DIE WEIHNACHTSMASCHINE

 

Nr. 170

Selbst wenn die Weihnachtsmaschine nur Lametta herstellen könnte, wäre sie Teil von dem, was in der gesamten christlichen Welt von Weihnachten erwartet wird, und das ist zu viel. Die Weihnachtsmaschine, wenn es sie gäbe, wäre so etwas wie die Turingmaschine, nur eben zur Lösung aller emotionalen Probleme aller Menschen. Schlaf, Drogen, Depressionen, aber auch Kunst und Religion helfen uns, das zu schwere Leben auszuhalten. Vom Lametta erhoffen wir uns die Lösung unserer unlösbaren Probleme. Im Weihnachtsbaum, der zur christlichen Metaphorik in keinem Zusammenhang steht, erhoffen wir uns die Reproduktion unserer Kindheit, genauer gesagt die widerspruchsfreie Katharsis, die auch in unserer Kindheit nur zu Weihnachten und vielleicht noch partiell in den Sommerferien eintrat, wenn der Sommer heiß und schön war. Genauso ist die hundertprozentige Erfüllung unserer Wünsche oder Ausführung unserer Pläne eben nicht möglich. Insofern ist jeder Weihnachtswunsch Illusion. Noch schlimmer ist es, dass die Erfüllung eines Wunsches ein noch größeres Bedürfnis erschafft, als es mit diesem Wunsch vorhanden war.

Die Kritik, dass Weihnachten einfach eine Verstärkung von Frustrations- und Konsumverhalten ist, ist so alt wie dieses Verhalten selbst. Deshalb wurde die Geburt von Jesus mit Weihnachtbäumen, Engeln und Christkindern, Nikoläusen und schließlich Weihnachtsmännern verstärkt, aber auch sie haben ihre Höhepunkte überschritten und verblassen gerade.

Wir wollen gleichzeitig eine Atempause und einen moralischen Ansporn, den wir aber mit Absicht jedes Jahr überhören, weil wir immer die Welt durch Kritik an den andern verbessern wollen. Auch die Pause füllen wir uns mit einem Kalender voller Termine zur angeblichen, tatsächlich aber weit verfehlten Besinnung. Auch diese Kritik ist schon sprichwörtlich.

Wahrscheinlicher fällt die wachsende Verkultung von Weihnachten eher mit der Sinnkrise der wohlhabenderen Menschheit zusammen. Ein fehlender Sinn wird aber immer noch nicht als Defizit empfunden. Statt dessen wird weiterhin das Wohlstandsdefizit als eigentliches Problem benannt, so als würde das neunzehnte Jahrhundert fortdauern. Hunger lässt sich einfacher und himmelschreiender beschreiben als Leere.

Dabei stehen der Sinn des Lebens und die Weihnachtsbotschaft in engstem Zusammenhang: die Lösung kommt nicht von außen. Wer auf den Sinn des Lebens wie auf ein Weihnachtsgeschenk wartet, kann lange warten. Man kann den Sinn des Lebens nicht bei Amazon bestellen. Wer auf einen Erlöser wartet, kann ebenso lange warten. Vielmehr ist die Weihnachtsbotschaft eine Metapher der Selbstbefreiung. In jedem neugeborenen Kind ist die Hoffnung auf Sinn und Sinngebung, nicht auf Sinnerlangung.

Jeder hat es schon einmal erlebt, dass ein langes Gespräch Licht in das Dunkel bringen kann. Das muss und kann nicht die Lösung des Problems sein, falls es ein Problem gibt, sondern eine neue Sichtweise, eine Ermutigung. Wer schon einmal in einer verzweifelten Lage war, weiß, dass die Ermutigung mehr wert ist als die fertige Lösung oder der richtige Weg. Denn es gibt keinen richtigen Weg, es gibt keine widerspruchsfreie Lösung. Das ist das Paradox des Weihnachtsgeschenkes: wenn man es endlich hat, ist man schon wieder unbefriedigt und in Erwartung des nächsten Weihnachten. Wenn wir uns die Welt als einen tiefen dunklen Wald vorstellen, etwa wie bei Rotkäppchen, dann ist der Wegweiser eher eine Falle, unsere Hoffnung ist zu einem Drittel Misstrauen und zum dritten Drittel Verzweiflung. Sieht man umgekehrt die Welt als Metapher für einen dunklen unwegsamen Wald, dann sind am Ende mehr verführte als frohe Menschen zu sehen.

keintelefon

Die Weihnachtsbotschaft ist Freude, aber die meisten Menschen sind gar nicht froh. Sie leiden an sich, an ihren Widersprüchen oder Pickeln, an ihren Wünschen oder Hoffnungen oder Geschenken. Der Sieg über den Hunger hat mehr Probleme geschaffen, als er gelöst hat, woraus nicht folgt, dass das Leben mit dem Hunger leichter gewesen wäre. Nur fielen damals Sinn und Hungerbeseitigung – oder Essenbeschaffung – zusammen.  So gesehen sind die Flüchtlinge, die derzeit zu uns kommen, nicht nur eine demografische Chance, sie lösen nicht nur ein Problem, das wir noch nicht einmal als Problem erkannt haben.

Sie zeigen vielmehr, dass Ermutigung immer Mut voraussetzt. Man muss seine kaputte Hütte und sein verzweifeltes Leben verlassen, durch die Wüste und das Meer zu neuen Ufern und Orten aufbrechen. Man muss die petrifizierten Metaphern wieder verwirklichen. Dann erst können sie zu einem neuen Narrativ erstarren, was wieder, wer weiß, wie lange, Leuchtkraft und Beispiel sei.

Allerdings dürfen wir uns nicht nur unserem klapprigen Smartphone anvertrauen, sondern müssen dem Menschen auf der anderen Seite der Kommunikation ins Auge blicken, wenn wir schon nicht ins Herz sehen können.

 

Es gibt keine Turingmaschine, die alle Probleme berechnen und berechnend lösen kann, wenngleich ein Smartphone oder ein Personalcomputer fast wie Wunder sind. Trotzdem ist der Traum dieses obersympathischsten Träumers und Nerds aller Nerds, Alan Turing, Ansporn und sinnloses Weihnachtsgeschenk, Hoffnung und Enttäuschung zugleich. Unser meistgesprochener Satz am Computer ist: Warum macht er das jetzt nicht. Und nicht: Ein Wunder, was er alles kann! Übrigens ist der Nerd of Nerds ganz ähnlich zu Tode gekommen wie der Lord of Lords: man war befremdet von seinem Anderssein.

Es gibt keine Weihnachtsmaschine, die alle unsere Kindheitsgefühle reproduzieren könnte. Ein dickes Märchenbuch mit 2002 Geschichten, eine fantastischer als die andere, käme dieser ersehnten Maschine noch am nächsten. Die verzweifelte Hoffnung auf die Zernichtung des Hoffens, die reine Rationalität also, war ein Irrweg. Dagegen ist der Irrweg durch die Märchen und Geschichten, durch die Legenden und Gleichnisse, der einzig wichtige Weg zur Ermutigung, zur Hoffnung, zur Lichtung durch Licht und nicht durch fadenscheinige Argumente. Nicht das Medium ist die Botschaft, sondern die Geschichte selbst ist die Botschaft, die Geschichte, die sich jetzt vor unseren Augen abspielt. Die Lösung ist das Naheliegende, was in diesem Moment bei dir anklopft.

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