HEIMSUCHUNG

Als Kinder haben wir uns vor einem Gott gefürchtet, der mit Strafen die Menschheit zu disziplinieren versuchte. Aber andererseits war die Antwort des allerdings inspirierten Menschen außergewöhnlich: Noah, der schon einen Umstürzler als Vater hatte, baute ein gigantisches Vehikel, mit dem er die Schöpfung exemplarisch rettete. Das Gewimmel hätte man gern gesehen: alle Tiere der Erde, die großen und die kleinen, die groben und die feinen, friedlich vereint in einer riesigen Barke oder in einem Container, wohl versorgt und wohlbehütet. Heute wäre ihm der Friedensnobelpreis sicher, damals wurde er Prophet aller Weltreligionen und der erste Naturschützer.

Als wir Kinder waren, hatten wir aber auch Großmütter, die alle Katastrophen zu Prüfungen des Schicksals erklärten. Sie drehten das Unglück einfach und sehr tröstlich um: man konnte auch gewinnen. Nichts war vorbestimmt, schon gar nicht der Verlust.

Wenn man sich die Sintflut als Naturkatastrophe vorstellt, dann zeigt sie den Typ von Heimsuchungen, in dem es keinen Schuldigen gibt: Der Vulkan Tambora bricht aus, das Wasser des Ozeans steigt. Je weiter sich allerdings die menschliche Zivilisation in technologische Lösungen steigert, mit denen sie höchst erfolgreich den Hunger und die Krankheiten besiegte, desto größer wird die Anzahl der Menschen. Und nun gibt es Naturkatastrophen, die die Menschheit verursacht hat. Es gab sie schon in der Antike: das Abholzen der Wälder in heutigen Italien. Und es gibt sie heute noch: Energieverschwendung, Ressourcenverschmutzung, Überfischung, Überdüngung, Massentierhaltung, alles das hat Folgen für die Natur, die man sehen und hören kann.

Die Kriege haben wir besser beenden können: es gibt sie noch, aber keiner hat mehr die Größe und Vernichtungskraft des letzten europäischen Krieges, den die heutigen Urgroßmütter und Urgroßväter noch miterleben mussten und dessen Folgen man selbst in unserer Gegend noch sehen und spüren kann.

Wenn man also statt Strafen Prüfungen einsetzt und sie sogar durch das moderne Wort Herausforderungen ersetzt, dann zeigt sich, dass es sinnlos ist, einen Schuldigen oder gar eine Gruppe von Schuldigen zu suchen. WENN JEDER DIE SCHULD BEI SICH SUCHT, IST DER TÄTER SCHNELL GEFUNDEN.

Ob man nun glaubt, dass Gott uns straft oder das Schicksal uns eine Prüfung schickt, in jedem Fall kann man die Heimsuchung, die es als eine solche geheimnisvolle Krankheit noch nie in der modernen Welt gab, als Herausforderung sehen und statt verzweifeln handeln. Das beste Handeln ist der Zusammenhalt, denn viele wissen mehr als einer und alle zusammen haben mehr Mut als du und ich.

Aber diese Schwarmintelligenz, wie sie Stichlinge und Sardinen, halbwüchsige Stare und Bisons habe, ist auch ein wunderbares Versteck, in dem sich die Brandenburger Bildungsministerin mit ihrer zweitschlechteste Landesschule genauso gut verstecken kann – wie ihr Gatte, hätte ich beinahe geschrieben – wie jeder arbeitsunwillige Hartz4-Empfänger. Hier zeigt sich, dass innovative Lösungen immer von dem Kranich stammen, der andersherum fliegt. Deshalb erkennt man, wusste schon Jonathan Swift, das Aufscheinen eines neuen Genies an der Verschwörung der Idioten, die es hervorruft.

Je mehr Menschen es gibt und je perfekter sie ihr Leben organisieren, desto pathologischer scheinen sie an alten, aber überholten Lösungen zu kleben. Das Tempo der technischen Innovationen irritiert viele Menschen so sehr, dass sie auf die Rezidive des Autoritarismus setzen, all die Typen aus Russland, Kasachstan, Kirgisistan, Usbekistan, Tadschikistans, Pakistan, Saudi Arabien oder Ägypten, die soeben in Beijing bei der Eröffnung der Olympischen Spiele zu Gast waren. Schon allein an dieser Versammlung des Schreckens kann man leicht erkennen, dass die zur Herausforderung umgedeutete Katastrophe nicht unbedingt einen guten Ausgang haben muss –  mittelfristig. Auf lange Sicht sind wir zwar alle tot, wie der weise Lord John Maynard Keynes wusste, aber das Leben geht trotzdem weiter. Auf lange Sicht – ohne das egoistische Wir – hat sich noch immer alles verbessert. Immer fand sich ein Noah, der genügend Stichlinge hinter sich bringen konnte, um vorwärts zu gehen. Am Wegesrand dagegen geiferten die Nacktschnecken.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s