EIN ETIKETT IST KEIN ARGUMENT

Die Landrätin der Uckermark meint nun auch, dass ihre Stunde gekommen sei, um in der großen Weltpolitik mitzureden. Das wäre auch schön und wünschenswert, wenn sie etwas mitzuteilen hätte. Stattdessen glaubt sie, dass die Ukraine den Krieg nicht gewinnen kann und wir deshalb die Sanktionen gegen Russland lockern sollten. Der wahre Grund dafür ist natürlich, dass die PCK-Raffinerie möglicherweise am 1. Januar des nächsten Jahres schließen muss oder jedenfalls in eine tiefe Krise gerät. Aber sind wir nicht alle in großen Krisen?

Man kann die Vergangenheit leider nicht korrigieren. Alle vorhergehenden Regierungen haben von Klimawandel geredet, aber weiter billiges Gas und Öl, also fossile Brennstoffe, aus Russland gekauft. Die Ironie der Geschichte will es, dass nun ausgerechnet ein grüner Wirtschaftsminister, dessen Namen die Landrätin nicht oder falsch kennt,  die festgefahrene Karre aus dem Dreck  ziehen muss. In der letzten rot-grünen Koalition waren es Kriegseinsätze der NATO zugunsten des unterlegenen Bosniens und des unterlegenen Kosovos, beides kleine Länder ohne wirkliche Armee, die von einem übermächtig scheinenden Gegner geschluckt werden sollten. Schon damals zeigten die Grünen, dass sie eher Realisten als Ideologen sind. Trotzdem wird dieser Einsatz heute von Linken und Rechten, die ich zusammen gerne Nationalbolschewisten nenne, als völkerrechtswidrig bezeichnet und von Putin gar als Rechtfertigung für seinen Krieg gegen die Ukraine missbraucht.

Niemand weiß, wie der Krieg des russischen Goliath gegen den ukrainischen David ausgeht, auch wenn wir die schöne biblische Geschichte vom schlauen kleinen Hirtenjungen David zitieren, der gegen das übermächtige Monster locker – sozusagen pfeifend – siegt. Er war siebzehn Jahre alt. Russland verschießt jeden Tag 3000 Tonnen Munition und kommt zentimeterweise vorwärts, wenn überhaupt. In Kiew normalisiert sich das Leben, mit der Ukraine verbündete oder befreundete Politiker geben sich die Klinke in die Hand. Im Süden ist zwar Mariuopol zerstört, aber sieht so ein Sieg aus? Cherson und Odessa dagegen bleiben fest in ukrainischer Hand. Beinahe noch düsterer für das goliathische Monster sieht es im Osten aus, in den von den Separatisten bisher schon gehaltenen Bezirken Luhansk und Donezk. Donezk war einst das Ruhrgebiet der Sowjetunion, der Stolz einer Industrienation. Jetzt wird da noch nicht einmal mehr die Post zugestellt. Das Zarenreich und die Sowjetunion haben eine höchst perfide Russifizierung aller Gebiete betrieben, und ihr Erbe Putin behauptet nun, überall würden die Russen verfolgt. Er behauptet auch, im westlichen Europa seien Tolstoi und Tschaikowski verboten. Er weiß nicht, wieviel Russen allein in Berlin und übrigens auch in Prenzlau leben. Wir sagen Russen, aber in Wirklichkeit sind es Russen, Ukrainer, Belorussen, Russlanddeutsche, russische Juden und neuerdings auch russische IT-Fachleute. Wir haben schon immer zu allen Völkern der Sowjetunion und des Zarenreiches ‚Russen’ gesagt und sind so auch Opfer der besonderen russischen Kolonialpolitik geworden.

China beobachtet diesen Krieg wohl etwas genauer als die uckermärkische Landrätin und ihre Berater und Beraterinnen. Denn auch China hat ein kleines Nachbarland, das es gerne besitzen möchte. Auch hier geht es weniger um die Einwohner und um den Nationalismus, sondern mehr um den demokratischen Output und die Wirtschaft. Denn witzigerweise ist das winzige Taiwan der weltmarktführende Hersteller von semiconductors und das riesige und scheinbar mächtige China, die angebliche Volksrepublik, ist der Hauptabnehmer dieser Chips. Eine Großmacht ist nur, wer mehr herstellt, als er verbrauchen kann. Das sollten sich China und Russland, die – jeder auf seine Weise – von der Weltherrschaft träumen, in Großbuchstaben an die Wände nageln: GROSSMACHT IST NUR WER MEHR HERSTELLT ALS ER VERBRAUCHEN KANN. Aber da stehen schon ganz andere Sprüche. Sollte China also Taiwan angreifen, so wird es einen vielleicht sogar ähnlichen asymmetrischen Krieg geben, den der kleinere durch die bessere Taktik und Strategie gewinnen kann. Der größere aber kann nicht weiterexistieren, weil ihm das KNOWHOW fehlt, das heute in den Microteilen steckt. Und der riesengroße taiwanesische Chiphersteller kann nicht einfach weiterherstellen, wie weiland SINGER seine Nähmaschinen. Taiwan ist selbst durchdigitalisiert und bricht in einem Krieg zusammen wie sein Gegner. Das ist ein schönes Dilemma. Genau betrachtet steckt dieses Dilemma in jedem Krieg, und das hat einst der sagenhafte König Pyrrhus entdeckt: NOCH SO EIN SIEG UND WIR SIND VERLOREN. Wenigstens wir hier in unserem schönen Deutschland sollten das wissen: Stellen wir uns einmal vor, unsere dummen und spielsüchtigen Großeltern hätten die beiden Weltkriege gewonnen! Sie haben sie zum Glück verzockt. Das Böse kann nicht siegen oder – wenigstens – hat es noch nie gewonnen. Auf lange Sicht siegt immer das Gute (und wir sind tot, wie Lord Keynes bemerkte).  

Bei bisher noch allen Krisen wurden die Verarmung Deutschlands und der Bürgerkrieg vorausgesagt. So auch in diesem Interview* der uckermärkischen Landrätin. Auch wenn es schwer fällt, versagen wir uns jede Etikettierung, sowohl der Landrätin als auch der winzigen Zeitung. Wir bleiben lieber im Reich der Argumente. In Deutschland hat es bisher weder einen Bürgerkrieg noch aggressive oder illegale Streiks gegeben. Der einzige gelungene Generalstreik fand am Tag der Beerdigung des von Rechtsextremisten ermordeten deutschen Außenministers und Milliardärs – er besaß den damals weltgrößten Elektrokonzern – statt. Wir sind in Deutschland eher staats- als gott- oder gewaltgläubig. Selbst Verbrechen begehen wir gern und gutgelaunt, wenn der Staat sie uns befiehlt. Aber jetzt haben wir eine Demokratie, einen Rechtsstaat, eine nie dagewesene Transparenz und vor allem einen unvorstellbar großen Reichtum. Das Bruttoinlandprodukt beträgt bei uns knapp vier Billionen $, pro Kopf sind das knapp 46.000 $ (Vergleich China 10.500 USD, Russland 11.500 USD**). Bis zum Bürgerkrieg und bis zur Verarmung ist es also noch ein Weilchen hin. Das will alles erst einmal aufgegessen sein.

In Prenzlau gab es einst einen Landrat, Joachim von Winterfeld, der anschließend noch eine mittelgroße Karriere machte, so dass in Berlin eine Straße und ein Platz nach ihm benannt wurden,  und der nebenbei sein Gut und seine Dörfer pflegte und verwaltete. Eines Tages stellte er fest, dass die Stimmung im Kreis schlecht sei (die heutige Landrätin: wie dünnhäutig, deprimiert oder aggressiv unsere Bürger zunehmend werden‘). Da ordnete er an, dass vor jedem Haus ein Vorgarten angelegt werden sollte. Und da die Menschen nicht genug Geld für solche zusätzlichen Ausgaben hatten, stellte er in seinen Dörfern die Pflanzen und Setzlinge zur Verfügung.

So gesehen ist die gegenwärtige Landrätin weit von einer Straßenbenennung entfernt. Vielleicht merkt sie sich bis zu ihrer Rente den Namen des jetzigen Wirtschaftsministers, denn der bekommt ganz sicher eine Straße.

*Nordkurier, Ausgabe Uckermark, 15.08.2022

**beim HDI sieht es noch schlechter für die selbst ernannten Riesen aus: während das kleine Deutschland, das bald verarmt, Platz 6 hält, liegt Russland weit abgeschlagen auf Platz 53, China außer Sichtweite auf Platz 85