
17
ODER DIE ZERBRECHLICHKEIT DES GRUNDES
Diese schöne logische Regel beschreibt einen gängigen Denkfehler: wenn die Voraussetzung falsch war, sind alle Schlüsse beliebig falsch, dumm und nicht zielführend. Wir wissen heute, dass im Leben nichts wirklich falsch sein kann, wohl aber in der Logik. Was in der Logik logisch ist, wird im Leben von Widersprüchen gepeitscht und aus den mathematischen Paradiesen gejagt. Je freier eine Gesellschaft ist, desto mehr Widersprüche können auftreten und treten auch durch die weit geöffneten Tore ein: in die Scheinidylle unseres Lebens. Mit diesem Paradox der Demokratie müssen wir leben: jetzt muss der Hauptstrom des Diskurses nicht mehr der Zweifel sein, ist es aber. Wir Menschen verharren immer im Gestern, weil wir im Morgen nur im Traum sein können. Deshalb weiß der Traum mehr als das Gedächtnis.
Wer also das Coronavirus für eine Erfindung oder wenigstens Findung hält, kann nur weder seine Ursachen finden noch Wege zu seiner Unterdrückung oder gar Eliminierung. Alle Wege der Logik und der Empirie sind ihm und ihr verschlossen. Er weiß den Fakt schon nicht, wie dann den Grund?
Wer die Flüchtlinge der Welt eingeladen glaubt, auf geheimen Wegen – früher nannte man sie Gottes Wege – hierher geführt, um dir und dir und dir zu schaden – wer das glaubt, muss in der Folge in die Irre gehen. Wer flieht, hat lange überlegt und versucht die Risiken abzuwägen und letztlich seine Unwichtigkeit erkannt und damit das Scheitern eingeplant.
Wer Banken und Finanzströme für Ergebnisse bewussten Handelns, vielleicht sogar bewussten Betrügens hält, müsste eigentlich an sich selber zweifeln, denn jeder hat schon – direkt oder indirekt – mit Krediten, mit gekauftem Geld zu tun gehabt. Immer wieder wird aber das Problem glücklich gewendet: nicht meine Unfähigkeit ist schuld, sondern der Geldverleiher. Gottfried Feder, ein Kriegskamerad Hitlers, glaubte wohl wirklich an die Möglichkeit der ‚Brechung der Zinsknechtschaft‘. Hitler jedoch glaubte nicht daran, und deshalb wurde Feder nicht Stellvertreter des Führers, sondern nur Staatssekretär im Wirtschaftsministerium. Das hindert heutige Rechte und Verschwörungsglaubende nicht, weiter an des Fluch des Zinses und also eine Schuld außerhalb ihres eigenen Lebenskreises zu glauben.
Der Diskurs als eine Grundlage der Demokratie sieht nicht aus wie ein Fundament. Als gedachte Fundamente schienen Monarchie, Kirche und Militär geeigneter. Aber wo sind sie geblieben? Der König der Niederlande wurde vor ein paar Tagen aus dem Urlaub zurückgepfiffen: er ist kein Fundament mehr, sondern ein Sahnehäubchen.
Der fragile Diskurs beruht auf der Würde des Menschen, die noch zerbrechlicher ist. Wir denken sie uns unantastbar, aber sie wird überall mit Füßen getreten und in den Straßenschmutz gezerrt. Trotzdem ist es erstmalig ein Argument, das nicht von außen oder institutionell gestützt werden muss. Die Würde des Menschen ist unantastbar, egal, woher er kommt und wohin er will, gleichgültig, was seine Eltern wollten oder seine Geschwister tun, unabhängig davon, was seine Religion vorschreibt – und jede Vorschrift ist der Würde diametral entgegengesetzt – oder seine Regierung tut. Das ist schwer. Das ist die Last der Demokratie, die wir alle mit uns herumschleppen. Jedes Argument ist zerbrechlich, jeder Grund grundlos.
Was haben wir aber auch gewonnen?
Die Kartoffel im achtzehnten und der Brühwürfel im neunzehnten Jahrhundert überwanden den Hunger. Die Volksschule brachte die Navigation aus der Finsternis. Die Massengüterproduktion bescherte uns den ewigen Frieden. [Der zweite Weltkrieg war ein Atavismus und gleichzeitig aber eine – teuer erkaufte – letzte Bekräftigung des Friedenswillens.] Nicht zu unterschätzen sind die Reproduzierbarkeit von Kunst und Information, die den Eliten das Lügenhandwerk legt. Das Automobil und das Flugzeug bewilligen uns einen Zipfel der Freiheit.
Heute sehen wir besser, dass jede Lösung eines Problems neue Probleme hervorbringt. Aber sollten die neuen Probleme nicht auch lösbar sein, so wie es die alten waren? Der Hunger schien ein ewiger Fluch gewesen zu sein, der sogar in den heilig gehaltenen Schriften an prominenter Stelle festgeschrieben war. Aber wo ist er? Heute sehen wir besser, auch wenn wir über die zerbrechlichen Gründe stolpern, die nicht mehr Fundament werden wollen.
Das deutsche Wort falsch geht auf das gleichbedeutende lateinische falsus zurück, welches sich aus fallere ableitet, was betrügen, täuschen, irreführen bedeutet. Es kann also nichts falsch sein, es sei denn jemand macht es. Die Absicht liegt nicht im Gang der Dinge, sondern in dessen Störung. Ein Quodlibet ist in der Musik die Zusammenfügung eigentlich nicht zusammengehöriger Melodien. In der Familie Bach wurden auf den großen Treffen Quodlibets improvisiert. Die Beliebigkeit bezieht sich also auf die Ursache, nicht auf das Ergebnis, es ist eine zusätzliche Unvorhersehbarkeit. Wer das nicht glaubt, singe die Kanons C-A-F-F-E-E, ES TÖNEN DIE LIEDER und HEUT KOMMT DER HANS ZU MIR jeweils mehrstimmig zusammen: da braucht es einen sehr, sehr guten Chor, aber das Ergebnis ist: unerwartet.