DANN SCHON LIEBER HALLOWEEN

Nr. 162

 

Verlust ist immer bitter. Deshalb ist es verständlich, dass auf den Verlust oft das sinnlose Jammern folgt. Und obwohl es sinnlos ist, weil die Kraft, die wir in das Bejammern des Unwiederbringlichen stecken, im Neuen besser aufgehoben wäre, tun es Menschen und Menschenansammlungen. Aber es ist wie bei der Empörung: nach dem ersten Impuls wird sie Wiederholung, Mimesis, Spiel oder sogar Prinzip.

‚Die Grundsuppe des Wuchers…ist der Betrug.’* Das könnte gut von einer linken Empörungsgruppe bei Facebook verfasst sein, stammt jedoch aus dem Gesamtpaket der Reformation vor 500 Jahren, aber nicht aus dem gefeierten Genf-Wittenberg, sondern aus dem nicht gefeierten Münster-Mühlhausen. Vielleicht hätte Gott sich entschließen sollen, aus Müntzer und Luther einen Reformator zu machen, aber dann wäre das Problem der Gewaltverherrlichung der beiden auch noch nicht gelöst gewesen. In dem Punkt haben sie beide leider nichts reformiert, sondern einfach den Zeitgeist fortgeschrieben. Der Papst beschimpft die angeblichen Sünder und Heiden, Luther beschimpft den Papst, Müntzer beschimpft Luther, der hasst Müntzer und die Bauern und die Juden und die Türken, alle morden und lügen sie um die Wette. Calvin lässt derweil Hexen verbrennen. Am merkwürdigsten ist aber, dass alle, die etwas Neues in die Weltgeschichte bringen, genau das tun, was sie gerade bei und mit ihren Gegnern abgeschafft haben: die kultische Selbstvergottung gegen die anderen. Natürlich ist Luther nicht schuld, dass neben jeder zweiten Kirche in Nordeuropa ein Lutherdenkmal steht, aber wohl die Lutheraner, deren Hauptziel es ist Lutheraner zu sein, Partei, Rechthaber, möglichst Staatskirche. Deshalb wird Luther wie ein Heiliger verehrt, die man gerade abgeschafft hatte. Jetzt wird Bonhoeffer, auf den niemand hörte, als er lebte, als Monstranz getragen. Dafür hätte es keiner neuen Gruppe bedurft. Und weil sie nicht viel mehr können als rechthaben, glauben sie auch, dass ihr Schwinden äußere Ursachen hat. Wenn aber die Diktatur schuld am Atheismus wäre, wäre ja die Diktatur stärker als die Religion. Das ist weder religiös noch demokratisch zu rechtfertigen. Es ist einfach falsch.

Vielleicht ist es ausnahmsweise einmal einfacher als wir alle denken: Es setzen sich die Feiertage durch, die ungeachtet aller Gründe und Rechtfertigungen gefeiert werden. Wir Menschen verhalten uns und wir versuchen, unser Verhalten in eine Struktur einzubinden oder wenigstens mit ihr locker zu verbinden. Das traurigste Beispiel für diese These ist das Fest Christi Himmelfahrt. Es fängt schon mit dem Namen an, den niemand mehr sagt. Das ist auch kein Wunder. In der deutschen Sprache ist der Genitiv schon fast gänzlich verschwunden, und im Namen dieses Festes wird uns sogar ein lateinischer Genitiv abverlangt**. Deshalb sprechen die weitaus meisten Menschen vom Herren-, abgemildert Vatertag. Er wurde nirgendwo mehr und widerlicher gefeiert als in der atheistischen DDR. Das ist die vollständige Säkularisierung eines einst wichtigen Tages.

Fast gegenteilig verhält es sich mit Weihnachten. Hier wird spätestens seit dem achtzehnten Jahrhundert ein absolut säkulares Verhalten, nämlich das grenzenlose Konsumieren, konsekriert. Jung und alt, Atheist und Christ, alle wollen ihr grenzenloses Schenken und Essen und Trinken mit einer Würde oder sogar Weihe versehen und verschönen. Und so hat sich auf das uralte Fest der Wintersonnenwende die Geburt von Jesus geschoben, und dann, mit steigendem Wohlstand, auch noch das Fest des Schenkens. Die Fakten dieser Feste scheinen sich gegenseitig zu rechtfertigen. Aber sie schließen sich auch aus: obwohl Jesus Jude war, konnte ein krasser Antisemitismus entstehen, obwohl einer der Weisen, die Jesus Geschenke brachten, schwarz, möglicherweise Nubier war, wurden Jahrhunderte lang die Schwarzen, obwohl wir von ihnen abstammen, als minderwertig verachtet, wie die Heiden, obwohl sie lange vor den Juden religiös waren und obwohl Echnaton jene Sonne zur Göttin erhob, die heute noch in katholischen Kirchen als Monstranz getragen wird. Dass eine Apotheose, also die Erhebung eines Menschen zum Gott, spontanes, der Sehnsucht nach Transzendenz entspringendes Verhalten, und nicht etwa ein betrügerischer Herrschaftsakt ist, zeigt sich im Prince Philip Movement in Vanuatu.

Wenn also im Wechsel vom Oktober zum November sowohl der Reformation gedacht wird als auch der toten Seelen, so können wir ganz entspannt zusehen. Niemand muss entscheiden, welches Fest das bessere ist. Es nützt die etwaige Kritik an der Vermarktung des Totenkults in katholischen Ländern (‚ganz Polen ist auf den Beinen‘) so wenig wie die Kritik an der Verramschung der Welt zu Weihnachten (‚white christmas‘) wie an der Überfressung während des Zuckerfestes. Ebenso ist die Kritik an Halloween nichts als Besserwisserei. Die Menschen entscheiden durch ihr Verhalten, was sie feiern wollen und werden.  Da sagt dann der Dr. Lügner ‚Amen‘.   

 

 

*Die kursiv gedruckten Sätze stammen von Thomas Müntzer, den seine christlichen Mitbürger am 27. Mai 1525 enthaupteten, seinen Leib aufspießten und seinen Kopf auf einen Pfahl steckten.

**siehe auch Blogbeitrag: JESU GENITIV

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