DIE HERKUNFT ALS LEGENDE

Nr. 354

Wer durch seine Taten behindert ist, wird durch seine Herkunft nicht beschleunigt. 

an-Nawawi [1233-1277], Hadith 36

Die Herkunft erscheint uns lange als sicherer Ort, ja, als sicherster. Wenn wir einsam sind, wenn wir in Massen unterzugehen scheinen, dann ist es die Herkunft, die uns tröstet und führt. Unsere Eltern und der Ort unserer Geburt scheinen gewiss.

Die Unsicherheit der Vaterschaft war der Ausgangspunkt des fünftausend Jahre währenden Patriarchats. Die dazu passende Legende haben wir hier schon oft erzählt: Zeus hatte Lust auf die glücklich verheiratete Leda. Also näherte er sich ihr als Schwan und schwängerte sie. In der gleichen Nacht wohnte ihr aber, um es biblisch und antik auszudrücken, auch ihr Gatte Tyndareos bei, so dass die Zwillinge, die sie gebar, teils göttlicher, teils menschlicher Abstammung waren, wie wir alle. Als der große Sexforscher Alfred Kinsey 1948 und 1954 seine ersten großen Studien fertig hatte, stellte sich heraus, dass im prüden und angeblich streng monogamen Amerika zehn Prozent aller Kinder nicht vom Ehepartner ihrer Mutter stammten, ein Drittel der Menschen waren nicht treu. Im Nachkriegsberlin gab es einen sechzehnjährigen Jungen, der sich darauf spezialisiert hatte, die Gattinnen der fernen Helden zu befriedigen, die ihm oft schon beim Essen unter dem Tisch die Hose öffneten. Nach seinen eigenen Angaben soll er so 1000 Frauen heimgesucht haben. Sicher ist er oft Vater geworden. Das Ergebnis des strengen Patriarchats ist also Chaos, das Erbe geriet allzu oft in falsche Hände. Wir alle sind mit großer Wahrscheinlichkeit falsch, weil es ein richtig nicht gibt.

Über die Unsicherheit der Mutterschaft gibt es ebenfalls eine jahrtausendalte Legende, und zwar sowohl im nahöstlichen wie im fernöstlichen Kulturkreis. Brecht gab der Geschichte in seinem Kaukasischen Kreidekreis sogar noch ein klassenkämpferisches Attribut, in dem die eine Mutter ihren Reichtum als Argument einzusetzen versucht. Die hohe Säuglingssterblichkeit, die in Zeiten des Hungers oft als Segen empfunden wurde, war manchmal auch oft schmerzlich. Und so führte das enge Zusammenleben der Menschen vielleicht zum Streit unter zwei Müttern über die Mutterschaft, zumal es früher kein sicheres Erkennungszeichen jenseits der Muttermale gab. Jedenfalls ließ sich der große König Salomon, als zwei Mütter sich um das eine überlebende Baby stritten, ein Schwert kommen und drohte die Teilung an. Dank seiner Weisheit stellte sich heraus, dass Liebe und Besitz sich ausschließen: die wahre Mutter verzichtete zugunsten ihres Kindes auf die königliche Anerkennung ihrer Mutterschaft, die ihr aufgrund ihres Verzichts dann zugesprochen wurde. 1995 und 2014 sind in Südafrika zwei Fälle von unfreiwilligem Müttertausch bekannt geworden. Beim zweiten Fall möchte die eine Mutter ihre leibliche Tochter wiederhaben, die andere möchte die bei ihr sozialisierte behalten. Zur Lösung brauchte man einen neuen König Salomo.

Babyklappen gibt es mindestens seit dem Mittelalter. Trotzdem kann man jetzt einwenden, dass das alles nur Einzelbeispiele und Ausnahmen sind, aber das gilt nur, wenn man lediglich eine Generation betrachtet. Das menschliche Chaos wird größer, wenn man den Beobachtungszeitraum erweitert. Daran ändern auch nichts die biblischen und adligen Genealogien. Sie sind Märchen, wenn auch die erste Fiktion eine Abbildung von Taten war.

Wir können uns auf unsere Herkunft weder verlassen noch berufen. Wir sind wie Blinde auf dem Seil. Jedes Tun, jede Tat und vor allem jede Untat ist riskant und kann gegen uns verwendet werden. Die Einteilung der Menschen in Gruppen ist nichts als eine unzulässige Verknüpfung von Herkunft und aktueller Tat. Dagegen wendet sich der weise islamische Gelehrte, dessen Auslegung des Korans und der überlieferten Lehren des Propheten Mohammed vor allem zwei Erkenntnisse zeigen: alles ist Auslegung und alles ist menschlich. Die Tat kann zur Untat werden, und wir können uns dann nicht auf die Taten unserer Vorfahren berufen. Die Anerkenntnis, dass früher fast alles schlechter war, weil differenziertes Denken durch Hunger, Pest und Krieg oft verhindert wurde, fällt uns schwer, weil wir nach Sicherheit auch jenseits des Glaubens und des Sozialstaats suchen. Der mathematische Ausdruck für die Minimierung des Risikos durch große Mengen von Menschen, 1/√n ähnelt für Nichtmathematiker dem Seitenverhältnis unserer Papierformate 1/√2. Die philosophische Abstraktion ist nicht mehr der mathematischen gleich. Die Philosophie befasst sich, obwohl ihr in den letzten hundert Jahren Hilfswissenschaften wie die Soziologie oder die Anthropologie beigesellt wurden, zu sehr mit Alltagsproblemen.

Wenn also Taten und vor allem Untaten nicht durch die Herkunft getilgt werden können und die Herkunft niemanden beschleunigen kann, es also keine auserwählten Menschen, Völker, Nationen, Religionen, Hautfarben geben kann, dann ist die Tat, so wie es im ‚Faust‘ steht, das einzige Unterscheidungsmittel. Aber jede Tat für die Menschheit, und sei sie noch so klein, erhöht gleichzeitig die Qualität des Allgemeinmenschlichen, des Guten, Edlen und Hilfreichen. Wer also sich durch seine Herkunft nicht behindern lässt, kann durch seine Taten beschleunigt werden. Statt über Herkünfte und Regeln zu brüten und zu grübeln, sollten wir einfach mehr tun, als uns immer nur mit uns selbst zu beschäftigen. Man erkennt sich im anderen schneller als man denkt. Jedes Aufeinanderzugehen beschleunigt die Liebe. Gerade dass wir die Welt als zu schnell empfinden und ‚entschleunigen‘ wollen, was wir zu einem neuen Modewort gemacht haben, zeigt, dass wir zu langsam sind in bezug auf die Globalisierung von Menschlichkeit, von Gefühl, von Denken. Lebensretter, bei den Türken sogar ein Familienname Cankurtaran, zeigen, dass man im entscheidenden Moment nicht zögern darf. Die Welt wird gerettet durch das tiefe Denken und die schnelle Tat. Das Risiko bei beiden ist gleich hoch, weshalb wir beides scheuen.

Vielleicht sollten wir uns statt des Namens unserer unsicheren Mutter und unseres noch unsichereren Vaters lieber die Formel für die Risikominimierung auf die Stelle unserer Haut tätowieren lassen, wo wir früher eine Uhr getragen haben. Inzwischen kann eine ganze Generation mit einer analogen Uhr kaum noch etwas anfangen., was die Konzentration auf das Hier und Jetzt fördert.  Die Suche nach der verlorenen Zeit behindert unseren Tatendrang.

Wer sich durch seine Herkunft nicht behindern lässt, kann durch seine Taten beschleunigt werden.                

DIE ELENDEN SOLLEN ESSEN

Nr. 353

Die Ungerechtigkeit der Welt zu beklagen ist nicht nur richtig, sondern bringt auch viel Zustimmung. Aber es ist höchst ungerecht, die Fortschritte der Menschheit in den Strudel des Populismus zu werfen. Neid ist ein böses Kleid, aber wer es anzieht, beschmutzt sich selbst. Es gab noch nie so viel Geld, soviel Reichtum, aber es gab auch noch nie so wenig Hunger, Pest und Krieg[1]. Es gab noch nie so viel Freizeit, Kunst und Unterhaltung, es gab noch nie so viel Wissen für alle. Die Elenden der Welt leiden weiter unter der Ungerechtigkeit, aber sie hungern nicht mehr und sie sind keine Analphabeten. Sie sind nicht abgeschnitten vom Wissen der Welt. Im Gegenteil, sie erfahren täglich Dinge, die nichts mit ihrem Leben zu tun haben, die aber immer auch Lösungsmöglichkeiten für Probleme enthalten, die wir alle haben. Die Kluft mag größer werden, aber es muss heute daraus kein Dissens mehr konstruiert werden. Gleichzeitig muss man aber auch bedenken, dass die Sicht, die Kluft würde größer, vielleicht selbst veraltet ist. Wenn es auf der Seite der Armen so viel weniger Elend gibt, dass selbst die verbohrtesten Marxisten auf die Verelendungstheorie ihres Begründers verzichten mussten, dann sollte man einen neuen Blick auf die Welt wagen.

Ist es nicht vielmehr so, dass auf der einen Seite der Welt die Menschen sich nach dem scheinbar omnipotenten Konsumismus sehnen, den sie auf der anderen Seite der Welt in ihren Fernsehapparaten und Smartphones sehen? Der Konsumismus ist der neue Kommunismus. Die reiche Seite der Welt verzehrt sich währenddessen an ihrem schlechten Gewissen, ihrem Überdruss, leidet an dem Wachstum, das sie nicht stoppen kann. Verlustängste werden zu Alpträumen. Aber das Leid der unablässig wachsenden Welt ist schon ein Alptraum, weil er vom ebenfalls zunehmenden und unübersehbaren Tod der Natur begleitet wird.

Die Lösung dieser Menschheitsprobleme sind also weder neue Parteien, die einfache Antworten in Unterschichtsprache zu geben versprechen, noch alte Parteien, die in ihrem Parteikauderwelsch so sehr erstarrt sind, dass sie sich selbst vergessen.

Vielleicht gibt es keine Lösung. Man muss das Scheitern nicht nur für Personen und Ideen denken können, es kann sich auch auf die Menschheit oder das Universum ausdehnen. Pflanzen- und Tierarten sind ausgestorben, Kulturen, Imperien und Nationen sind untergegangen, Menschen und Ideen haben sich selbst ad absurdum geführt. Byzanz wurde am 29. Mai 1453 von Mehmet II. erobert, aber das Sowjetimperium ist an seiner Hybris zerbröckelt. An Apokalypsen hat es nie gefehlt, und dass bisher keine in Realität umschlug, heißt nicht, dass das so bleibt. Was wahrscheinlich ist, muss nicht wahr werden, und was wahr wird, muss nicht wahrscheinlich gewesen sein. Andererseits ist mit Apokalypsen immer auch Stimmung gemacht, sind Ängste instrumentalisiert worden. Das Scheitern der Zeugen Jehovas beim Voraussagen des Endes der Welt zeigt nur, dass niemand die Zukunft voraussagen kann. Geheimdienste mögen erfolgreich sein in der Ausforschung der Vergangenheit, zum Beispiel bei der Verfolgung Eichmanns, aber die Zukunft können auch sie nicht voraussagen. Hier zeigt sich, dass der Konsumismus nur scheinbar omnipotent ist: Weisheit kann man nicht kaufen.

So wie die Schallplatte Emil Berliners das gesamte Universum der Information und Unterhaltung, Konservierung und Reproduktion revolutionierte, ohne dass irgendjemand diese Umwälzung vorher ahnte, obwohl alle Elemente dieser Technologie schon vorhanden waren, so wird auch innerhalb der bereits bekannten Systeme, Prozesse, Ideen oder Menschengruppen eine Vision entstehen, deren langsame Verwirklichung ein Weiterleben ermöglicht.

Die Probleme sind nicht leicht zu lösen. Wir müssen eine bis vielleicht 2050 wachsende, dann schrumpfende Weltbevölkerung ernähren, ohne das heute übliche extensive oder intensive Wachstum. Das gleiche gilt für den Energiebedarf, der völlig ohne fossile Träger reduziert und gedeckt werden muss. Die Verträglichkeit mit der Natur ist nicht nur Naturschutz um seiner selbst willen, auch nicht nur um den Menschen als Teil der Natur zu schützen, sondern er dient genauso auch der Förderung und dem Schutz der menschlichen Empathie. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, wie kann er die Natur lieben, die er nicht sieht?[2]

Wir müssen eine Ordnung finden, die gleichzeitig offen und geschlossen ist. Der Diskurs ist umständlich und langwierig, jedes seiner fragilen Ergebnisse wird sofort angezweifelt. Der Zweifel mag das Automobil und das Smartphone gebären, für das Zusammenleben der Menschen ist er toxisch. Charisma neigt nur selten zur Demut, deshalb sind Führer, so beliebt sie auch zeitweilig sein mögen, schädlich für das Zusammenleben. Trotzdem wird in der Zukunft vielleicht eine Symbiose aus Charisma und Diskurs den Rahmen einer Ordnung bilden, die heute nicht vorstellbar ist. Vor kurzem war auch die Emanzipation der Frauen und der Elenden und der Kinder noch nicht denkbar. Was heute nicht denkbar ist, ist deshalb nicht undenkbar. Wir müssen vielmehr historisch denken und dürfen nie den Beitrag Einsteins zum Weltdenken vergessen: Es gibt keine Gleichzeitigkeit, und was nicht synchron ist, ist deshalb noch lange nicht ahistorisch.

Der Sinn unseres Daseins erschöpft sich indessen nicht im Essen. Je weniger sich Ernährung als Problem zeigt, je weniger also reine Reproduktion als Sinn des Lebens gesehen werden kann, desto mehr muss für eine dann wieder kleiner werdende Menschheit ein Sinn jenseits der Arbeit gefunden werden. Das Senftenberger-See-Syndrom führt dabei, selbst wenn es im Moment als richtig und sogar richtungweisend empfunden wird, in die falsche Richtung: man kann nicht einfach reparieren, was man vorher zerstört hat. Man muss stattdessen aufhören zu zerstören. Der Weg zu einem erfüllten Leben für alle Menschen liegt also nicht in der Reproduktion ihrer selbst, sondern in der Reproduktion des Lebens selbst: in der Kunst und Wissenschaft. Wissen schafft Glauben. Glauben wird immer weniger anthropomorphe Wesen wie Götter oder Gott hervorbringen, sondern Lebensmodelle. Wer durch seine Taten behindert ist, wird durch seine Herkunft nicht beschleunigt.[3] Auch auf dem geistigen Gebiet muss also der omnipotent erscheinende Konsumismus durch Produktion, also durch Denken, ersetzt werden. Dieses Denken ist auch das Durchdenken schon vorhandener Gedanken. Die Erziehung muss von der Dressur zum Fakt wieder zur Kultivierung des Denkens zurückfinden. Dieses Denken bricht sich nicht nur in der Wissenschaft Bahn, sondern auch in der Kunst. Das Ergebnis kann eine an sich selbst glaubende Menschheit sein. Dann muss es keine Elenden mehr geben.

 

 

 

 

 

 

 

[1] die apokalyptischen Reiter, Johannes-Apokalypse 6, 1-8

[2] 1. Johannesbrief 4,20 [für ‚Gott‘ wurde ‚Natur‘ eingesetzt]

[3] Hadith 36 von an-Nawawi [1233-1277]

BELOVED LOSERS

Nr. 352

Wenngleich viele Menschen harmoniesüchtig sind, so betonen sie doch die Verschiedenheit in der Person, in der Sache, in der Herkunft. Ich frage mich deshalb, ob wir nicht bedeutend stärker sein könnten, wenn wir den Konsens betonten. Statt dessen vergeuden wir unsere Kraft im Dissens. Der Dissens geht wahrscheinlich oft aus der Differenz hervor, die niemand leugnen wird. Die Frage ist nur jeweils, wie stark die Differenzen sind und welche Kraft sie entwickeln können. Unüberbrückbar scheinende Differenzen entspringen oft dem Vorurteil. Segregation und Hierarchie werden als Naturgesetze hingestellt, so dass ihnen nicht zu entkommen sei. Man könnte also sagen, dass die ahistorische Sicht den Dissens gebiert. Die menschliche Welt ist nicht synchron, aber immer historisch, asynchron ist nicht identisch mit ahistorisch.

Geschichte verläuft also nicht linear, sondern, wie wir schon oft betont haben, sinusförmig. Die Menschheit begann vielleicht im heutigen Kenia sich bipedisch fortzubewegen, aber das heißt nicht, dass sie in Kenia heute am weitesten ist. Das heißt eigentlich nichts. Nur merkwürdig ist eben, dass ein Vorurteil geschaffen wurde, das Entwicklung und Geschichte nicht nur umkehrte, sondern daraus auch die Bedeutung des europäischen Menschen ableitete. Selbst die Darstellung von Yesus als blondem, blauäugigem, hellhäutigem Menschen ist dieser reziproken Sicht geschuldet. Am schlimmsten ist es wohl, dass nicht nur die selbst ernannte Oberschicht diese Umkehrung glaubt, weil sie sie glauben will, sondern auch die verdammte Unterschicht, weil sie sie glauben muss. Allenfalls gibt es einen zeitweiligen Adel des Geistes oder einen Adel des Herzens.

Wer jetzt allerdings moralische Aufrufe, die Welt vom Kopf auf die Füße zu stellen, erwartet, wird sich getäuscht finden. Die Welt dreht sich von allein. Alle Vorstellungen von einem Demiurgen sind anthropomorph. Sie stellen sich also einen Menschen als Lenker der Menschen vor, einen entrückten Menschen, einen gestorbenen und wieder auferstandenen Menschen, einen Menschenmenschen, aber eben einen Menschen. So wie es aber keine Triebkraft der Evolution gibt, denn Evolution ist ja nicht der Prozess, sondern seine Beschreibung, so gibt es auch keinen Antreiber der Menschen. Der Prozess der Evolution oder des menschlichen Lebens ist die Akkumulation und das Miteinander tausender und abertausender Teilprozesse. Das wahre Wunder ist der Konsens, nicht seine Beschreibung.

Wir wissen nicht, welche Musik Emil Berliner bevorzugte, ob er überhaupt Musik liebte. Vielleicht liebte er, dem Vorurteil entsprechend, nur das Geld. Vielleicht hat er über seine Erfindung gar nicht nachgedacht, sondern sie nur ausgeführt, weil seine Frau ihm die Ausführung nicht zugetraut hat? Es ist über Emil Berliner und seine Brüder sträflich wenig bekannt, was auch mit der Atemlosigkeit der darauffolgenden Entwicklungen zu tun haben kann, aber es steht fest, dass sie die Welt in einen nie dagewesenen Schwung versetzte. Die Schallplatte hat gleichzeitig die zeitliche und räumliche Reproduzierbarkeit von Sprache und Musik ermöglicht. Das gleiche Musikstück in der nämlichen Interpretation konnte jetzt an jedem Ort und in jeder Zeit außer der Vergangenheit aufgeführt werden. Daraus sind vielleicht die falschen Gedanken der Identität und der Gleichzeitigkeit entstanden. Wenn ein Streichquartett spielt und gespielt wird und im Nebenraum die Aufnahme des gleichen Streichquartetts erklingt, so ist das weder wirklich gleichzeitig noch identisch. Wer das nicht glaubt, höre sich György Ligetis legendäre Komposition – Poéme Symphonique – mit den 100 Metronomen an.

Ungeachtet der Absichten der Erfinder stellt sich die Erfindung in eine komplexe Welt und macht sie noch komplexer, so komplex, dass wir ihr nicht mehr folgen können, obwohl wir mitten in ihr leben. Wir essen auch die Brötchen eines Bäckers, der bäckt, nicht damit wir, sondern auf dass er satt werde. Geschichte ist immer paradox, reziprok oder dilemmatisch, sinusartig, jedoch selten linear.

Aus der ständigen Anwesenheit von Geschichten ergab sich jedenfalls, dass wir die Ursachen gegenwärtigen Geschehens in gegenwärtigen Geschichten statt in Tatsachen suchen. Vielmehr haben wir erkannt oder glauben wir erkannt zu haben, dass es so gesehen gar keine Tatsachen, sondern nur ihre Interpretationen gibt. History und story waren früher zeitlich und räumlich getrennt. Die alten Israeliten glaubten die Gründungsgeschichte ihres Volkes und Staatswesens in des Hirtenjungen Davids Sieg über den Giganten Goliath. Aber das war lange her. Heute dagegen glauben wir nicht, dass ein böser Bube unsere Fensterscheiben eingeworfen hat, sondern wir nehmen lieber an, dass der Hausbesitzer einen noch böseren Buben angeheuert hat, der uns die Fensterscheiben einwirft, damit er die Miete erhöhen und/oder uns hinausekeln kann. Wir glauben sogar lieber Mythen als der Geschichte, weil die Geschichte weniger greifbar ist, als es die Mythen sind. Wir sehen in jeder Grippe eine biologische Waffe, so wenig logisch das auch sein mag, in jeder Gruppe, zu der wir nicht gehören, aggressive loser oder verlierende Angreifer. Periodisch tauchen Fremde oder Wölfe auf, um an unserem Reichtum zu nagen, den wir immer für verdient und für schwer erarbeitet halten.

Der Verlierer lebt eher im Konsens mit sich selbst als der Gewinner, der mit Mythen seinen Gewinn verteidigen zu müssen glaubt. Der geschäftlich erfolgreiche Mensch wird allerdings zum Mythos vom self made man gewöhnlich den Geiz als support hinzufügen. Hartherzigkeit ist in so zahllose Geschichten eingegangen, dass wir sie glauben müssen. Umgekehrt glaubt niemand an den Egoismus der Armen. Ihnen bleibt nur die Gutherzigkeit, da die Hartherzigkeit schon vergeben ist. Zur Geschichte und zum Mythos treten Dichotomie und Evidenz. Der Mythos lebt von der Gutgläubigkeit. Der Zweifel dagegen erschafft die Schallplatte und das Smartphone, das die Welt mehr verändern wird als heute irgendjemand auch nur ahnt. Die Verlierer werden wissender, die Gewinner werden zweifelnder, die Regierenden werden transparenter, die Regierten mutiger – all das wird möglicherweise durch das smartphone befördert werden. Oder aber es wird, wie bei der Schallplatte oder beim Automobil schon in einer Generation Folgen geben, die heute niemand ahnt, weil er sie nicht ahnen kann. Zwar kann man einerseits nichts vermissen, was man nicht hat, aber andererseits kann niemand wissen, was er schon bald haben wird. Vielleicht führt bald, bald ein gegenseitiger Maximalkonsens vermittels technisch gestützter Empathie zu gegenseitiger maximaler Zuwendung. Denn das smartphone und andere, noch nicht erahnbare Techniken verhelfen uns zur Verwirklichung unserer geträumten Imagines, statt starrer dummer Identitäten. Warum soll der Mensch weniger sein als eine Raupe, wenn er schon nicht mehr ist?

VERSCHWUNDENE MENSCHEN

Nr. 351

Immer wieder verschwinden Menschen. Viele werden schon am nächsten Tag wiedergefunden. Manche wollen ihr bisheriges Leben verlassen und ein neues beginnen. Vielleicht haben sie Schulden, vielleicht das Gegenteil: Überdruss, vielleicht belastet sie eine unerwiderte Liebe. Jugendliche beginnen mit dem verschwinden oft eine Drogen- oder Outlaw-Karriere. In vielen Wohlstandsländern, wie auch bei uns, nehmen sich viele Menschen das Leben.

Philosophisch und evolutionär mag der Tod erklärlich sein, die Religionen können tröstlich sein, aber für das namenlose Verschwinden von Menschen in einer überinformationellen und auch hochfürsorglichen Welt gibt es keine Erklärung.

Zwei Dörfer neben meinem lebten anfangs der neunziger Jahre in einer aus der DDR übrig gebliebenen verwahrlosten Siedlung Menschen am Rand der Gesellschaft. Nur mühselig gelang es ihnen, sich in das überbürokratisierte Sozialsystem des neuen Staates einzufügen. Für sie war die Welt aus den Fugen, und sie versuchten mit Gelegenheitsjobs und kleinen Diebstählen auf der einen, auf der anderen Seite aber mit Insistieren auf ihrem Lebensrecht und mit Umzügen in eine bessere Welt, wo die Beamtinnen in den Sozialämtern netter wären, sich diese ihre Welt neu einzurichten. Manchmal war auch einfach der Verkauf des Hauses, in dem sie bisher gelebt hatten, der Grund, die Gegend zu verlassen. Ein schon etwas älterer alleinstehender Mann, nennen wir ihn R., blieb übrig. Seine Nachbarn, die alten wie die neuen, versicherten immer wieder, dass sie ihm bessere Lebensbedingungen angeboten hätten, ein Zimmer, den Dachboden, einen alten Campinganhänger. Er blieb aber in seinem Schuppen ohne Fenster, ohne Strom und ohne Wasser. Er ging früh schlafen und stand spät auf. Man konnte das an der Tür zu seinem Schuppen erkennen, wenn man auf der an dieser Stelle engen Dorfstraße an dem Hof vorbeifuhr. Heute fragt man sich: wer half ihm, wenn er krank war. Manchmal stand er an der Bushaltestelle, um in die Kreisstadt zu fahren. An anderen Tagen fuhr er mit seinem Fahrrad und mit klappernden Flaschen im aufmontierten Einkaufskorb in die ‚Deine Kette‘ genannte ehemalige Konsumverkaufsstelle der benachbarten Kleinstadt, um sich ein paar Flaschen Bier zu kaufen. Manchmal versuchte er dabei eine Flasche Schnaps zu stehlen. Wenn er erwischt wurde, erhielt er als Strafe ‚gemeinnützige Arbeitsstunden‘, über deren Ableistungen in Gemeinschaft oder für Projekte er sich so freute, dass er leise verkündete, dass er wieder stehlen werde, um wieder hier arbeiten zu dürfen. Einige Nachbarn gaben ihm hin und wieder etwas Arbeit, die er auch still und gerne verrichtete. Das verdiente Geld trug er stets mit seinem klappernden Fahrrad in den Konsum, der jetzt DEINE KETTE heißt. Wie er den Winter überstand, wissen wir nicht. Im Winter sah man ihn fast nie. Jetzt ist er an Krebs gestorben, im Dorf wird aber auch gemunkelt, dass ihm niemand Essen und trinken und Medikamente brachte. Die Hütte, die manch anderer noch nicht einmal als Hühnerstall benutzt hätte, wurde sogleich abgerissen. Die Kriminalpolizei ermittelte wegen unterlassener Hilfeleistung. Auf dem Friedhof weiß niemand etwas von einer Beerdigung. Alle bisher befragten kannten seinen Namen nicht, sondern nannten ihn R. Wenn die Landschaft ein Gemälde wäre, würde er fehlen.

‚Er war selbst schuld.‘ Mit diesem Satz schleichen wir uns gern aus der Verantwortung für unsere Mitmenschen. Neuerdings gibt es sogar wieder eine Partei, die die sozialdarwinistische Ansicht vertritt, jeder – und jedes Land – sei sich selbst der oder das nächste, da ohnehin nur der stärkere gewinnt, wir seien nicht das Sozialamt der Welt. Mit dem Satz, dass jemand selbst schuld war, unterstützen wir den Hang zum monokausalen Denken. So wie niemand allein seines Glückes Schmied ist, so ist auch keiner allein seines Unglücks Müllmann. Wieder zwei Dörfer weiter in die andere Richtung wohnt eine Frau in einem Container, weil eine Abrissfirma, die die dem Nachbarn gehörende Scheune – schon das war fragwürdig – entsorgen sollte [ENTSORGEN, ABSCHIEBEN, WEGWERFEN – die Konservativen immer vorneweg] ihr Haus versehentlich mit abriss. Zum Glück, dessen Schmiedin sie nicht war, musste sie an diesem Tag zum Arzt, sonst hätte sie keinen Arzt mehr gebraucht. Das Unglück kommt mit Schuld daher, sicher, aber auch mit Unwetter und bürokratischen oder technischen Katastrophen, mit Neid und Missgunst, mit Eifersucht, Streit und Sozialdarwinismus. Wenn wir die Schuld bei uns suchen würden, wären die Täter schneller gefunden.

Im Februar des vorigen Jahres ertrank unter dem Eis des Sees unserer Kreisstadt ein blutjunger Flüchtling aus Pakistan. Er war ein freundlicher junger Mann, wie seine Kollegen und Mitbewohner bestätigen. Er arbeitete in einer gastronomischen Einrichtung der Kreisstadt, einem Mittelding zwischen Hotel und Jugendherberge. So gesehen war er erstaunlich gut integriert.

Man kann die Faszination der Südländer für das Eis beobachten und verstehen. Vor vielen Jahren rief mein erster afrikanischer Freund I’M JESUS, als er über sein erstes Eis lief. Später wurde er erschossen – beinahe auch wie Yesus –, weil er zur falschen Befreiungsorganisation gehörte. Eis ist ein Phänomen, das es nur im Norden oder in großer Höhe gibt, vielleicht nicht mehr lange.

Der junge Mann, der Neubürger der Kreisstadt, hatte jedenfalls den ersten Urlaub in seinem Leben – bei uns genießen schon die kleinsten Kinder den Urlaub der Eltern als eigenen – und er ging vielleicht gern spazieren. Er ging auf das Eis, brach ein, rief um Hilfe, wurde auch gehört, aber die schnell eintreffenden Rettungskräfte konnten ihn nicht finden. Das Eis hatte ihn verschluckt. Wenn die Landschaft ein Gemälde wäre, würde er fehlen. Es gab dann eine großangelegte Suchaktion, darin sind wir groß. In diesem Fall war die aufwändige Suche vergebens, in vielen anderen Fällen rettet sie Leben. Der Junge wurde dann auf einem muslimischen Friedhof in Berlin beerdigt. Auf seinem Grab steht eine Nummer. Darin sind wir klein.

Integration ist nicht ein überwiegend juristischer und sozialbürokratischer Prozess, der sogar bei genuin-inländischen Menschen schwerer zu fallen scheint als bei – auffälligeren – neu zugewanderten. Integration geht nur, wenn man über den eigenen Gartenzaun, die Landesgrenze und Herkunft hinaus zu blicken bereit und fähig ist. Integration heißt nachfragen.

[DAS GEMEINDEKIND]

Nr. 350

Über Vergänglichkeit kann man sich nur wundern: alles vergeht, jegliches hat seine Zeit, aber bei manchen Dingen ist es eben bedauerlich, dass sie weg sein sollen. Wenn man durch Zufall oder was sonst auf die alte Geschichte vom Gemeindekind stößt, wundert man sich als erstes, dass es vergessen ist, dass Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach die größte deutschsprachige Erzählerin ist und sich heute noch atemlos liest. Dabei erscheint sie auf dem bekanntesten Bild als eine runzlige, ziemlich dicke alte Frau. Sie musste nicht schreiben, sie besaß von Haus aus ein beträchtliches Vermögen nebst schönem Schloss und heiratete zum Überfluss mit achtzehn Jahren einen nicht nur reichen, sondern auch intelligenten und höchst originellen Mann, der Professor für das Geniewesen der österreichischen Armee war und dessen wichtigstes Arbeitsergebnis und Buch hieß: DER LUFTBALLON IM KRIEG. Sie schrieb, um die Menschheit zu erziehen, und dafür – für dieses heute etwas in Verruf geratene Schreibziel – sind ihre Geschichten umwerfend gut.

In dem kleinen Roman ‚Gemeindekind‘ geht es zunächst um eine höchst asoziale und verbrecherische Familie, deren Kinder nach Aburteilung der Eltern zur Disposition stehen. Das folgsame Mädchen kommt in die Obhut der Gutbesitzerin – das ist eine runzlige, ziemlich dicke alte Frau. Ihre Verschroben- und Direktheit wird liebenswürdig geschildert und man glaubt ihr beinahe nicht ihre Empathie und ihre eigene Entwicklung, bis man ihr glaubt, dass Wohltaten wohltun. Allerdings versteht sie bis zum tragischen Ende des Mädchens nicht, dass man niemandem wohltut, den man in die Obhut der Unmündigkeit, und sei sie auch im prächtigsten Gewand, zurückgibt. Die Kirche erachtet die fiktive Seele höher als das reale Leben.

Dem Knaben hingegen scheint ein Leben als Nichtsnutz und Verbrecher vorherbestimmt. Er wird in eine wiederum asoziale und verachtete Familie gegeben, um Kosten zu sparen. In ganz Europa war damals das Armenwesen in die Hände und Kassen der Gemeinden gelegt. Das war weitaus konkreter als Hartz IV. Jedoch waren die Empfänger der dürftigen Sozialleistungen auch der Diskriminierung durch die direkt zahlenden Menschen im Dorf und in der Kleinstadt ausgesetzt. Als wirklich eingeboren galt damals der Hochangepasste. Als fremd und zu bekämpfen galt der Unangepasste, der Arme, Asoziale, der Nomade. Wirklich Fremde aus der Fremde gab es so selten, dass sie namengebend wurden.

Die Geschichte ist in zwei Teile gegliedert und bei all den Niederungen menschlicher Schicksale, die der erste Teil bis zur Schmerzgrenze schildert, kann man leicht glauben, dass der zweite Teil den reich gewordenen ehemaligen Verbrecher als Wohltäter zeigt. Dieses Märchen hat später der Schweizer Dichter Dürrenmatt zerlegt, indem er die alte Dame Wahltaten im höheren Sinne bringen lässt. Ebner-Eschenbach hingegen lässt ihn im zweiten erst erkennen, dass es überhaupt Alternativen gibt. Und nach der Entwicklung des Protagonisten und der alten liebenswert-mürrischen Gutsbesitzerin kommt nun das Porträt eines Dorfschullehrers, das von Tolstoi sein könnte, wenn Tolstoi statt über Grafen und Generäle über die Dorfschullehrer geschrieben hätte, von denen er selbst einer hätte sein wollen. Seine wichtigste Frage war, und es sollte auch unsere wichtigste Frage heute sein, – was wird aus den Talenten, die wir nicht entdecken? Die alte Freifrau, auch Tolstoi war Graf, weiß die Antwort: der Lehrer, der sich vollkommen überfordert mit der körperlichen Züchtigung vermeintlicher und tatsächlicher Delinquenten zeigt, ist selbst ein nicht entwickeltes Talent, das sein Ziel um Längen verfehlte, aber dessen Blick geschärft ist für nicht entwickelte Talente. Während heute und bei uns Verachtung, Überforderung und bürokratische Vereinnahmung der Lehrer üblich sind, wird hier das liebevolle und tiefsinnige Portrait eines Lehrers gemalt, der, wie es so schön heißt, seines Amtes waltet, und sein Amt ist es, Talente zu entdecken und zu fördern. Dieser Lehrer weiß schon lange: prügeln verschlimmert das, was es bessern wollte. Bessern kann immer nur die bessere Methode: Liebe. Vielleicht sind solcherart Botschaften überhaupt in Misskredit geraten, vielleicht aber stört uns, dass es bei den Protagonisten der hoch- und herzensgebildeten Freifrau um alles oder nichts, sein oder nicht sein, um existenzielle Fragen geht. Wir dagegen befinden uns in der komfortablen Lage, fast ausschließlich über Luxusprobleme zu diskutieren, die wir kurzerhand zu existenziellen Fragen umdichten. Flaschensammler sind bei uns keine Flaschensammler, sondern bis auf Hemd abzehrte, von der Regierung sträflichst vernachlässigte Typen. Weil wir eine, wenn auch in ihrer Überbürokratisierung manchmal unbeherzte und herzlose Regierung haben, die sich um fast alles kümmert, glauben wir allzugerne, dass sie sich um alles, aber auch wirklich alles kümmern muss. Am linken und am rechten Rand der Gesellschaft wird das lächerlicherweise bis ins Absurde geführt: da tummeln sich in Regierungsämtern frivole Ausbeuter und kaltschnäuzige Volksaustauscher. Dabei stammt dieser Gedanke aus einem hasenfüßigen Gedicht Bertolt Brechts, der zu feige oder zu geldgierig war, seinem Staatschef die Meinung zu sagen und stattdessen lieber ein Gedicht nicht veröffentlichte, das vorschlug statt der Regierung das Volk auszutauschen. Noch lustiger ist die Personifizierung einer modifizierten Wirtschaftsmethode, des Kapitalismus, als eine Art Väterchen Frost, dem man mit dem Teekesselchen des schon zu Marx‘ Zeiten falschen Marxismus leicht beikommen könnte.  Diese Blickwinkel vernachlässigen, dass es in der Mitte der Gesellschaft nach wie vor Millionen von Menschen mit Verantwortung und Leidenschaft gibt, darunter auch viele Rentner, die keine Flaschen, sondern Spenden sammeln und Erfahrungen weitergeben.

Es gibt keine einfachen Lösungen, aber eine Lösung ist es, einfach dem nächsten besten zu helfen, der uns begegnet. Um das zu befördern, bedarf es keines Pessimismus, sondern guter Lehrer auf dem Dorf und in der Stadt, wörtlich und metaphorisch.

Der geübte Leser wird zu dieser Geschichte in seinem inneren Ohr Mahlers wunderschönes episodisches Gesamtkunstwerk hören, die erste Sinfonie, die voller Zauber ist und wie Ebner-Eschenbachs Geschichte voller unerwarteter Wendungen. Beide stammen aus derselben Zeit und aus derselben Gegend, nur dass Mahler eher das Gemeindekind war und Ebner-Eschenbach, ohnehin dreißig Jahre älter, die Erzieherin der Menschheit. Aber Vorsicht: erziehen ist ein altes und wahrscheinlich falsches Wort, denn es gibt eine verallgemeinerte, von der Gesellschaft oder dem Zeitgeist anempfohlene Richtung vor und verlangt Anpassung. Der wahre Lehrer dagegen spürt das Talent, die seelische Not, den Hilferuf, und versucht, die Gesellschaft an dieses eine Kind anzupassen, das er entdeckt hat. MORNING BELLS ARE RINGING?