CST, TST, CDS und ARS für die Finanzierung der Reise als Geburtstagsgeschenk und darüber hinaus CDS für die sachkundige und liebevolle Betreuung und wissenschaftliche Begleitung.]

 

II

Wer ankommen will, muss aufbrechen. Dazu war in den letzten fast dreißig Jahren reichlich Gelegenheit. Wenn in Ostdeutschland die Verhältnisse nach wie vor schlechter sind als im Westen, dann gibt es mehrere Möglichkeiten, das zu verändern: man kann dorthin gehen, wo es besser ist, man kann hier etwas verändern oder aber man kann jammern, und noch schlimmer: sich einem der Jammervereine anschließen. Die ganze Debatte um die Ungerechtigkeit dauert seit 1990 an, aber 1990 war sie auch berechtigt und verständlich. 2019 dagegen ist diese Debatte, wenn sie mit den gleichen Argumenten geführt wird wie damals, überflüssig, überholt und kontraproduktiv. Es gibt keine Gerechtigkeit. Und deshalb gibt es Religion, politische Parteien und den Sozialstaat. Das Streben nach Gerechtigkeit, das uns allen eingegeben ist, ist dagegen kein Himmelsgeschenk, sondern ohne eigene Beiträge nicht ergiebig.

Die erste Grundannahme, die man ändern muss, ist die, dass den ostdeutschen etwas genommen wurde. Bekanntlich fanden 1990 Wahlen statt, bei denen die CDU eindeutig gewonnen hat. Statt sich solange über dieses Ergebnis, dessen Hauptursache alle, die dabei gewesen sind, erinnern können, zu wundern bis es seitenverkehrt erscheint, sollten wir uns lieber darüber aufregen, dass wir die vierzig Jahre davor an Wahlen teilgenommen hatten, deren Ergebnis immer schon feststand. Nur eine Handvoll von uns hat sich dagegen gewehrt. 1990 wurde also niemandem etwas genommen, sondern vielen etwas gegeben: von Mallorca und Bananen bis zu neuen Straßen und Häusern. Im Supermarkt hört man erfreulicherweise niemanden über Ungerechtigkeit und Westprivilegien schimpfen.

Die zweite falsche Annahme ist, dass man überhaupt jemandem die Heimat nehmen kann. Selbst für einen Deportierten bleibt sie da, wo sie ist, nämlich links hinter der Birke und in seinem Herzen. Ein Staat ist keine Heimat, auch wenn das die Hymnen der autoritären Länder suggerieren wollen. Wäre ein Staat eine Heimat, dann hätten alle Menschen in Deutschland 1918 und 1933, 1945 und viele 1989 ihre Heimat verloren. Das ist einfach Unfug. Erstens behaupten nicht alle Ostdeutschen, dass ihnen jemand die Heimat stahl, und zweitens sollten wir uns genauer ansehen, was der andere Teil, der glaubt, dass ihm etwas genommen wird, meinen könnte. Die DDR war weniger vom Staatsterror bestimmt, vielmehr von der Overprotection[3]. Alles, fast alles, war im Osten vorherbestimmt und demzufolge vorhersehbar. Um dieses System der Staatsgeschenke aufrechterhalten zu können, wurde zuerst die Mangelwirtschaft als Preis bestimmt, dann das Unwesen der Westkredite, was auch den endgültigen Untergang des kleinen Landes brachte, wenn man einmal die außenpolitischen Faktoren außeracht lässt. Aber es gab auch noch einen anderen Preis zu zahlen, wenn auch nur für eine bedauernswerte Minderheit: wer sich ernsthaft den Staatsgeschenken widersetzte, der hatte auch mit ernsthaften, schwerwiegenden Folgen zu rechnen. Wenn man also alle diese Bedingungen missachtet, dann könnte diese Form des staatlich gelenkten Overprotection als Geborgenheit interpretiert werden. Und wenn man das tut, dann, und nur dann kann man sagen, dass uns etwas genommen wurde: nämlich die staatlich verordnete Unmündigkeit. An ihre Stelle hat sich das gesetzt, was Kant aus Königsberg und das Grundgesetz wollten und was jeder vorher hätte nachlesen können: der Ausgang aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit, die Initiative, die Verantwortung eines jeden für sich selbst. Die kalte Pranke des Kapitalismus wurde und wird flankiert durch Bildung, Wohlstand und Demokratie. Niemand ist verpflichtet, ein lupenreiner Demokrat zu sein, während man im Osten schon verpflichtet war, DIE PARTEI, die immer recht hatte, höher zu stellen als die Demokratie aus dem Namen des Landes, das in der eigenen Unfähigkeit ertrank. Aber das heißt noch lange nicht, dass alle seine Einwohner unfähig waren. Ein Staat ist nicht nur keine Heimat, sondern auch nicht identisch mit seinen Bürgern. Wenn mein Nachbar nicht schwimmen kann oder will, muss er sich dafür nicht rechtfertigen. Vielleicht gehört er zu jener Gruppe, die meint, dass in den Wäldern mehr steht als in den Büchern und dass Wasser keine Balken hat. Rechtfertigen muss man sich nur für Untaten, nicht für Unglauben. Das ist gerade der Fortschritt, den wir feiern sollten, nicht der Verlust, den es nicht gab und den wir deshalb auch nicht fortwährend bejammern müssen. Bei jeder Veränderung gibt es Pioniere und Nachzügler. Wer weiter das Pionierlied von unserer schönen Heimat singen will, kann das gerne tun, wer nicht zur Wahl gehen mag, wird nicht von Schleppern abgeholt und genötigt. Weniger Ärzte und Schulen gibt es nicht, weil wir im Osten unterprivilegiert sind, sondern weil es hier immer weniger Menschen gibt. Allein in meiner Heimat, der Uckermark, die so groß ist wie das Saarland, nur viel schöner, geht die Einwohnerzahl von 1990 bis 2030 von 170.00 auf 100.000 zurück, während sich meine Altersgruppe verdreifacht. In Island, wo nur etwas über drei Menschen je Quadratkilometer leben, jammert niemand. Sie steigen dort in ihr Privatflugzeug und sagen: Þetta reddast – es wird alles [gut] werden. Und Island ist in der Weltrangliste der Demokratie auf Platz zwei. Es gibt also genug zu tun.

[Dieser Text ist eine Erwiderung auf den Artikel ‚Über das blinde Privileg, westdeutsch zu sein‘ von Carsten Korfmacher im Nordkurier vom 29. Januar 2019, den ich in Island gelesen habe.]

[1] CDS

[2] beachte: in Afrika sind die Menschen keine analphabetischen Skelette mehr, denkende Menschen waren sie aber auch schon vorher.

[3] Überfürsorge