MENSCHENMÄKELEI

 

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Schon der Romantiker Eichendorff widersprach dem menschenmäkelnden Schimpfwort TAUGENICHTS mit seiner zauberhaften Erzählung. Nach den Weltkriegen, die nun wirklich zu nichts taugten, kamen Pejorative aus Amerika: loser und asshole. Wahrscheinlich können wir heute nicht mehr entscheiden, ob der Geist der Mäkelei aus der ideologischen Segregation herrührte, dass etwa Männer wichtiger seien als Frauen, Weiße intelligenter als Schwarze, Christen für den Himmel vorgesehen, Heiden, Sünder, Ketzer und Hexen dagegen für die Hölle, oder ob es vielleicht umgekehrt ist: aus dem Alltagsrassismus der Schimpfwörter und des Dünkels entwickelte sich der institutionelle Rassismus der Kirchen und überhaupt der Religionen und des staatlichen Nationalismus.

Seit es keine Kirchen mehr gibt, die die alleinige moralische Deutungshoheit besitzen und seit der Staat die Zügel mittels der Demokratie lockerte, werden Größen wie Einstein und Freud mit falschen Zitaten in den Kampf der Schuldigsprechung der ANDEREN geschickt. Einstein, Freud und Stephen Hawkins sollen demnach gesagt haben, dass die Welt ohne die anderen, schlechteren, die uns nerven, erträglicher wäre. Es werden auf dem Friedhof der alten Autoritäten neue Meinungsautokraten geboren. Ja, es nerven uns andere. Aber auch wir sind andere, die andere nerven.

Es ist mit den Schimpfwörtern wie mit den Waffen. Sie sind nicht schuld an Tod und Leid, aber ohne sie ließe sich Tod und Leid viel schwerer bewerkstelligen. Der Fehler ihrer Heiligsprechung kann nur dadurch aufgehoben werden, dass wir freiwillig auf beide verzichten.

Das Wesen der Demokratie ist ihre Freiwilligkeit, die einmalige Einstimmigkeit zur Voraussetzung hat. Zu dieser Freiwilligkeit passen aber auch Tränengas und Wasserwerfer nicht. Also muss auch der Staat den nächsten demokratischen Schritt mit dem Verzicht auf körperliche Gewalt gehen. Dann würden zum Beispiel auch keine Inhaftierten mehr in ihren Zellen verbrennen*. Dann würde sich unser Leben nicht nur ohne Schimpfwörter, mit denen wir das Leben anderer Menschen verschlechtern, verbessern. Dann würde insgesamt der Faktor Glück wachsen.  Glück geht nicht allein. Wo die Liebe ist, schreibt Rumi, gibt es kein ICH. Glück geht aber vor allem auch nicht in einer Welt mit Waffen und Schimpfwörtern. Diese sind nur eine böse Angewöhnung. Es gibt Gesellschaften, die ohne jede verbale und materielle Gewalt auskommen. Der Teufelskreis der Gewalt heißt deswegen Teufelskreis, weil man ihn nur ganz allein durchbrechen kann.

 

 

*Oury Jalloh am 7. Januar 2005 in Dessau, Amad Ahmad am 17. September 2018

 

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