IST DAS LEBEN EINE OPTIMAL GMBH?

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Nr. 151

Jeder, der schon ein paar Tage auf dieser Erde ist, wird die Frage verneinen. Keiner sagt: Die Welt ist in den Fugen, welch ein Glück, dass ich eine Stimme habe oder gebe. Wenn wir auch die Welt nicht einrichten, so können wir uns doch auf ihr einrichten und wir können in unserer Ecke etwas ändern (1).

So wie man keine Warumfrage beantworten kann, weil niemand über alle Fakten der Weltgeschichte verfügt und so wie niemand richten kann, weil niemand ohne Sünde ist, ein altes Wort für nichtoptimierte Taten oder Unterlassungen, kann auch niemand wissen, was in der Zukunft passieren wird. Aber jetzt kommt der Unterschied: Es gäbe keine Zukunft, wenn wir nichts täten. Die Zukunft ist das, was wir tun.

Allerdings muss man das ‚wir‘ neu definieren: Es gibt keine Krone der Schöpfung und daraus folgt: wir sind sie nicht. Es gibt keinen Wert, kein Ranking und keine Hierarchie. das ist gerade das Spannende an der Welt, dass ein Regenwurm genauso viel bewirkt wie Alan Turing, dass ein Regenwurm genauso tragisch scheitert wie Alan Turing, zum Beispiel am dumpfen handfesten Vorurteil. ‚Wir‘ ist identisch mit ‚alles‘. Aber wir können nicht alles überblicken, wir haben nicht die ganze Vergangenheit in unserem Gedächtnis und nicht die ganze Zukunft in unserer Fantasie, wenn auch der Traum mehr weiß als das Gedächtnis.

Um uns uns selbst erkenntnismäßig anzunähern, benötigen wir Vergleiche und Metaphern, Denkhilfen und Analogien: gehe zur Ameise, du Fauler, und du wirst lernen, dass du zur Welt kamst, um dein Nest einzurichten und Nahrung zu speichern, dass der Sinn des Lebens leben ist und Spuren hinterlassen. Scheinbar brauchen wir auch Weise wie König Salomo, Nathan und Alan Turing. Leider ist es vom Weisen zum Führer und von der Fuge bis zum Untergang der gleiche kleine Schritt wie vom Wähnen zum Wahnsinn.

So viele Umwege ist die Menschheit gegangen, um von allen möglichen Ordnungen auf die keineswegs einfache Struktur der Vernetzung zu kommen. Aus der sichtbaren Struktur der Dinge auf eine Hierarchie zu folgen, ist genau der gleiche Trugschluss wie der, dass ein Text einen Autor hat.

Heute hilft uns der Computer doppelt, die Welt zu verstehen: erstens rechnet er schneller als wir und zweitens ist er uns ein Analagon: wir glauben, dass unser Verstand ungefähr so funktioniert wie der Computer, wir glauben, dass wir ungefähr wissen, wie ein Computer funktioniert. Wenn wir ein anderes Artefakt als Beispiel nehmen, dann sehen wir schnell, dass auch dieser Glaube ein Trugschluss ist: das Fahrrad. Jeder glaubt, dass er es kennt, kaum einer kann es bauen und noch weniger könnten es erklären. Jedes Artefakt ist schon eine kumulative, kaum nachvollziehbare Mischung aus Erfahrung, Nachahmung und Berechnung. Im Verbrennungsmotor stecken beispielsweise die Erfahrungen der Dampfmaschinenbauer, die mit dieser untergingen und vergessen wurden. Im Autohändler steckt das Betrugspotenzial des Pferdehändlers, im Konsumenten steckt der Wahn vom Schlaraffenland, einem Märchen, das genauso vergessen wurde wie die Hungermärchen von Hänsel und Gretel.

Reiner Konsum ist nicht nur deshalb ein schlechtes Bild und Vorbild, weil das, was konsumiert werden soll, auch vorher produziert werden muss, sondern, weil es keine Befriedigung und kein Beitrag ist, nur zu nehmen. Insgesamt hat sich die Wirtschaft schon immer als Modell für die Welt angeboten. Einer der schönsten Sätze, ‚the more I give, the  more I have‘ (2) ist aber sowohl in der Wirtschaft wie auch im Leben immer wieder schwer verständlich, das ist der Grund dafür, dass es den Satz gibt.

Wir leben also aus einem Ungefähr in ein Ungefähr hinein, und das macht das Leben schwer. Deshalb gibt es auf der einen Seite immer wieder künstliche Ordnungen und Traditionen, die zu befolgen schwer sein mag, aber immer noch leichter, als selbst durch die Unwägbarkeiten zu tappen. Der Lohn dafür ist die Ordnung selbst, die Stabilisierung eines geschaffenen und geschlossenen Systems. Daraus folgt, dass das System über kurz oder lang zusammenbrechen muss.  Auf der anderen Seite gibt es immer wieder und anscheinend zunehmend erfolgreiche Versuche, das Leben zu verbessern, aber das Ergebnis dieser Versuche ist natürlich kein Optimum. Vielmehr schaffen wir oft mehr Probleme als wir gelöst haben. Wir reißen Gruben auf, um Gruben zu füllen. Wir verbrauchen Ressourcen, um Ressourcen zu schonen.

Das Optimum ist vielmehr ein Ideal, das dem Paradies gleichkommt, eine Tautologie und ein Widersinn in einem. Wir können mit dem Tod nur leben, weil wir nicht an ihn glauben. Sobald wir den Tod einkalkulieren, merken wir, dass das Kalkül selbst der Fehler oder der Aberglaube ist. Je mehr wir glauben, dass jemand oder etwas für uns rechnet, desto weniger leben wir, weil wir dann nur in Sicherheit konsumieren. Würden wir aber nur produzieren, wäre die Inflation der Dinge noch unerträglicher als sie jetzt schon ist. Unser derzeitiges Ideal ist: je weniger Hunger wir haben, desto mehr Sinn benötigen wir, je mehr Ressourcen wir verbrauchen, desto mehr erinnern wir uns an die Sparsamkeit als einer Tugend aus der Zeit des Hungers.  Wir sind nicht zu viele, sondern haben zu wenig Sinn. Wir verstehen nicht zu wenig, sondern viel zu viel falsch. Wir haben immer noch nicht verstanden, dass Leben abwägen und wagen gleichzeitig heißt, auch so eine Metapher von Markt und Abgrund.

Wir streben nach dem Maximum, erreichen kein Optimum und leben ewig, wenn es uns gelingt, ein My über das Minimum hinauszugelangen. Bestelle dein Haus, denn du wirst sterben oder dein Haus (3). Die Welt ist in den Fugen, welch ein Glück, dass ich geboren wurde, einzustimmen.

fugen

(1) Shakespeare, Hamlet I,5

(2) Shakespeare, Romeo und Julia II,2

(3) Jesaja 38,1

2 Gedanken zu “IST DAS LEBEN EINE OPTIMAL GMBH?

  1. christahartwig schreibt:

    „Aus der sichtbaren Struktur der Dinge auf eine Hierarchie zu folgen, ist genau der gleiche Trugschluss wie der, dass ein Text einen Autor hat.“ – Für mich der (oder ein) Kernsatz.

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