nacherzählt* für einen jungen Muslim**

Es war einmal ein Mann im Land Kanaan, der war der Sohn Ishaks und Ibrahims, er hieß Yakub und hatte zwölf Söhne, von denen ihm aber Yusuf der liebste war. Möglicherweise glaubte er den Träumen seines Lieblingssohns. Denn dieser träumte, dass seine Garben stünden, die seiner Brüder aber umfielen und dass die Sonne, der Mond und elf Sterne sich vor ihm verneigten. Die Brüder wurden eifersüchtig und beschlossen, Yusuf zu töten. Ruben, der älteste Bruder war dagegen. Also zogen sie Yusuf aus und warfen ihn nackt in eine Grube. Aber auch das fand Ruben zu schlimm, so dass sie ihn schließlich an vorüberziehende Händler als Sklaven verkauften. Deren Karawane aber zog nach Ägypten. Dort verkauften die Kaufleute Yusuf an Potiphar, den Kämmerer und Hauptmann der Palastwache des Pharaos. Die böse Frau des Potiphar aber wollte den jungen Yusuf als Geliebten in ihrem Bett haben. Yusuf weigerte sich, weil er wusste, dass das nur Ärger bringen würde. Eines Tages gelang es aber der bösen Frau, Yusuf auf der Flucht vor ihr seine Kleider zu entreißen. Sie zeigte ihrem Mann und dem ganzen Haus die Kleider Yusufs als Beweis dafür, dass er sie vergewaltigen wollte. Yusuf kam ins Gefängnis, aber auch dort wurde er, weil er unter dem Schutz Gottes stand, recht gut aufgenommen. Eines Tages kamen auch der oberste Mundschenk, der Verwalter der Weine und Biere, und der königliche Hofbäcker ins Gefängnis. Sie träumten, dass sie drei Weinreben in der Hand hielten und drei Körbe voll Brot auf dem Kopf trügen. Yusuf deutete die Träume so, dass der Mundschenk in drei Tagen frei käme, der Bäcker aber in drei Tagen gehenkt würde. So kam es auch. Aber erst als auch der große Pharao einen bösen Traum hatte, fiel dem Mundschenk ein, dass er Yusuf versprochen hatte, alles für seine Befreiung aus dem Gefängnis zu tun. Dem Pharao hatte geträumt, dass auf seinen Weiden am Nil erst sieben fette Kühe geweidet hätten, dann aber wären sieben magere und hässliche Kühe gekommen, die die dicken und schönen Kühe gefressen hätten. Der Pharao war schweißgebadet aufgewacht. Man holte Yusuf also aus dem Gefängnis, zog ihm neue Kleider an und führte ihn vor den Pharao. Yusuf deutete die Träume so, dass nach sieben wirtschaftlich guten Jahren sieben Jahre der Teuerung und des Hungers kommen werden. Er riet dem Pharao deswegen, für die Jahre des Hungers Speicher mit Getreidereserven anzulegen. Der Pharao erkannte die großen Fähigkeiten Yusufs und machte ihn zu seinem Oberminister, also zum zweiten Mann im Reich. Yusuf ließ im ganzen Ägyptenland verkünden, dass er alles Korn aufkaufe und große Speicher bauen lasse. Und nachdem die sieben guten Jahre vergangen waren, begann in allen Ländern die Zeiten der Missernten, der Teuerung und des Hungers. Auch im Land Kanaan wurde das Essen knapp und der alte Vater Yakub schickte seine Söhne, mit Ausnahme von Binyamin, nach Ägypten, damit sie dort Getreide oder Mehl kaufen sollten. Als sie dort ankamen, erkannte Yusuf seine Brüder, aber die Brüder erkannten Yusuf nicht, denn er war ein großer, reicher und mächtiger Mann geworden. Um seine Brüder zu prüfen, warf er ihnen vor, Spione zu sein. Zudem wollte er wissen, warum der jüngste Bruder nicht dabei wäre. Er befahl ihnen, den jüngsten Bruder Binyamin zu holen, dafür sollten sie Simeon zum Pfand dalassen. Die Brüder merkten auch nicht, dass Yusuf ihre Sprache verstand, denn er redete mit ihnen über einen Dolmetscher. Sie zogen also zurück. Yusuf hatte ihnen die Säcke vollfüllen und sogar das Geld zurückgeben lassen. Zuhause angekommen, betrübten sie ihren alten Vater noch mehr. Denn er hatte schon seinen Lieblingssohn verloren, nun war Simeon in Ägypten geblieben und Binyamin sollte dem Oberminister des Pharaos vorgeführt werden. Die Brüder wurden nun aber von ihrem schlechten Gewissen angetrieben, sie hatten wohl gemerkt, dass ihr Schicksal sich gegen sie gewendet hatte. Der Vater Yakub gab ihnen also Binyamin mit, dazu Balsam und Honig, Gewürze und Myrrhe, Datteln und Mandeln als Geschenke. Erneut prüfte sie Yusuf, indem er ihnen nun auch noch den Diebstahl seines silbernen Bechers anlastete. Als Yusuf alles auflösen und sie in sein Haus zum Essen einladen wollte, glaubten die Brüder an eine Falle und an das böse Ende einer – aus ihrer Sicht – bösen Geschichte. Yusuf aber hatte ihnen schon vergeben, als er nackt und dem Tode geweiht in der Grube lag. Er deutete die ganze Geschichte als ein Werk Gottes. Yusuf war von ganz unten nach ganz oben aufgestiegen. Zuguterletzt bat der Pharao Yakub und seine zwölf Söhne sowie deren Frauen und Kinder zu sich nach Ägypten. Yakub starb im Alter von 130 Jahren und wurde – seinem Wunsch gemäß – in Hebron begraben. Yusuf starb mit 110 Jahren und wurde zunächst in Ägypten begraben, aber später, als Musa und Harun ihr Volk nach Israel führten, mitgenommen und in Nablus beigesetzt, wo sich heute eine Gedenkstätte für Juden, Christen und Muslime befindet.
*Bibel: Genesis (1. Buch Mose) Kapitel 37-50
Koran: Sure 12 Yusuf
**Abdul Razaq
Worterklärungen:
Kanaan – Landesteil in Israel Garben – gebündeltes Getreide eifersüchtig – neidisch auf Personen Sklave – Diener, der Eigentum ist Karawane – Gruppe von Händlern in der Wüste, meist mit Kamelen Kämmerer – Finanzbeamter Palast – Schloss, prächtiges Haus Pharao – König in Altägypten Teuerung – Inflation, die Preise steigen, weil die Waren knapp werden Speicher – Aufbewahrungsort Getreide – Korn, das zu Mehl gemahlen wird Reserve – Vorrat, Aufgehobenes Oberminister – Kanzler, Großwesir, Prime Minister, Ministerpräsident Spion – Kundschafter, Auskundschafter, der heimlich Informationen beschafft Pfand – Gegenstand, der gegen einen anderen Gegenstand getauscht wird, um ihn später wieder zurückzutauschen Dolmetscher – Übersetzer von einer Sprache in die andere Gewissen – die Bewertung der eigenen Taten oder Gedanken Schicksal – (durch Gott) vorbestimmtes Leben Hebron – Stadt in Israel Nablus – Stadt in Israel