allen bloggern alles gute im neuen jahr!

rochus rousseau und jean jacques stordeur
vademecum nr. 27 auf das jahr 2010

weg mit den uhren, dann hastu mehr zeit
steig ins kanu und der wind wird dich treiben
komm nur zu spät, und du darfst länger bleiben
wozu kalender: es ist schon so weit

faulheit und dummheit sind jedem zu leid
und die kontrolle zerstört das vertrauen
schönster beruf ist es brücken zu bauen
über die leere der meere von neid

nimm dir doch zeit und nicht etwa das leben
besser als nehmen ist allemal geben
besser gefühlt als nur immer gescheit

manches detail bleibt uns immer daneben
kompasse zeigen nicht mond und nicht beben
weg mit den uhren, dann hastu mehr zeit

FUCK THE "KRISE". Betrachtung nach Weihnachten

Rochus Stordeur

FUCK THE „KRISE“.

Eine Betrachtung nach „Weihnachten“

In einem Erziehungssystem, das letztlich eben doch noch auf Konditionierung und Hierarchie beruht, obwohl das Ziel der Gesellschaft eigentlich Demokratie ist, scheint es nur allzu verständlich, wenn auch die andere Seite mit Strafe arbeitet. Zum Lob hat sie sicher genauso wenig Anlass. Die Strafe kann in Verweigerung bestehen, zum Beispiel der als göttlich angesehenen und als alternativlos gepriesenen Erwerbsarbeit, weil in dieser Welt ohnehin schon viel zu viel Geld vorhanden ist. Die Strafe kann aber auch in der Zerstörung der Konstrukte der Erwachsenen bestehen, hier ist es ein Sportplatz, mithin eine Schnittstelle der beiden Welten. Das Erziehungsziel könnte also lauten: wenn ihr euch weiter so unsinnig benehmt, zerstören wir sogar die Orte, die ihr eigens für uns angelegt habt: die Sport- und Spielplätze!
Eine Krise ist das Unten einer als Sinuskurve vorgestellten Verbildlichung des Lebens oder der Wirtschaft. Der arme Kondratjew (1892-1938) musste sterben, wenn auch nicht, weil er die Länge der Amplitude mit etwa fünfzig Jahren angegeben hat. Seine Idee war es, lange Wellen und als Beginn der Berge Innovationen anzunehmen und das über 140 Jahre nachzuweisen. Es ist unverständlich, warum immer nur über die Berge nachgedacht wird. Zwischen den Bergen liegen Täler, das ist in Bosnien so und in der Wirtschaft. Wer sich über einen Gipfel freut, darf sich nicht über Täler wundern. Zwar mag die Sorglosigkeit der Banker eine Krise vertiefen, verschuldet ist sie indessen nicht durch die Banker und schon gar nicht durch Regierungen.
Warum setzt der tagger aber die Krise in Anführungszeichen? Es besteht die Möglichkeit, dass er damit der Mode unterliegt Anführungs- als Betonungszeichen oder als Metaphernwarnung zu missbrauchen. Es ist aber genauso gut möglich, dass er gar nicht die Krise meint, sondern vielmehr von der Unglaubwürdigkeit der erwachsenen Medien und der erwachsenen Menschen ausgeht. Er glaubt ihnen nicht, dass es überhaupt eine Krise gibt. Wenn er sich überlegt, was alles schon für Ursachen für Schwierigkeiten angenommen wurden, die Engländer, die Franzosen, besonders die Juden, alle Ausländer, neuerdings die Türken, der liebe Gott, die Krise, der Weltkrieg (welcher?), die Nachkriegszeit, das Erdbeben in Chile, der Klimawandel, die Automobile, die Kühe, der Tsunami Nr. 27, die Eiszeit, der kalte Krieg, der kalte Hund, die Kälte, der Egoismus, das Böse, dann fragt er sich, ob es überhaupt noch Sinn macht nach dem Grund zu fragen. Man kann keinem trauen, der mehr als 30 Jahre alt ist. Man kann den Medien nicht trauen, den Regierungen nicht und nicht den Wissenschaftlern. Wenn man aber auch Weihnachten in Anführungszeichen setzt und damit vielleicht sagen will, das, was ihr da feiert, hat mit Weihnachten soviel zu tun wie die Kuh mit Ballett, dann muss man sich fragen lassen, woher man die Richtschnur, die Norm für „wahres Weihnachten“ und „keine Krisen“ nimmt.
Es gibt Krisen. Sie sind das Unten einer als Sinuskurve vorgestellten Verbildlichung des Lebens oder der Wirtschaft. Es gibt Weihnachten. Es ist der Geburtstag des praktizierenden Philosophen Jesus, der die erste moralische Wende herbeigeführt hat, ob er nun Gottes oder Josephs Sohn war. Er war jedenfalls der erste – in unserem Kulturkreis, von dem wir wissen – der Rache als Vermehrung der Ungerechtigkeit sah, der nicht Richter sein wollte (nur wer ohne Sünde ist, soll den ersten Stein werfen!). Gelacht wird oft über seine merkwürdige Lehre, dass, wenn man auf die linke Wange geschlagen wird, man die rechte hinhalten solle. Vielleicht, so habe ich neulich gehört, kann man es so interpretieren, dass man ganz ungewöhnliche Angebote bei Menschen machen soll, die gerade mal konventionell und konservativ handeln können. All diese schönen Sprüche sind nicht wörtlich zu nehmen, es sind Metaphern, wenn man auch, wie bei Kafka, manchmal nicht weiß, ob man selbst nicht auch so ein Gleichnis ist, statt wirklich, besonders wenn man im virtuellen Raum agiert, im „virtuellen“ Raum agiert, im virtuellen „Raum“ agiert, im virtuellen Raum „agiert“, … „…“ …

Das XVIII. Jahrhundert und die dummen Filme

Rochus Stordeur

DAS XVIII. JAHRHUNDERT UND DIE DUMMEN FILME

„Wanted“ oder Eine Betrachtung zu Weihnachten

Ein junger Mensch gerät auf der Suche nach seinem Vater (wer sucht den nicht?) in eine Geheimgesellschaft mit perfekten Tötungsmethoden. Nachdem es in der ersten Hälfte des Filmes so aussieht, als ob der junge Mann Opfer würde, schafft er es in der zweiten Hälfte, Töter zu werden. Zwar tötet er aus Versehen auch seinen Vater, aber es gelingt ihm auch en passant , die Chefs und Macher der Gesellschaft zu überführen, und zwar sowohl ihrer Schuld als auch vom Leben in den Tod.
Der Film und viele ähnliche sind nicht nur dumm, sondern nur zu einem Drittel dumm. Ein zweites Drittel besteht aus archetypischen Erzählungen. In diesem Film ist es die allmächtige Geheimgesellschaft, die immer und überall alles über jeden Beteiligten weiß . Es ist der Vater-Sohn-Konflikt, der beinahe inzwischen DAS GLEICHNIS VOM VERLORENEN VATER heißen könnte. Untersucht wird, ob das Verschwinden des Vaters irgendeine Rechtfertigung hat. Dieser Vater hier verschwand, weil er von der Geheimgesellschaft missbraucht wurde. Er rettet in einer dramatischen Modellbahn-Aktion seinen Sohn und wird anschließend von diesem erschossen. Eine der fast unlösbaren Aufgaben in dieser Geheimgesellschaft ist es, ein flitzendes Weberschiffchen an einem vollautomatischen Webstuhl zu fangen. Der soeben entstehende Stoff birgt eine eingewebte Botschaft, obwohl der Zusammenhang zwischen Stoff und Botschaft bekannt sein dürfte: Textil – Textur – Text. Der Kleiderstoff ist die Metapher für das Lebensgewebe und umgekehrt. Das ist das eigentliche 18. Jahrhundert: das Denken auf dem Niveau eines Webstuhls und die Vorstellung, dass Konditionierung richtig sei. Wir erinnern uns: Ein Hund oder ein Kind wird mit Tadel und Lob, Kopfnuss und Küsschen, Strafe und Lohn, die Strafe kann schon die abgeschlagene Hand sein, Tod und Überleben erzogen. Dann stellt es sich so dar, dass der Tod das falsche Ergebnis, das Überleben jedoch das richtige sei: Eine wimmelnde Welt also, wenn alle alles richtig machen und zur Belohnung überleben dürfen. Nur: wer ist der Richter? Der Gott der Ameisen, der alles weiß und alle kennt und alles darf? Warum soll der Tod falsch und schlecht sein, nur weil er im Einzelfall Trauer oder gar Verzweiflung auslöst? Schnell relativiert sich die Trauer. Platz ist geschaffen, Leid beendet. Kommt nun noch der unselige Wille des 19. Jahrhunderts hinzu, die Vorstellung also, dass das Weberschiffchen durch die bloße Konzentration des Willens gefangen werden könnte, so verkehrt sich das Leben. Jetzt kann jede einzelne Ameise Gott werden. Diese Vorstellung vergisst nur, dass es auch eine Kehrseite gibt: Jeder ist seines Glückes Schmied oder Müllmann! Die Botschaft von solchen Filmen und solchen Billigphilosophien überhaupt ist es also anzunehmen, dass, wenn das Gute nur die Mittel des Bösen hätte und anwendete, das Gute dann endlich, endlich siegen würde. Aber wer kann es dann noch vom Bösen unterscheiden, und gerade darin liegt doch die Wurzel menschlicher Moral? Das ist eine Frage! In diesem Film kann des Menschen Wille sogar Pistolenkugeln von ihrem geraden Weg ablenken, aus dem Fakt wird der Kontrafakt, aus dem Toten wird – in einer Art weißem Schokoladenüberzug – ein Überlebender, aus dem Menschen wird der Übermensch. Nietzsche meinte übrigens mit seinem Übermenschen wohl eher den fittesten Leser, allerdings glaubte er auch an einen „Willen zur Macht“, also an den Schopenhauerschen Grundirrtum. Indessen liegt der Widersinn wo anders: das Böse ist nicht eine Macht, ein Block, eine Unperson, der Untäter schlechthin, sondern ein Maximum an Fehlentscheidungen. Fehlentscheidungen können wir nur am kategorischen Imperativ Kants messen, also immer so zu handeln, dass die Formel unseres Handels zum allgemeinen Gesetz werden könnte. Daraus könnte man scherzhaft einen kategorischen Pejorativ entwickeln: handle stets so, dass du deinen Mitmenschen maximal schadest, dann schadest du auch dir am meisten! Allerdings bleibt einem dieser Scherz im Halse stecken, vor allem, wenn man nicht dumme Filme, sondern das eigene dumme Tun betrachtet, die alltäglichen Untaten, die Nullstellen im ewigen Kalender.
Bleibt das letzte Drittel, es besteht aus Märchenelementen, auch Fantasy genannt, hier bleiben die Jugendlichen Kinder, die Erwachsenen bleiben jugendlich, Weihnachten wird wahr oder die Realität wird Weihnachten!

das neue weihnachtslied

rochus stordeur
das neue weihnachtslied

1
dunkelster tag trifft die kälteste nacht
licht hat und wärme ein kind uns gebracht
vorurteil flieht und auch hass, neid und gier
leben heißt loben mensch, pflanze und tier

2
viele beklagen den mangel an halt
und diese welt, sie erscheint ihnen kalt
tränen, die trocknet nun mal nicht der wind
leben heißt laben den greis und das kind

3
ärgern bringt nichts als noch ärgere pein
glück und gerechtigkeit stelln sich nicht ein
freut euch des lebens, weil böses doch wich
leben heißt lieben: die menschheit und dich

4
alles, was nottut, ist lob, labsal, lieb
was, wenn wir sterben, vom leben verblieb
sieh auch den fremden, den feind und den dieb
weihwort an weihnacht ist: bitte vergib!

refrain
leuchtet als kind in das dunkel der welt
lebt eure liebe und giert nicht nach geld
werft alte lasten, hinweg, was euch trieb
alles, was nottut, ist lob, labsal, lieb

alter

внимание achtung dikkat uwaga attention ахтунг
im alter legt sich wie
gewebt von einer spinne
ein roter und toter teppich
interpretationen vor die sinne
ich höre was ich will
ich sehe klar was war
ich fühle stets kühle
zu riechen und schmecken und tasten
sind sünden und laster und lasten
mein siebter sinn wo ist er hin?

kommunikation und warmes wasser

kommunikation und warmes wasser

ein junger kosovare, der natürlich auch begeisterter albaner ist, fragte mich, als er das bild sah, und er sah es, als ich fragte, ob das wohl solch ein minarett des schreckens sei, wovor die schweizer und andere europäer zitterten, er fragte mich, warum ich nicht die et’hem bey moschee in tirana oder all die schönen berge und blauen meere fotografiere. ich aber will nicht das glatte und schöne fotografieren, sondern den widerspruch, die ironie der landschaft, das traurige und das kosmische, das wir menschen in den häusern hinterlassen.
die mittagshitze ließ das ganze dorf zu ruhe und reglosigkeit gerinnen, nur ein esel und ein honigmelonenverkäufer zeigten, dass das dorf lebte. obwohl niemand zu sehen war, der uns beobachtete, fühlten wir uns beobachtet, weil es immer peinlich ist, andere menschen voyeurhaft zu beobachten, wie wir es taten. ob sich das betrachtete tatsächlich durch die betrachtung verändert, lässt sich ja nicht immer so schnell feststellen. in dem dorf war nicht nur eine neue moschee, sondern auch, paritätisch, eine neue kirche. die neue zeit war also nicht nur baulich, sondern auch politisch korrekt angekommen. bei der moschee sehen wir aber vier kommunikationswege, und das ist die ironie dieses blicks. der turm, das minarett, ist traditionell für einen muezzin gebaut. aber, der weg mag zu beschwerlich gewesen sein oder die muslime bosniens haben die art des ausrufens der gebetsstunde als zu anachronistisch in ihrer durch wachstum und modernität sich als fortschrittlich verstandenen kommunistischen umwelt gefühlt. jedenfalls soll bosnien das erste land der welt gewesen sein, das die muezzine durch lautsprecheranlagen ersetzte. vielleicht haben die albanischen muslime als nachbarn der bosniaken und weil sie zum atheismus verurteilt waren den mangel an modernität als besonders hart empfunden. vielleicht ist es aber heute einfach allgemein üblich, die direkte kommunikation durch die elektronisch verzerrte zu ersetzen, die stimme zu schonen, aber die rezeption der entpersönlichung auszusetzen, modernität als ein schritt in die beliebigkeit und säkularisierung.
seltsam unmodern wirkt auch die traditionelle fersehantenne, die noch dazu schräg ist. die vollständige isolation albaniens während des kalten krieges ist merkwürdigerweise auch durch das fernsehen erreicht worden. denn während die bevölkerung fernzusehen glaubte, sah sie tatsächlich nur nah. die sprachliche isolation sorgte dafür, dass keine information in den hermetischen raum enver hoxhas gelangen konnte. 600.000 bunker sorgten zudem für die tatsache der bedrohung: der gesamte imperialismus, unterstützt von den titoisten und chruschtschowianern, stand bereit, albanien auszurauben. man konnte dies alles ende der 60er und anfang der 70er jahre auf einem kurzwellensender hören, der pausenlos die ganze welt als feind albaniens beschimpfte. in der kosovarischen stadt ferizaj kämpfen immer noch die enveristen gegen die titoisten.
das alles zeigt die stehengebliebene fernsehantenne. daneben läuft eine zweipolige elektroleitung, die kommunikative hauptschlagader. wenige meter vor diesem foto hat sie jemand angezapft, indem er sie mit drähten enterte. so gesehen mag uns der balkan immer noch gestrig anmuten. aber unbeachtet bleibt dabei, dass man manchmal einfach nur stehen bleiben muss, um vorwärts zu gelangen. die warmwasserbereiter auf den metallgestellen – sie könnten die zukunft von europas energiegewinnung anzeigen. so wie die landwirtschaft polens durch den mangel an düngemitteln und pestiziden beim eintritt in die europäische union ökologisch verträglich war, so ist die warmwasserbereitung über den dächern zukunftsweisend. wir können von dem kleinen und armen albanien lernen. an dem tag und in der stunde, als das foto entstand, waren 45°C. das ist das einzige gegenargument: es ist nicht immer und überall so warm. aber man kann mit dem besuch in diesem dorf und mit dem foto ein neues ideal gewinnen: das ideal der einfachen, ökologischen billigen und bequemen energiegewinnung, albanien kündet vom neuen solaren zeitalter.
der albaner oder kosovare, der uckermärker oder mecklenburger sieht dagegen auf diesen fotos seine heimat geschmäht, fühlt sich vorgeführt. die beste interpreation ist noch, dass es sich bei den fotos um eine variante des schwarzen humors handelt. gerade auf dem balkan kann man deutlich erkennen, dass heimat kein ort, sondern eine gedanke, wenn nicht eine ideologie ist. auch in der uckermark begegnen sich die zugezogenen der verschiedenen generationen.