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Warum haben sich eigentlich die Afrikaner früher nicht über das bösartige Verhalten ihnen gegenüber beschwert? Die Frage zeigt nicht nur, wie dumm sie ist, sondern auch unser heutiges Dilemma: wir müssen entweder zunehmend auf unser oft gedankenloses, oft aber auch bösartiges Verhalten verzichten oder aber wir werden dümmer als unsere Vorfahren dastehen. Beides scheint uns nicht wünschenswert.
Die Frage, ob unsere Vorfahren hätten wissen können, wie falsch und schädlich ihr Verhalten ist, scheint müßig, denn es kann nicht darum gehen, sie nachträglich zu verurteilen. Es geht überhaupt nicht um verurteilen oder anordnen, sondern um einsehen. Unsere Vorfahren wussten, was sie taten oder hätten es wissen können. Sie sind nicht entschuldigt, aber gerechtfertigt durch ihre Eliten, die Mord, Totschlag, Krieg und Rassismus als Herrschaftsinstrument benutzten und damit legitimierten. Rassismus in diesem Zusammenhang ist allerdings ein anachronistischer Begriff, denn er wurde erst nach 1444 erfunden, um seinerseits die Sklaverei zu legitimieren. Das Gebot der Nächstenliebe musste durch die vermeintliche Minderwertigkeit der zu Versklavenden umgangen werden. Der Unterschied zwischen der antiken und der mittelalterlichen Sklaverei ist übrigens die Zahl der Flüchtlinge und der Aufstände. Es gab sie praktisch auf jedem Schiff, weshalb außerdem noch der Mord als demonstrative Strafe gerechtfertigt werden musste. Bis 1444 konnte man auf jedem Altarbild, das die Geburt von Yesus zeigte, einen afrikanischen König sehen, der dem kleinen Propheten Gold, Weihrauch und Myrrhe darbrachte. Niemand wäre auf die Idee gekommen, dass der dritte König minderwertig sein könnte. Trotzdem wurden zweitausend Jahre nach ihm Afroamerikaner ohne Grund von Euroamerikanern erschossen. Übrigens: auch mit Grund darf ein Polizist keinen Menschen erschießen.
Die Hautfarbenbezeichnungen und die dazugehörigen Qualifizierungen wurden im Laufe der auf den Beginn des Sklavenhandels (1444) folgenden Jahrhunderte entwickelt. Und da sie sich bis heute gehalten haben, wenn auch Morde seltener wurden, da überhaupt mit steigendem Wohlstand und deutlich verbesserter Bildung die Kriminalität sinkt, müssen wir versuchen die täterbegleitende Sprache zu beenden.
Eine Umbenennung der Berliner Mohrenstraße scheint daher dringend geboten, zumal es – außer Gewohnheit – keinen plausiblen Grund zur Beibehaltung dieses Namens gibt. Wir wissen noch nicht einmal den Grund der Benennung. Es ist möglich, dass der Schwedter ‚Kammermohr‘ tatsächlich ein Haus in dieser Straße bezog, genauso wahrscheinlich ist es aber, dass Mitglieder der damals fälschlich Janitscharenmusik genannten Militärkapelle diesen Weg zum Schloss nahmen. Janitscharen waren Eliteeinheiten des osmanischen Heeres, dessen Militärmusik Mehterhane hieß. Damals nahm man auch an, dass der Kaffee türkischen Ursprungs sei (C-A-F-F-E-E trink nicht so viel Kaffee, nicht für Kinder ist der Türkentrank…). Man hatte wohl nicht bemerkt, dass das Osmanische Reich ein Vielvölkerstaat war, wie auch Russland und Österreich.
Auch ein solcher ‚Kammermohr‘, ein Hofbelustiger, war Anton Wilhelm Amo. Solange er unter dem Schutz seines Braunschweiger Herzogs stand, konnte er sich bilden und dozieren. Aber als die Gunst verschwand, konnten ihn auch seine Magister- und Doktortitel nicht vor Spott und unverhohlenem Rassismus retten. Er hatte gewagt, eine Europäerin heiraten zu wollen.
Auf diese Isolation der gekauften oder gefangenen Afrikaner hatten wir schon [in Nr. 367] angesichts der vier Afrikaner in der Kirche der Grafen von Schwerin zu Putzar hingewiesen. Exotik erschauerte die Menschen, so wie damals auch Behinderte auf den Jahrmärkten zur Belustigung ausgestellt waren, von Gleichheit, nach der das Jahrhundert schrie, war keine Spur zu sehen.
Das Unrecht vergangener Zeit kann man nicht tilgen, aber man kann seine Fortführung verhindern. Der hochintelligente und hochgebildete Anton Wilhelm Amo hätte diese späte Rehabilitierung mehr als verdient. Die bösen Worte ‚Mohr‘ (abgeleitet von den Mauren, Mauretanien ist der letzte offen rassistische und sklavenhaltende Staat der Welt) und ‚Neger‘ (abgeleitet von lateinisch niger = schwarz, aber im Sklavenhandel und noch mehr im Kolonialismus übelst beleumdet) müssen wir endlich aus unseren Worten und Gedanken bannen.
Diese sprachlichen und begrifflichen Umbrüche sind ein Kind des demokratischen Fortschritts. Manchmal scheint es, als würde die Demokratie gar nicht merken, was sie anrichtet: mehr Demokratie.