manifest der falschschreibung

seid nicht wie die blinden / die den stock suchen / aber nicht den weg

dieser rotstiftkult des falschschreibens führt zum nichtschreiben und zum fehlersuchen. es geht nicht um rechtschreibung, sondern um das rechte schreiben. es geht nicht um die falschschreibung, sondern um das falsche schreibenlernen.
jahrelang wird den kindern gedroht: wenn du zum stift greifst, greife ich zum rotstift. und kaum eine drohung wird wahrer gemacht als diese.
dabei leiden beide seiten unter diesem selbst verschuldeten terror. die schüler schwitzen und zittern vor jedem wort, es könnte falsch sein, und die lehrer leiden unter ihrer eigenen kleinlichkeit, die sie für recht und gerechtigkeit, ja für ein denkmodell halten. man denke nur an die großschreibung etwa der substantivierten interjektionen! das ist der punkt, an dem ein normal denkender mensch weghören muss!
dagegen weiß jedes kind, dass rechtschreibung fast nichts zum rechten schreiben beiträgt. umgekehrt aber würde kreatives schreiben sehr viel für die rechtschreibung tun, denn welches kind, welcher jugendliche, welcher erwachsene wollte nicht, dass seine geschichte gewählt würde.
rechtschreibung ist ein bloßes und zeitweiliges ordnungsmittel. wichtiger ist es, aus jeder möglichen schreibung sinn zu gewinnen.
das argument der rechtschreiber, dass falsch geschriebenes in der not nicht erkannt werden könnte, kehrt sich gegen sie selbst: selbst in der not bestehen sie darauf nicht zu helfen, weil sie, die angeblich weiseren, die zeichen nicht erkennen konnten. man hilft einem ertrinkenden nicht dadurch, dass man ihn auf das schild hinweist, das er übersehen haben soll: ertrinken verboten!
nicht die rechtschreibung ist falsch, sondern der absolute glaube an ihre kraft, die sie nicht haben, ihre herrlichkeit, die es nicht geben kann. es gibt keine flächendeckende rechtschreibung mehr, weil mehr geschrieben wird als je zuvor, weil es zeitungen und dichter gibt, die die alte rechtschreibung beibehalten haben, weil es sms und emails gibt, weil es die schweiz und österreich gibt, weil es rechtschreibprogramme gibt, ja, ja, wir müssen es einsehen, rechtschreibprogramme sind sehr nützlich, aber nicht unfehlbar. auch deutschlehrer sind sehr, sehr nützlich, aber auch sie: nicht unfehlbar, nicht allwissend. es ist eine verklärung der alten zeit, zu behaupten, früher hätten alle richtig geschrieben.
es geht nicht darum, zum falschschreiben aufzurufen, sondern die relative wertlosigkeit der rechtschreibung zu erkennen. all die vielen tausenden stunden, die die lehrer damit zubringen, rote tinte sinnlos in texte zu klexen, könnten sie besser dazu benutzen, mit jedem einzelnen schüler dessen texte zu verbessern, vor allem inhaltlich, aber auch schreiblich. wir sollten schwimmlehrer werden, die neben ihren schülern schwimmen, nicht solche, die am ufer stehend höhnen. wir sollten schwimmschüler werden, die nur in begleitung ihrer besser schwimmenden lehrer schwimmen wollen. uferhöhner werden von uns verlassen.
lasst uns in jedem vierteljahr gemeinsam ein buch lesen, lasst uns in jedem vierteljahr gemeinsam einen textwettbewerb ausrichten: die deutsche sprache wird es uns danken, die bücher werden besser, die schüler rennen in die schulen, um an den anschlagsäulen ihre namen zu lesen, wenn sie gewonnen haben. es darf auch einen kleinen nebenpreis für den kleinsten fehlerquotienten geben. die lehrer ernten die früchte ihrer schweißtreibenden arbeit: keine diktate, also auch keine diktatur der rechtgläubigkeit, keine klausuren, nur noch essays und geschichten. ein lehrer ist ein lehrer, kein richter.
wenn wir eingesehen haben, dass die rechtschreibung ein hilfsmittel ist – und das wort rechtschreibung ist ja nicht zufällig verwandt mit rechtgläubigkeit – dann können wir in einem zweiten schritt über die textbeschreibungen und anleitungen zur anfertigung von texten nachdenken. auch sie sind keinesfalls starre lehrsätze, sondern bestenfalls anregungen.
ein text muss einerseits sachlich nachvollziehbar sein. seine argumentation sollte mit dem durchschnittsverstand und der hochsprache verständlich sein. warum sich der deutschunterricht nicht auch mit rap beschäftigen kann, dafür gibt es keinen grund, überhaupt sollte jugendsprache viel mehr einbezogen werden. erst vor diesem hintergrund wird ja klar, warum wir die hochsprache überhaupt brauchen.
kleine kinder, solange sie nicht mit regeln überfüttert sind, liefern immer phantasievolle texte ab, die wirkungsvoll bleiben, weil ihre schönheit überzeugt. je mehr die kinder auf teils unsinnige regeln gedrillt werden, desto weniger phantasie und schönheit  können sie einsetzen. überhaupt ist schule immer noch viel zu sehr konditionierung auf die immer unwichtiger werdende arbeitswelt. unsinnige regeln sind großschreibung, ß, dass und das, eine erörterung hat immer drei pro- und drei contraargumente. wem das zu radikal ist, der sollte wenigstens das ß abschaffen oder uns den unterschied von reis und reiß erklären.
diese sofort umsetzbare veränderung betrifft weniger die geschriebene sprache, als vielmehr den umgang mit ihr in der schule, wo das fundament für eine lebenslange abneigung genau so gelegt werden kann wie für eine lebenslange liebe und aktivität. wer schreibt, bleibt nicht nur, sondern sieht weniger fern, spielt weniger gern am computer, nimmt mehr am gesellschaftlichen leben, zum beispiel im internet, teil.

wenn wir aber schon einmal dabei sind, endlich, endlich die bildung statt immer nur die schule zu reformieren, dann sollten wir auch gleich noch über die folgenden zehn punkte, die sich selbstverständlich überschneiden, nachdenken. überflüssig zu sagen, dass eine bildungsreform nur bundesweit sinn macht.

1 dialog statt ranking

die hierarchische unterscheidung in lehrer und schüler wird zugunsten eines gleichberechtigten dialogs aufgegeben. lehrer und schüler arbeiten gemeinsam in und an projekten.

2 empathie statt emphase

nicht der schüler muss sich in den lehrer, sondern der lehrer in den schüler einfühlen. es entfallen alle emphatischen vor- und einwürfe wie lob und tadel, schuld und sühne. das leben bestraft den schüler, nicht der lehrer.

3 emanzipation des wahnsinns

das vorherrschen von gefühl, bewegung, phantasie, spiel bei kindern und jugendlichen wird durch die schule unterstützt und nicht unterdrückt.

4 abschaffung der konditionierung

wichtigstes konditionierungmittel sind die zensuren. sie werden ersatzlos gestrichen. auch verbale notizen der lehrer dienen nicht der beurteilung, sondern der veränderung von verhalten, wissensaneignung und produktion. die prüfung ist das leben, vertreten durch ein praktikum.

5 enterprise statt entertainment

in der schule muss man genauso wenig stunden verbringen, absitzen wie im leben jahre. deshalb sollte weniger unterhaltung den schulalltag bestimmen, so amüsant sie heute sein mag, sondern selbst gewählte unternehmungen. der lehrer wird, das klingt beinahe schon wie ein gemeinplatz, immer mehr zum moderator.

6 konzentration auf kernfächer

jeder, der einen neuen bildungsgegenstand zu entdecken glaubte, will ein neues unterrichtsfach, beispiele sind awt oder ler. statt dessen sollten wir uns auf kernkompetenzen und demzufolge auf vier kernfächer besinnen: deutsch, englisch, mathematik und naturkunde, musik/kunst/sport.

7 kommunikationszentren statt schulen

schulen sind tag und nacht geöffnete einrichtungen, die von jedem menschen ungeachtet seines alters oder seiner fähigkeiten genutzt werden können. jeder erhält, wenn er es wünscht, hilfe und anleitung.

8 kreativität durch kompetenz / kompetenz durch kreativität

kinder werden in ihrer kreativität gefördert. für jedes jahr werden kompetenzen angestrebt, über deren erwerb man gemeinsam rechenschaft ablegt.

9 wissen oder gewissen

nicht durch ein bestimmtes fach, sondern durch die gesamte schule, die ein laboratorium ist, sollte das gewissen, die moral, die verantwortung der nächsten generation gestärkt werden. das kann man vor allem durch kunst, philosophie und religion tun.

10 lehrer als generalisten

lehrer sollten sich an ihre vorgänger, die dorfschullehrer, erinnern, die ein instrument spielen, bäume bestimmen, aufsätze schreiben, geschichte erforschen, talente entdecken und vielleicht noch tausend andere sachen…konnten.

ZEITUMSTELLUNG

Nr. 233

Seit es die Zeitumstellung gibt, gibt es auch den Widerstand gegen sie. Manche mögen die Unbequemlichkeit tatsächlich empfinden. Kinder und alte Menschen können zum Beispiel einige Tage aus dem Rhythmus geraten. Andere sehen eine günstige Gelegenheit, wieder einmal gegen die Regierung zu sein. Unsere alte Ostregierung tat ausnahmsweise etwas sehr Schlaues: sie berief sich auf den Westen und auf dessen Sachzwänge. Es gibt immer gute Gründe, gegen die Regierung zu sein. Vielleicht war das Hauptargument gegen die DDR die Mauer, aber dann ist das entscheidende Argument gegen unsere heutige Regierung auch ausschließlich der Waffenhandel und die Massentierhaltung einschließlich Kükenschreddern. Wir sind uns alle einig, dass Krieg, Bürgerkrieg und Terrorismus falsch und verbrecherisch sind und nicht unterstützt werden dürfen. Aber wir wählen immer wieder Regierungen, die den Waffenhandel erlauben. Die neue Partei ist sogar für das Schießen an den Grenzen. Das einzige, was uns entlastet, ist der geringe Anteil des Waffenhandels, nämlich etwas über einem halben Prozent  an unserem Exportvolumen von 1,2 Billionen Euro im vergangenen Jahr. Da die meisten Rüstungsgüter hochwertig sind, U-Boote, Panzer, Kriegsschiffe und Flugzeuge, ist also auch ihre absolute Menge eher gering. Aber das sind nur Entlastungen und Rechtfertigungen. Es ist jedoch auch schwer, seine Haltung im Welthandel zu ändern.

An der Massentierhaltung und am Kükenschreddern kann man besser beschreiben, dass wir nicht bereit sind, unser Leben zu ändern, auch nicht wenn wir uns ununterbrochen empören. Es zeigt sich, dass Empörung leichter ist als Tat. Wir könnten ohne Probleme auf Fleisch verzichten, nicht für immer, aber als Boykott. Erinnern wir uns an den Boykott gegen die Versenkung der Shell-Bohrplattform. Es war kein großes Problem, die Autofahrer in ganz Europa dazu zu bringen, nicht bei Shell zu tanken, und Shell knickte nach wenigen Tagen ein. Vielleicht hören große Konzerne erst ab dem Verlust von einer Milliarde zu. Als Vorbild und Namensgeber sollten wir uns aber, obwohl er auf eine Stadt begrenzt war, den Montgomery Bus Boycott nehmen, der damit begann, dass Rosa Parks in Montgomery, Alabama, auf ihrem Platz im Bus sitzen blieb, den ihr jemand aus Prinzip, nicht aus Not streitig machen wollte.

Also, warum boykottieren wir nicht das Billigfleisch, das seinen Grund in der Massentierhaltung und im Kükenschreddern hat? Diese Frage ist ganz leicht zu beantworten: weil es leicht ist, Jahr für Jahr bei Facebook zu posten: Gegen …. Wenn du auch dagegen bist, teile das. Zwei Klicks, und schon haben wir unser Gewissen beruhigt. Gegen alles gibt es inzwischen auch Unterschriftensammlungen. Ganz sicher ist es sinnvoll, wenn eine Schule für den Verbleib eines Mitschülers oder einer Mitschülerin eine Petition an die Härtefallkommission einreicht: konkrete Menschen für ein konkretes Ziel, und das ist ein Mensch in Schwierigkeiten. Die Zahl der Petitionen und deren ausführender Organisation hat dermaßen zugenommen, dass man, falls man sich beteiligen will, sich erst durch einen Wust von Spendenaufrufen kämpfen muss. Inzwischen leben schon wieder Dutzende von Menschen von Petitionen. Ich würde lieber jemanden bezahlen, der den Montgomery Bus Boycott II organisiert.

Was also spricht gegen die Zeitumstellung? Natürlich kann man die Zeit nicht umstellen. Wir meinen ohnehin immer die Uhr, wenn wir Zeit sagen. Die Uhr dient unserer Orientierung. Wir wollen eine Struktur, und wir geben uns eine Struktur. Die Umstellung der Uhr stärkt den Morgen gegen den Abend. Das ist eine Botschaft, die wir gebrauchen können. Wenn wir die Uhren umstellen, kann uns bewusst werden, dass die Messung der Zeit nicht nur relativ ist, sondern Willkür. Wir halten mit der Zeitmessung nicht nur am geozentrischen Weltbild fest, sondern auch am Duodezimalsystem. Es stärkt schon unsere Flexibilität, dass wir zwei und manchmal auch mehr Denksysteme nebeneinander, parallel oder sogar synchron benutzen können. Unser Hauptdenk- und -glaubenssystem beruht auf Egoismus. Wir müssen  glauben, dass wir Recht haben, dass unsere Gruppe erfolgreich ist, dass das Fleckchen Erde, in das wir gestellt sind oder das wir gewählt haben, optimal für uns ist. Unser Hauptlebenssystem beruht aber auf Altruismus, Solidarität, Kooperation, Nächstenliebe. Von Anbeginn der Menschheit wird über die Prioritäten gestritten, und immer ist es falsch, was wir entscheiden. Spontan entscheiden wir uns eher für den anderen Menschen, rational fallen uns aber tausend Gründe gegen ihn ein. AM I MY BROTHER’S KEEPER? YA. Nicht die Länge des Wegs, sondern die Nähe des Ziels lässt uns ermüden. Wir kämpfen ein ganzes Leben lang gegen die Relativität der Dinge und Menschen, die uns umgeben. Wir können und wollen uns nicht damit abfinden, dass perfekt zu sein eine Idealvorstellung ist, die noch nicht einmal in der wunderbaren Natur verwirklichbar war, und die Natur hatte Milliarden von Jahren und Billionen von Möglichkeiten, soweit wir sehen können.

Jährlich zweimal könnten wir üben, dass wir nicht nur Männer, sondern auch Frauen, nicht nur Frauen, sondern auch Männer sind. Wir könnten diesen Sonntag daran denken, wie wir aus Schwarzen Weiße wurden. Es gibt keine Wiedergutmachung, aber vielleicht kann man es die nächsten Jahrtausende einfach besser machen. Diese ständige Ablehnung, die nur dazu dient, uns selbst als perfekt und einmalig zu sehen, hat der wunderlichste Dichter des zwanzigsten Jahrhundert in einem faszinierenden Büchlein beschrieben. Seine Frage war vielleicht: erkennen wir im Käfer unseren Bruder wieder? Tatsächlich, da der Dichter drei Schwestern hatte, ist die Schwester des Käfers lange Zeit kooperativ. Anscheinend ist Schwesternschaft – obwohl die üblichen Worte Bruderschaft und Brüderlichkeit heißen – eine Urfigur menschlichen Verhaltens: es vereint sich in ihr die dem Vater gegenüber stärkere Rolle der Mutter mit der des Geschwisters. Bei der älteren Schwester kommt die brüderliche Rolle des Beschützers hinzu. Vor der größten Gruppenzugehörigkeit, der geschlechtlichen, gibt es anscheinend die Geschwisterlichkeit und in ihr die Schwesterlichkeit. Ich glaube nicht, dass der Westen, also Europa, Nordamerika und Japan, wegen seiner Kinderlosigkeit zum Scheitern verurteilt ist. Vielmehr wird er seine führende Rolle einbüßen, weil sein Wirtschaftsmodell zu egoistisch ist. Es schädigt andere. Und die anderen werden kommen und ihre Begriffe von Schwesterlichkeit, als Beispiel, und Zeit mitbringen. Und die neuen Lehrer kommen als Bittsteller. Alle fünfhundert Jahre müssen wir unsere Begriffe ändern, nicht weil es jemand will, sondern weil sie nicht mehr taugen. Es ist sehr sinnlos, sich nach der Vergangenheit zu sehnen und dabei die Zukunft zu verpassen.

SCHWARZ UND WEISS

Nr. 232

Aufklärung, so haben wir es in der Schule gelernt, ist das Ende der Angst, weil Aufklärung, so schrieb KANT, der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit sei. Das kann man sich ungefähr so vorstellen: ein Mensch, der bisher nur mit dem Rollator lief, wird jetzt auf ein Rennrad gesetzt und muss die Route der Dakar-Rallye in ihrer ursprünglichen Dimension von Paris bis Dakar fahren, ohne Navigationsgerät, ohne Imbissstände, mit nur einer Flasche Wasser. Da ist es verständlich, dass er sich nach seinem Rollateur sehnt, nach seinem Sozialarbeiter, nach seinem Ernährungsberater, nach seinem Seelsorger. Das sind alles Leute, von denen KANT vor mehr als zweihundert Jahren schrieb, dass sie die Unmündigkeit fortsetzten, der wir gerade zu entkommen glaubten.

Die Demokratie ist kein Ausflugsdampfer, auf dem man Bier und Würstchen bestellt. Die Demokratie ist eher dieses Fahrrad in der Wüste, auf trügerischer Piste, unumsorgt. Und zudem ist sie eigentlich nicht kompatibel mit dem Kapitalismus, dessen massenhafte Warenproduktion aber die Voraussetzung für die Demokratie ist. Man kann mit leerem Bauch nicht über Minderheitenrechte abstimmen. Zu tief sitzt in uns das evolutionäre Erbe des Hungers, zu eingängig ist das sozialdarwinistische Gewühl des Neids. Wir wollten es nur nicht wahrhaben: jede These braucht ihre Antithese, und die Antithese der Gemeinschaft ist oft das Sehnen nach der vergangenen Geborgenheit, nach der geborgenen Vergangenheit. Dafür ist der Uterus die beste Metapher: ein Maximum an Sicherheit und Versorgung steht einem Minimum an Freiheit und Flexibilität gegenüber. Das kann nur ein vorübergehender Zustand sein. Die Freiheit ist also kein aufgesetztes und angelerntes, sondern ein natürliches Ideal. Mag der Uterus die missbrauchte Metapher sein, die Realität dieser falschen Sehnsucht ist die Hierarchie. Solange es die klassische, am Handwerk orientierte Arbeitswelt gab, schien Wohlstand ohne Hierarchie nicht möglich. Der Unternehmer erschien als Patriarch und insofern war er Hierarch.  Aber FORD und RATHENAU haben nicht nur die Fundamente des Wohlstands, sondern auch der Demokratie gelegt. Voraussetzung für Demokratie ist nicht nur Wohlstand, sondern auch ein Briefkasten (TOCQUEVILLE) und Freizeit. Jedes Abweichen von dem jetzt möglichen Modell der Demokratie erscheint uns genauso widernatürlich wie die Demokratie denjenigen, die Sicherheit und Versorgung als Grundmodell ansehen und dafür die Einschränkung ihrer Freiheit gerne inkauf nehmen. Man kann sich gegenseitig verspotten, aber wir müssen miteinander leben. Man kann sich gegenseitig nicht ausschließen. Jeder Versuch eines Genozids ist gescheitert und fällt auf seine Verursacher zurück.

Alle fünfzig Jahre gibt es den kleinen Paradigmenwechsel, alle fünfhundert Jahre einen großen mit dilemmatischen, verwirrenden und revolutionären Schüben. Der menschliche Makel in solchen Umbrüchen besteht wohl darin, dass vom Zeitgeist gelähmte Menschen Visionen der Zukunft zu verwirklichen suchen. Entweder scheitern sie wie Jesus oder aber sie bleiben, trotz allen Fortschritts, Leuchttürme des Konservatismus und damit des Zeitgeists, wie Luther und Ford. Die Lösung für die Zukunft liegt weder in der Religion noch im Automobil. Die Sackgasse der Massenproduktion kann man am besten durch die Massentierhaltung, überhaupt durch die Landwirtschaft erkennen. Früher, und in vielen Gegenden der Welt heute noch, mussten und müssen die Menschen im Schweiße ihres Angesichts Reis und Wurzeln säen, pflegen und ernten. Heute quälen wir Millionen und Abermillionen Tiere, um sie als Reserve für unsere Gier vorzuhalten. SCHOPENHAUER schrieb, dass wir tausende von Jahren brauchen werden, um für dieses terroristische Verhalten unseren  Brüdern und Schwestern gegenüber zu büßen. Genauso ist es mit den Mitmenschen, die wir instrumentalisiert haben. Aber wir sind nicht wir. Wer ist wir? Erst die wechselseitige Erniedrigung zu erkennen wird uns in den Stand setzen, nach einem Ausweg zu suchen. Eine wunderbar provokante These enthielt der Song WOMAN IS THE NIGGER OF THE WORLD von Yoko Ono und John Lennon, dessen Text aber auf ältere Gedanken zurückgeht, besonders in der Zeile woman is the slave to the slave.

Ein Afrikareisender* des letzten Jahrhunderts berichtet, dass er in einem Dorf lebte, das einmal in der Woche durch einen Autobus mit dem Rest der Welt verbunden war. Wenn der Bus in einer Woche ausfiel, war er in der nächsten Woche übervoll. Trotzdem wurde dem Weißen ein Platz freigemacht. Nach einer Zeit begannen einige Reisende, den Gast zu beschenken. Die Geschenke wurden so zahlreich, dass ein zweiter Platz benötigt und zur Verfügung gestellt wurde. Der Gast ging nun dazu über, die Geschenke weiter zu verschenken, was zu einer Kaskade des Nehmens und Gebens führte. Aber das ist schon wieder ungenau beobachtet: es war ein Wasserfall des Gebens, nicht des Nehmens. Es geht nicht um das Nehmen. Es geht um das Geben. (Leider melden sich an dieser Stelle immer die Leserbriefschreiber und verlangen nach dem Gestern.) (Leider müssen wir an dieser Stelle an den Bus in Freital erinnern, vor dem Menschen widerwärtigen Unsinn skandierten und mithilfe der Polizei Angst verbreiteten.)

Die Tastatur bäumte sich auf, wenn man schreiben wollte DIE LÖSUNG IST. Es gibt nicht DIE LÖSUNG. Aber den Kapitalismus oder die Demokratie als etwas außerhalb von uns befindliches zu erkennen glauben und überhaupt Schuldzuweisungen sind schon einmal die falsche Richtung. Wenn wir, die Menschen, der Fehler sind, dann können auch nur wir die Lösung sein. Wenn wir langsam ahnen, was falsch ist: Schuld, Gestern, Warum, dann sollte uns die neue Richtung wenigstens dämmern: Würde. Bildung. Liebe. Hoffnung.

In einer Hierarchie sind beide Seiten falsch: oben und unten. Es gibt kein Oben oder Unten. Die Angst vor den Antipoden war also berechtigt: wenn es sie gäbe, wären sie der Beweis für die Notwendigkeit hierarchischen Denkens, schwarz und weiß, oben und unten, richtig und gegenüber, Herr und KnechtIn. Jeder Mensch ist Würdenträger. Erst wenn wir ihnen, den instrumentalisierten nicht als Schwestern und Brüdern erkannten, ihre Würde zurück geben, geben wir auch uns Würde.

 

 

Achille Mbembe, Kritik der schwarzen Vernunft, Suhrkamp 2014

Didier Eribon, Rückkehr nach Reims, edition suhrkamp, 2016

*Heinrich Staudinger, brennstoff 47/2017, GEA-Magazin

RAMSES II. IM MÜLL

 

Nr. 231

Niemand, der in der Krise steckt, weiß, wie tief sie ihn erfassen wird und wie er aus ihr hervorgehen wird. Niemand kann die Zukunft voraussagen. Unsere Vorfahren waren durch Pest, Krieg und Hunger bedroht. Wir fühlen uns durch schlechte Nachrichten bedroht Aber tatsächlich steckt Welt in einer Krise. Die Apokalyptiker sehen sie bereits untergehen, die Populisten sehen sich aufgehen, die Liberalen sind genervt und trauen ihren Werten nicht mehr über den Weg. Jeder versucht in letzter Minute, auf den Zug des anderen aufzuspringen. Aber wenn alle Trittbrettfahrer von allen sind, sollte der Zug umkehren, dann muss eine neue Idee her.

In der Megastadt Kairo gibt es einen Stadtteil, der einst Heliopolis hieß. Es ist ein Slum, der nicht nur im Müll, sondern auch im Schlamm zu versinken droht. Alle diese Megastädte haben Probleme: die Armut und den Müll. Es ist der Gegensatz unserer Welt: auf der einen Seite werden geschälte Apfelsinenstückchen in Plastikfolie eingepackt, auf der anderen Seite lernen Kinder nichts weiter, als im Müll nach Nutzen zu suchen. Zwar gibt es eine Abnahme der Armut, weniger als ein Siebtel der Menschheit, nämlich 800 Millionen, sind von Hunger bedroht. Aber es gibt leider zwei immer wieder aufflackernde Schwerpunkte: Hungersnöte in Kriegs- und Dürregebieten. Das sind im Moment besonders Südsudan, Somalia, Jemen und Nigeria. Wir liefern keine Waffen in diese Gebiete. Aber liefern wir genügend Bücher und Brunnen?

Der zweite Schwerpunkt sind die Slums in den Megastädten, vielleicht mit Ausnahme von Tokyo und New York. In Lagos, das ist die riesige und chaotische Hauptstadt von Nigeria, dürften sich beide Probleme kreuzen. Aber in Heliopolis graben deutsche und ägyptische Archäologen im Schlamm, und sie werden immer wieder gefragt, was es denn besonderes in ihrem Slum zu suchen und zu finden gäbe.

Der Name sagt es schon: die ägyptische Hochkultur glaubte daran, dass genau an diesem Ort, in diesem Slum, in diesem Schlamm die Welt einst gegründet worden sei. So wie wir uns jeden Gott anthropomorph vorstellen, so stellen wir uns jede Weltgründung nicht als evolutionären, hunderttausende Jahre währenden Prozess, sondern als Gründung, als Zeugung, als Empfängnis, als einmaligen Akt, als Punkt vor. Zwar gibt es mehrere Punkte der Welt, an denen die Welt gegründet worden sein soll, aber es ist möglich, dass unser nicht ganz bedeutungs-, allerdings auch nicht prolemloser euro-asiatisch-afrikanischer Entstehungspunkt für die Menschheit wichtig war, weil seine Folgen im Guten wie im Bösen, sich über die gesamte Welt gelegt haben. Von Ramses II. gibt es viele Zeugnisse, viele Statuen, Gebäude und Inschriften. Im Schlamm des Slums wurde jetzt eine weitere gefunden, dazu sein kleiner Enkel – als Statuette. Vor ihm herrschte die berühmte inzestuöse Familie Echnaton und Nofretete mit ihrem körperlich leicht behinderten, aber genialen Sohn Tutenchamun. Sie heißen nicht nur nach der Sonne, sondern sie installierten den wahrscheinlich weltweit ersten uns bekannten Monotheismus. Warum soll nicht Mose, der Begründer des nächsten, wegen seiner Folgen weit wirkungsvolleren Monotheismus, seine Ideen von seiner Mutter, die nach der Überlieferung eine Pharaotochter war, oder von den ägyptischen Sonnenpriestern übernommen haben? Jede Überzeugung veraltet und hat immer auch schon das Schisma in sich. Also gab es in dem kleinen Volk der Juden mehrere Gruppen, die die mosaische Lehre erstarrt fanden und sich auf die Quellen beriefen, die Samaritaner, wir kennen sie aus dem Gleichnis des barmherzogen Samariters, und es gibt sie heute noch als eine wunderliche, aber auch bewundernswerte Gemeinschaft, und die Essener. Aus den Essenern könnte Jesus hervorgegangen sein. Jedenfalls stammt von Jesus diese Bewunderung der Samaritaner oder Samariter: Ein Mensch war von Räubern überfallen worden und lag schwer verletzt in der Wüste. Alle gingen vorbei: der Rabbiner, der Beamte, der Gelehrte. Dann kam ein Samaritaner oder Samariter, hielt an, versorgte die Wunden, nahm den Verletzten mit und bezahlte seinen Aufenthalt in einem Gasthof. Das ist die Parabel der guten Tat, die nicht nach unserer Herkunft oder unserem Bekenntnis fragt, sondern nur nach unserer Effizienz. Jeder Religionsstifter lebt unter definierten Bedingungen in einer ebenso bestimmten Zeit. Man muss also in seiner Interpretation den Zeitgeist von der Quintessenz, dem Kern seiner Botschaft trennen. Das ist insbesondere das Problem Mohammeds, der sich am Anfang in seiner Heimatstadt Mekka seiner Feinde zu erwehren hatte und in die später nach ihm benannte Stadt Medina auswich. Man könnte Mohammed, der sich im Koran dutzende Male auf Jesus beruft, auch einen konsequenten Monotheisten nennen, denn die Christen hatten inzwischen einen Dreigott installiert und darüber waren heftige Kämpfe ausgebrochen.

Gandhis Werk des gewaltlosen Widerstands wurde von Martin Luther King fortgesetzt und ist in allen Demokratien als wichtiges, wenn nicht wichtigstes Element enthalten: der Staat hat das Gewaltmonopol, aber er darf es nur sehr sparsam anwenden. Solange es Waffen und Wasserwerfer gibt, ist die Demokratie nicht allgemeingültig.

Wir sollten weder Macht demonstrieren noch unsere nationalen oder auch religiösen Prinzipien über andere stellen. Statt dessen sollten wir in einem gigantischen Programm, – unter anderem mit dem Geld, das US-Präsident Trump für die Erhöhung des Rüstungsetats bereitstellen will, und das mehr ist, als Russland für Rüstung ausgibt, – die Slums in den großen Städten durch Wohnungsbauprogramme und Bildungsangebote schließen. Dies muss mit einer echten Arbeitsbeschaffung einhergehen. Staatliche Gelder werden nicht in staatlichen Organisationen, wie beim nazideutschen Autobahnbau, ausgegeben, sondern dienen gleichzeitig, wie von Lord Keynes vorgeschlagen und vom erfolgreichsten aller US-Präsidenten, Franklin Delano Roosevelt, ausgeführt, der Konjunktur. Sodann wird dieser unwürdige Kampf ums Öl dadurch beendet, dass wir einen kostenlosen öffentlichen Stadtverkehr in allen Städten der Welt durchsetzen. Dadurch würde sich der Ölverbrauch von selber senken. Sodann muss die ebenfalls unwürdige Plastikverschwendung, vor allem für Verpackungen, sofort beendet werden. Viele Länder, allen voran China, haben uns nachgemacht. Das führt dazu, dass ganze Flüsse und große Teile der Meere in Plastikverpackungsabfällen zu ertrinken drohen. Die Massentierhaltung muss sofort durch Fastenprogramme und vegetarische Alternativen sanft beendet werden. In Deutschland sind schon neun Millionen Menschen Vegetarier. Allerdings verbieten sich Verbote. Alle anderen Probleme lassen sich dann mit dem Schwung, den wir dann aufgenommen haben, besser lösen.

Alles das muss sofort in die Bildungsprogramme aller Länder eingehen: von den rumänischen Slums der Roma bis hin zu den Slums in den Megastädten. In Heliopolis kann man mit dem anfangen, was jetzt hin und wieder der deutsche Chefarchäologe interessierten Zaungästen erklärt. Hier, so würde in den Kursen erklärt, fanden wir Menschen die erste Transzendenz: die Sonne, das Licht, das Gute, die Hilfe, die Sattheit, den Reichtum, die Würde des Menschen und des Tiers, alle Menschen sind unter der Sonne gleich, alle Tiere sind unsere Schwestern und Brüder.

Das ist Sozialromantik? Ja, natürlich, aber heute wird man dafür nicht mehr gekreuzigt.

DEUTSCHE GRUNDSUPPE

 

Nr. 230

Ringelpietz mit Anfassen war schon in meiner Jugend der verächtliche Ausdruck für sinnlose Treffen älterer Menschen, auf denen es um das Essen ging. Deshalb stand vorsorglich auf der Einladung: für das leibliche Wohl ist gesorgt. Diese Formulierung stammt aus der Zeit, da die Menschen in den Alpentälern oder in der Uckermark einmal im Jahr zu einem Fest ins Nachbardorf gingen, das soweit entfernt war, dass sie, als sie ankamen, schon wieder Hunger hatten. Überhaupt war der Hunger im neunzehnten Jahrhundert noch weit verbreitet. Damals war also das leibliche Wohl gefährdet, wenn man zwanzig Kilometer lief. Heute dagegen sitzen dicke alte Menschen herum, die Kuchen, gegrillte Schweine, Bier und Kaffee liter- und kiloweise in sich hineinschütten. Fast jede Veranstaltung, auch wenn sie Gottesdienst oder Konzert oder Bürgerdialog heißt, ist mit Fressen und Saufen verbunden. Die meisten Teilnehmer sehen auch so aus, als ob ihr leibliches Wohl bald in Überfressung und Unwohl umschlüge.

Das ist einer der Gründe, warum jede Gesellschaft nicht nur der Erneuerung durch die nächste Generation bedarf, sondern auch durch die sogenannten Fremden, die – aus welchen Gründen auch immer – ein und auswandern. Es ist geradezu lustig, mit heutigen Refugès durch Dörfer zu fahren, in denen vor dreihundert Jahren ebenfalls Refugés ankamen. Damals waren es vor allem Glaubensgründe, die aber schnell in wirtschaftliche Argumente umschlugen, denn die Flüchtlinge brachten Kenntnisse, Handwerke und Initiativen mit, die hier nicht bekannt waren. Noch heute sieht man die französischen Tabakscheunen aus den gewöhnlichen Scheunen wegen ihrer Größe herausragen. So wie heute die türkischen Einwanderer waren damals die französischen weitaus selbstständiger, hatten mehr Unternehmen  als die vergleichbaren Alteinsitzer. Das hängt sicher damit zusammen, und dafür ist natürlich die Einwanderung in Amerika das beste Beispiel, dass nicht gerade die initiativarmen und mutlosen Söhne gehen. Die Flüchtlinge sind ja die Fortschreitenden. Der Fortschritt kommt nicht vom Beharren auf Sätzen und in Orten.

Meine ostafrikanischen Flüchtlinge wollten schon ein Jahr lang ins benachbarte Polen, weil sie gehört hatten, dass dort alles billiger ist als hier. Jetzt endlich haben sie den lang ersehnten Reiseausweis und dürfen in fast alle Länder, mit Ausnahme ihres Heimatlandes, reisen. Denn erstens kämen sie dort ins Gefängnis und zweitens würden sie hier ihren Schutzstatus verlieren. Der Hauptmann von Köpenick lauert überall. Die lustigste Begegnung, die wir in Stettin hatten, war beim Essen. Stettin ist bekanntlich eine polnische Großstadt. Davor war sie siebenhundert Jahre lang eine deutsche Großstadt und davor war sie mindestens vierhundert Jahre lang eine  slawische Burg und Stadt. Meine Ostafrikaner sind koptische Christen, die aber viel genauer die Vorschriften und Rituale einhalten. Wir mussten also im katholischen Polen etwas zu essen suchen, das sowohl kein Fleisch als auch keine Milchprodukte enthielt. Im Einkaufszentrum Galaxy gibt es vielleicht ein Dutzend Restaurants, neben dem polnischen, wo nichts vom Fasten zu sehen war, ist das türkische. Dort gaben wir in Englisch unsere nicht ganz leichte Bestellung auf. Die jungen Verkäufer und Verkäuferinnen können übrigens alle sehr gut Englisch. Es gibt kein Problem. Das ist überhaupt auch der Lieblingssatz meiner Flüchtlinge. Problematisch ist eher, aber die Gründe liegen in der Politik, wie wir alle wissen, dass es im katholischen, also christlichen, also nächstenliebenden Polen keine Flüchtlinge gibt. Damit ist einerseits der Mut meiner Flüchtlinge bewundernswert, in dieses Land zu wollen und auch zu fahren. Andererseits war es auch ein Versuch. Wir sind überall gut aufgenommen worden. Die meist jungen Verkäuferinnen waren keinem Flirt und Witz abgeneigt. Jedenfalls gab es also einen wunderbaren türkischen Salat mit Oliven und scharfer (‚spiced‘) Sauce in einem amerikanischen Einkaufzentrum in der polnischen Stadt, die lange deutsch war, für ostafrikanische (‚Habesha‘) Flüchtlinge und ihren Betreuer und Paten, der von französischen Refugés abstammt. Amtssprache ist hier Englisch. Wir sind hier in Europa. Europa ist genauso wie Amerika ein Einwanderungsgebiet, schon einmal weil es auch ein Auswanderungsgebiet ist.

Die Grundsuppe muss nicht nur gut gerührt werden. Sie darf uns nicht anbrennen. Sie wird aber auch langweilig, wenn sie immer nur die gleichen Bestandteile hat (‚krauts‘). Die refugees kommen alle aus Familien mit vielen Kindern. Es wird keiner geopfert, sondern einer vorgeschickt. Aber er erkundet nicht nur, sondern schickt Geld nach Hause. Er bleibt Mitglied der Familie. Vielleicht war er nicht nur der wendigste, sondern auch der offenste.

Bei dieser Fahrt, es war nicht unsere erste, aber unsere erste ins Ausland, für sie die erste legale Auslandsreise überhaupt, wurde streng darauf geachtet, dass ich genügend Kaffee bekam, den sie bezahlten. Da sie sich aber nicht trauten zu bestellen, ging ich mit und bestellte auf polnisch. Am Tisch fragte dann B., der bezahlt hat, ob es in Polen Menschen gibt, die tigrinisch können. Er hatte das Wort ‚herbata‘ gehört, das es, was wir alle nicht wussten, sowohl in Tigrinisch gibt, da heißt es vier, und in Polnisch, da heißt es Tee. Das kann man sich am Herbarium merken, dem getrockneten Kräutergarten, dem Vorläufer des Gewächshauses oder der Darre. Das Wort stammt aus dem Lateinischen und heißt Kraut, siehe oben. Globalisierung kommt auch aus dem Lateinischen und heißt rund, Erdenrund. Globalisierung ist nicht das, was man machen oder verhindern kann, sondern das, was passiert, wenn man keine Kriege und Grenzen mehr hat, sondern nur noch Handel und Wandel treibt, wenn man die Eisenbahn erfindet, das Automobil und das Smartphone. All das führt dazu, dass aus den vielen verschiedenen Menschen die Menschheit wird. Die Regierung in Warschau hinkt hinterher, die Menschheit in Stettin ist da weiter.

Niemand sollte einem anderen die Suppe versalzen. Aber wir sollten schon für neue Gewürze offen sein. Das Wort Grundsuppe habe ich direkt aus dem sechzehnten Jahrhundert importiert. Luther bezeichnete das Papsttum, so heißt auch ein Dorf in Mecklenburg, als Grundsuppe des Teufels. Müntzer dagegen, der gevierteilte Sympath, nannte den Besitz die Grundsuppe des Wuchers, den wir alle ablehnen, auch jene, die das Geld und den Geiz lieben. Für den Geiz gibt es immer gute Gründe, die Güte steht dagegen grundlos da.