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Wenn Gott, falls es ihn gibt, wirklich ein Subjekt wäre, dem ununterbrochen gehuldigt werden muss, dann wäre er nichts als eine billige Karikatur von Herrschern, die ihren Beruf verfehlt haben.
Natürlich geht es hier nicht um Gott, den wir nicht beurteilen können, sondern um die Politiker, mit denen wir wenigstens leben müssen.
Ein berufener Politiker erwartet keine Huldigungen, sondern huldigt seinen Wählern oder seinem Volk.
Höhepunkte von Konrad Adenauers Leben als Politiker waren die Erfindung der Adenauerwurst* und des Kölner Brotes und die Rückholung der letzten zehntausend Kriegsgefangenen aus Russland. Er ging sehr vorsichtig zu werke. Seiner Delegation wurde ein gepanzerter, abhörsicherer Eisenbahnzug vorausgeschickt, in dem sich auch seine ebenfalls gepanzerte Mercedeslimousine befand, mit der er dann durch Moskau düste. Der Schlagabtausch mit Chruschtschow, Bulganin und Molotow, also mit eisenharten Stalinisten, war eisenhart, aber Adenauer hatte, wenn auch keine hochrangigen, so doch gestandene Nazis an seiner Seite. Der Durchbruch kam nach Schwanensee im Bolschoi Theater und literweisem Wodka, den der fast achtzigjährige Kanzler gut überstand. Die Russen bekamen ihre diplomatischen Beziehungen, Adenauer bekam seine Kriegsverbrecher. Bei dem berühmten Empfang der Spätheimkehrer im Lager Friedland war Adenauer durch eine schwere Grippe verhindert, aber bei der improvisierten Pressekonferenz anlässlich der Heimkehr der bundesdeutschen Delegation aus Moskau gibt es eine Szene, wo eine schon recht alte Frau sich nach vorne drängt, tatsächlich auch zu Adenauer durchdringt und ihm unter Tränen zweimal die Hände küsst. Man sieht deutlich die Verunsicherung des greisen Politikers. Schon das erste Mal wehrt er, noch freundlich lächelnd, ab, aber beim zweiten Mal wird er deutlich und schiebt die Frau mit der geküssten und tränengetränkten Hand unwirsch beiseite. Adenauer wusste, dass er nicht in einer menschlichen Hierarchie oben steht, sondern dass er – als hochkarätiger Pragmatiker [PATENTIERTE ADENAUERWURST!] – auf einer Leiter der Fakten die jeweils günstigste Sprosse erreicht hatte. Das Brot und die Wurst verdanken die Kölner, deren berühmtester Bürgermeister er später war, seiner Herkunft aus einer alteingesessenen Handwerkerfamilie, die Kriegsheimkehrer verdanken ihre Rückkehr der Gier der Sowjetführung nach Anerkennung, Adenauers pragmatischer Meisterschaft, der Reife der Zeit, der Unfähigkeit der Ulbricht-Administration, die gerade aus ihrer größten Krise aufgetaucht und auf die nächste zu taumelte.
Im Dom zu Roskilde, wo alle dänischen Könige seit 1000[!] Jahren begraben sind, darunter Harald, genannt Bluetooth, kann man an einem Balken ablesen, wie groß König Christian X. war, der Großvater der heutigen dänischen Königin Margarethe II., nämlich zwei Meter, von den dort an einem Balken verewigten überragte ihn nur Peter der Große[!] mit zwei Metern und drei Zentimetern. Wir brauchen seine Größe, weil wir in zwei Anekdoten zeigen wollen, dass auch er zu den unhierarchischen Herrschern gehörte. Als die Nazis Dänemark besetzt hatten, hissten sie auf dem Reichstag (Schloss Christiansburg) die rote Flagge mit dem Hakenkreuz. Christian X. bestellte den Nazigeneral ein und befahl ihm, die Flagge zu entfernen, was dieser natürlich verweigerte. Darauf sagte Christian X., dass in diesem Falle ein dänischer Soldat die Flagge entfernen wird. Der General erwiderte, dass der Soldat erschossen würde. Darauf sagte Christian X., der es auch gewagt hatte, Hitler so zu beleidigen, dass dieser den dänischen Botschafter ausweisen ließ, dass er das nicht glaube, denn er werde dieser dänische Soldat sein. Christian X. ritt jeden Morgen, begleitet von jubelnden Dänen durch Kopenhagen und zeigte damit seinen ungebrochenen Territorialanspruch an. Aus Dänemark wurde kein einziger Jude deportiert oder ermordet, weil sie auf sein Geheiß bei Nacht und Nebel in Fischerbooten über den Öresund nach Schweden verbracht wurden. Auch ihre vorherige Kennzeichnung mit dem Davidsstern scheiterte daran, dass Christian X. der Gestapo mitteilen ließ, dass er als erster diesen Stern tragen wird und dass er vermute, dass es alle Dänen ihm nachtun werden.
Sich in Fakten einreihen ist also die Fähigkeit eines Herrschers oder Politikers und damit Gutes tun. Wer so Handlungsstränge zum Guten wenden kann, braucht keine Hierarchie und Huldigung. Erzählen Sie das ihren Kindern unter dem riesigen Reiterdenkmal Christians X. in Kopenhagen, wie ich es tat, oder neben dem Adenauer, der auf dem Kurfürstendamm in Berlin noch immer steht.
*fleischlose Wurst auf Sojabasis, Vorläufer der heutigen vegetarischen Substitute, damals aber gegen den Hunger erfunden