1.1.2022

viele menschen leiden – behauptet oder tatsächlich – unter der als flut bezeichneten menge der informationen. nur wenige kommen scheinbar auf die idee, ihren fernseher einfach abzuschalten, früher riet ich sogar: aus dem fenster zu werfen, und soweit ich weiß, hat es einer meiner follower auch wirklich getan. stattdessen wird die sortierung, die sich schon bei den menschen nicht bewährt hat, auf die diversifizierten medien übertragen: man bekämpft den zeitgeist, weil man einen eigenen installieren will. alles andere wird zur meinungsdiktatur deklariert. als angela merkel mit einem großen zapfenstreich – der seinen ursprung in den trompetensignalen zur schließung der soldatenlokale hat – verabschiedet wurde, hat die ard zwei reporter und einen weiteren journalisten im sender damit beauftragt, ständig dazwischen zu quatschen, bis einem der eloquenten fernsehtypen auffiel, dass man wenigstens während der nationalhymne – als nationalistischem substitut der einstigen liturgie – nicht sprechen darf. daraus folgt: die so genannte flut besteht zu einem gutteil aus vorgestrigen ritualen.
nach der wahrscheinlich wirklich überflüssigen rechtschreibreform regen sich jetzt viele menschen über das gendern auf und merken nicht, dass sprache sich eben verändert, wenn die abzubildende welt sich verändert. ebenfalls kaum bemerkt wird dagegen, dass seit ungefähr 2016 – und ich weiß nicht ob durch oder einfach mit den flüchtlingen – alle menschen in deutschland ständig ‚alles gut‘ sagen. das ist einerseits sehr schön und beruhigend, man bittet um verzeihung und das gegenüber betont, dass nicht nur dieser lapsus verziehen, sondern gleich alles, alles gut ist. andererseits ist es eine floskel, hinter der mensch sich verbergen kann. die neubürger, deren sprachliche fähigkeiten erstaunenswert und erfreulich gewachsen sind, haben sich dieser formel bemächtigt oder sie gar geschaffen, indem sie ‚alles wird gut‘ und ‚alles gute‘ zu ALS GUT zusammengeführt haben. merkwürdig ist nur, dass gleichzeitig zwischen zehn und zwanzig prozent der menschen an dem land zu zweifeln begannen, das unter führung einer einst grauen maus aus templin-waldhof sturm um sturm umschiffte. aber auch die achtzig bis neunzig prozent litten, nämlich unter dem verlust oder dem wahrscheinlich vermeintlichen verlust der zehn bis zwanzig prozent.
ich wünsche uns allen ein jahr, in dem wir wieder an uns und das gute in uns glauben können. ich habe es nie besser gesagt, als in meiner rio reiser parodie: mach was dich kaputt macht ganz, ohne komma, weil es aus meinem einzigen gelungenen geburtstagsgedicht stammt. trotz der flut hat man ständig das gefühl, etwas sagen zu müssen oder etwas nicht gesagt zu haben oder etwas nicht gesagtes verpassen zu können. das wird man ja noch sagen dürfen. ich will es nur gesagt haben. die gedanken sind frei. als floskeln. als gut.
herzlichst euer/ihr
rst