EINE SCHULE IST KEIN VERWALTUNGSAKT

 

Nr. 192

…und Kunst wird mundtot durch Autorität…

 

Einst gab es in Berlin eine höchst engagierte Gruppe von Eltern behinderter Kinder, die gerne mit ihren Kindern Sport treiben wollten. Sie haben mit riesigem Aufwand eine halbverfallene Turnhalle unweit ihres Wohngebietes renoviert. Als sie fertig waren, zog in das für eine Million Euro notdürftig hergestellte alte und schöne Schulgebäude die Schule A ein, deren Plattenbau abgerissen wurde und die stattdessen mit Mitteln der EU ein neues Gebäude am alten, verträumten Randstandort erhielt. Als sie dort gemeinsam mit einer anderen Schule B einzog, wurde das alte Schulgebäude weiter als Filiale genutzt, und nun wurde auch hier die Turnhalle abgerissen und eine neue gebaut. Zur Einweihung ließ sich der Staatssekretär eine Rede von einem Lehrer schreiben, hielt sie und verschwand.  Inzwischen hatte der Schulleiter B versucht, die Schule A mit seiner zu vereinigen. Das wäre auch gut gelungen, wenn er und die Schulräte einfach gewartet hätte, bis Strukturen der Zusammenarbeit entstanden wären. Er wartete aber, bis der Zorn der Lehrer A soweit angewachsen war, dass sie alle verfügbaren Mittel einsetzten, um die Selbstständigkeit ihrer Schule zu erhalten. die Schulräte ließen ihre Briefe an den Senator verschwinden, aber der letzte Brief fand seinen Weg dann doch noch. Ein Schulrat wurde geopfert. Die Fehde schien beigelegt und in den Turnhallenneubau der alten Schule zogen nun Flüchtlinge ein.

Ein kluges Amt hätte vielleicht verstanden, dass nur eine gute Schule sich der Auflösung widersetzt, dass die Energie von Lehrern besser im Lehren und Lernen aufgehoben ist. Immer mehr profilierte sich die Schule A am beschaulichen Stadtrand zu einer Heimstatt der Integration, aber auch der Spezialisierung und scheute sich dabei nicht, auch das Handwerk nach wie vor einzubeziehen. Klassen wurden nicht genehmigt, so dass die Schule zwar nicht quantitativ wuchs, aber qualitativ. Warum müssen überhaupt Klassen genehmigt werden? Warum kann eine Schule nicht ohne die Vormundschaft von Schulräten bestehen, die sich nun ihrerseits die Klinke in die Hand geben? In Brandenburg und Berlin suchen sie sich Schulen zum Überwintern. Vielleicht ist es sogar so, dass die Fluktuation hoher Verwaltungsbeamter zur einer Ideologie der Schließung und Neueröffnung von Schulen, Theatern und Jugendklubs führt, dass die Unverschämtheit der Ämter, wie es im Hamlet heißt, nur Ausdruck ihrer Unfähigkeit wäre zu verwalten, was man nicht verwalten sollte und kann? Schule A soll jetzt für immer beseitigt werden.

Aber was ist eine Schule? Was vom Amt aus gesehen ein Ort der kalten Zahlen, statistischen Schnipsel und widersetzlichen Lehrern sein mag, ist in Wirklichkeit der Aufenthaltsort unserer Kinder für zwölf Jahre ihres Lebens, acht Stunden am Tag. Sie lernen dort zwar nicht alles, was sie brauchen, aber von vielen Dingen die Basis. Zwar hatte fast jeder von uns einen Lehrer, den er hasste, aber fast jeder von uns hatte auch einen Lehrer, den er liebte, weil er ihm ein Fach, eine Sache oder das Leben näherbrachte. Viele Kinder fahren mit der Schule das erste Mal von zu Hause weg. Viele fahren mit ihren Lehrern das erste Mals ins Ausland. Andere gehen zum ersten mal ins Theater, das wird übrigens immer wichtiger, weil sie nur dort sehen können, wie Kunst gemacht wird, die sie millionenfach kopiert immer mehr konsumieren. Viele erleben ihre erste Liebe oder ihre erste Enttäuschung in der Schule. Die Schule ist kein Ort der kalten Fakten, sondern der Emotionen, der Erziehung und der Erbauung. Die Schule muss heute viele Funktionen der Eltern übernehmen, der Religion, der Großeltern, die noch arbeiten und deshalb nicht für ihre Enkel da sind.

histor. klasse driesener

Während die hochbezahlten Schulräte in ihren Büros sitzen und sich neue Punktsysteme und Verordnungen ausdenken, jagt in der Schule eine Innovation die andere. Die Computer haben fast alle Lernbereiche ebenso durchdrungen wie die Lebensbereiche außerhalb der Schule. Aber beinahe noch schöner ist es, dass in den letzten zehn Jahren, von der Schulverwaltung fast unbemerkt, alle diejenigen in Abiturklassen, in neunten und zehnten Klassen oder in Berufsvorbereitungen sitzen, die in anderen Ländern nicht nur auf der Straße oder im Regen stehen, sondern Autos anzünden und Barrikaden bauen, weil sie keine Perspektive für sich sehen. Die Jugendarbeitslosigkeit ist bei uns auch deshalb nicht so hoch, weil viele Jugendliche in Schulen, besonders in Berufsschulen, aufgefangen werden. In Fortführung eines Gedankens des ehemaligen Innenministers Otto Schily könnte man sagen: Wer Musikschulen und OSZs schließt, gefährdet die innere Sicherheit.

Es ist eben auch nicht egal, in welcher Schule man lernt. Vielmehr ist es besonders wichtig, dass jeder Jugendliche das Gefühl hat, er hätte sich die Schule und damit einen Teil seiner Zukunft selbst ausgesucht und selbst gestaltet. In einem OSZ kann es passieren und passiert es, dass ein Jugendlicher, der keinen Schulabschluss und seit der zweiten Klasse nicht mehr mit einem Lehrer gesprochen hat, den Hauptschulabschluss, die mittlere Reife oder sogar das Fachabitur erhält oder in eine praktische Ausbildung oder in einen Arbeitsplatz vermittelt wird. Und ‚vermitteln‘ ist in einer Berufsschule ein oftmals langer Prozess des aufholenden Lernens, der sanften Moderation und der geschickten Unterbringung. Deshalb gibt es zwischen vielen (leider nicht allen) Lehrern und vielen Schülern ein fragiles Vertrauensverhältnis.

Pädagogisch gesehen ist eine Schule mehr Kunst als Wissenschaft, mehr Meißener Porzellan als Kartoffelstampfer. Wer Schulen also als eine zufällige Ansammlung von beliebigen Menschenmengen ansieht, hat nichts verstanden. Vielmehr sind Schulen ein sich ständig verändernder Organismus mit einem bestimmten, unverwechselbaren Charakter.

Die Überforderung der Berliner Verwaltung zeigt sich in viel größeren Zusammenhängen wie dem fast schon berüchtigten Großflughafen oder in den menschenunwürdigen Zuständen am LAGESO. Aber warum kann man nicht am kleinen Beispiel beginnen, diesen selbstzerstörerischen Trend umzukehren?  Fangen wir bei den Eltern an, die für ihre Kinder einst die Turnhalle renovierten…

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