GROSS IST DIE LIEBE UND SCHÖN IST DAS WORT

Gedichte von Kesanet Abraham in dem Bildband DIE LIEBE IST GROSS

Die Versuchung ist groß, den Dichter aus Eritrea, der seit 2015 in Deutschland ist und in Berlin lebt, anzurufen und zu fragen, wen er in seinem Gedicht KEIN WUNDER meint. Aber Texte leben nicht nur davon, dass sie geschrieben, sondern dass sie von allen Lesern interpretiert werden, man kann sogar sagen, wer einen Text liest, wird sein Autor.

Das Gedicht beschreibt, aus meiner Sicht, die Mitverantwortung eines ganzen Volkes an seinem Diktator. Das steht in Übereinstimmung mit dem schönen Spruch: jedes Volk hat die Regierung, die es verdient. Ich kannte einmal einen Pfarrer, der schrieb lange Tiraden darüber, wie die böse DDR – ich glaube, sie war eher dumm – das schöne Christentum kaputt gemacht hatte, was Nero mit seiner nun wirklich grausamen Praxis, Christen als brennende Fackeln und als Löwenfraß zu ermorden, nicht geschafft hat. Und das sollte die DDR, der es nicht gelang, Bananen und Schrauben in ausreichender Menge zu beschaffen, geschafft haben? War es nicht vielmehr so, dass zu viele Pfarrer von ihrer Staatskirche geträumt haben und selbst dann nicht aufgewacht sind, als ihre Kirchen ohne ihr Zutun ein Jahr voll waren wie sonst nur zu Weihnachten? Wie schön dagegen beschreibt der junge Dichter die schweigenden Mehrheiten und jubelnden Massen, die dem Diktator erst eingesagt haben, was er ist: ein Genie, ein Feldherr, ein großer Theoretiker. Man hat an ihn geglaubt und das führte dazu, dass er sich jetzt selbst glaubt, anstatt sich zu hinterfragen. Man muss allerdings sagen, dass Isayas Afewerki den Krieg gegen das große Äthiopien tatsächlich gewonnen hat, während – zum Beispiel – Honecker nur den Schlüssel zur fertigen Machtzentrale abholen musste. Hinterher will es niemand gewesen sein, aber der junge Dichter widerspricht: ‚Wir haben ihm das gesagt.‘

DIE LIEBE IST GROSS ist eine Redewendung in der Sprache Tigrinya, die in Eritrea und in der jetzt leider im Krieg befindlichen Provinz Tigray in Norden Äthiopiens gesprochen wird. Dieses schöne Gedicht umspielt mit zarten Metaphern die Begriffe Glauben und Liebe, die sich dann auf wunderbare Weise vereint finden: Lass es! Sorge dich nicht. An die Liebe zu glauben, ist die Seligkeit selbst. Der orientalische Ton des Landes am Roten Meer mag auch solche, uns inzwischen übertrieben scheinende Hyperbeln wie flammende Feuerglut erlauben. Er greift dabei sogar die Sprache König Salomos aus dem Hohelied der Liebe auf. Aber wie oft die Dichter uns auch mahnen, dass Liebe und Glauben dasselbe seien, so folgen doch immer noch viele den berüchtigten Lügenfahnen, auf denen ein Glaube ohne Liebe verkündet wird.

DIE ZEIT DER LIEBE  führt uns die Relativität auch der Liebe vor. Nichts ist wie früher, so sehr wir es uns auch wünschen. Im Gegenteil, Konkurrenz selbst in der Liebe scheint hinzuzukommen, die Eitelkeit gewinnt Raum, aber es bleibt die Hoffnung, dass auch diese Monster des Zusammenlebens wieder verschwinden werden. Wir hätten wohl verstanden, wenn Kesanet Abraham uns bittere Gedichte präsentiert hätte, aber sie enden alle zuversichtlich. Seine Freundlichkeit strahlt auch nach innen. Das wirkliche Liebesgedicht aber, EROBERT, kommt ein wenig rational daher, als beschriebe es einen beliebigen und wiederholbaren Vorgang. Aber auch hier versöhnt uns der Schluss: Du hast mein Herz genommen. Gib Du mir Deines.

Der Dichter beklagt im Vorwort, dass er sich für manch eine Aussage noch nicht reif genug fühle. Das kann ich nicht nachvollziehen, wie ich gleich zeigen werde. Mein Einwand ist dagegen, dass die ersten Gedichte ein bisschen zu lang, zu wenig konzentriert sind. Das kann aber auch mit einer Tradition zusammenhängen, die wir nicht kennen oder sehr verallgemeinernd ‚orientalisch‘ nennen.

Das intensivste Gedicht ist dasjenige über die Mutter, welches einen Schnittpunkt zwischen den Liebes- und den Fluchtgedichten darstellt. Unter dieser unterbrochenen einst engen Verbindung zur Mutter leiden fast alle Flüchtlinge. Und dieses Leid wird in dem Text WIEDERSEHEN verdichtet und verwoben und verklärt. Gleichzeitig zeigt sich aber auch das Dilemma der Mutter, die ihrem Sohn das Beste wünscht und dieses Beste nur erreicht sieht, wenn er sie verlässt. Das ist anrührend, bewegend, herzzerreißend. Das Geheimnis der Geburt ist Trennung.  Und man muss befürchten, dass es kein Wiedersehen geben wird.

Die stärkste Metapher, das tiefste Bild des kleinen sympathischen Buches findet sich in dem Gedicht MEINE KRAFT. Wer erst fünf Jahre in Europa lebt, kann nicht tausende von Buch- und Filmtiteln kennen. Dass das Alleinsein, die Isolation – und nicht wie bei Rainer Werner Fassbinder die Angst – die Seele aufzuessen scheint, ist also wohl kein Zitat, sondern genauso Eigenschöpfung wie das Heimweh, das Frösteln macht. Die Sonne ist tatsächlich weg, als Tatsache und als innere Kraft. Und es stellt sich heraus, dass die Flucht ein Friedhof ist, nicht nur der Hoffnungen und vieler Weggefährten, auch der Zurückgelassenen, der Geschwister, der Mütter und Väter, der Communities an den Busstationen. Und wie könnte es anders sein – im Gedicht anders als im Leben: schließlich muss man aus der Flucht fliehen, ankommen, sich integrieren. Vielleicht bleiben Injera, das allgegenwärtige Fladenbrot, und der gelegentliche Besuch der gespaltenen Kirche die letzten Überbleibsel der Vergangenheit. Aber wenn dein ganzer Background die Gegenwart ist, das Hier und Heute und Jetzt, dann, ja dann ist nur noch dein Gesicht deine Vergangenheit.    

fast alle Gedichte standen schon vorher in der Zeitschrift von kulturTür Berlin Schöneberg

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