In einer Londoner Schulmensa wurde vor einigen Monaten aus praktischen Gründen Schweinefleisch aus dem Angebot genommen. Wenn so etwas passiert, empören sich für gewöhnlich besorgte Nationalisten, die befürchten, dass es zu ein Islamisierung kommen könnte. In diesem Fall hat sich aber auch der Guru der Atheisten zu Wort gemeldet, auch er glaubt die Menschheit vom Bösen erlösen zu müssen und vor allem zu können. Bei ihm besteht das Böse nun darin, dass Eltern mit ihren Kindern in ihren religiösen Traditionen leben, wozu es beispielsweise gehört, auf Schweinefleisch zu verzichten oder Almosen zu spenden. Der Guru schlägt nun vor, dass die Kinder statt auf ihre Eltern auf ihn hören sollten.
Die Salafisten versuchen tatsächlich, Europa ihre Regeln aufzuzwingen. Sie bestraften die Redaktion eines bis dahin unbedeutenden französischen Satireblattes mit einem Massaker, bei dem es mehrere Tote gab. Die Folge war, dass diese Zeitschrift heute eine zehnmal größere Auflage hat. Die Redaktion hat im Moment keine Verwendung für das viele überflüssige Geld.
In Deutschland dagegen fanden sich am Ende des Jahres 2014 in einigen Städten, vor allem aber in Dresden, ein paar tausend Menschen an jedem Montag zusammen, um gegen die schon erwähnte von ihnen befürchtete Islamisierung zu demonstrieren. Außerdem warfen sie den Medien vor zu lügen und der Regierung unfähig zu sein. Der Begriff und die Vorstellung der Islamisierung hat eine lange Geschichte. Als Deutschland noch einige wenige und zudem recht kleine Kolonien hatte, verbot man den dort tätigen Menschen, sexuelle Kontakte mit der indigenen Bevölkerung, weil man eine ‚Verkafferung‘ befürchtete. Im Nationalsozialismus gab es das ebenso böse Wort von der ‚Verjudung‘. Man versuchte, Minderheiten mit substantivierten Verben abzuwehren. Das Ergebnis ist aber, dass die Mehrheit über ihr Verhältnis zu den Minderheiten nachdenkt oder nachfühlt und zu dem Ergebnis kommt, dass sie eigentlich keine Probleme damit hat, ob oder dass ihr Gemüsehändler freitags betet.
Eine Initiative, eine Tat führt also nicht immer zu dem erwünschten Ergebnis, manchmal zum Gegenteil, wofür wahrscheinlich das Wort Untat erfunden wurde.
Als wir noch im Hunger lebten, waren die Schweine oder andernorts die Schafe unsere Hausgenossen. Wir ernährten sie und sie ernährten uns. Damals wurde weder über Effizienz noch über Energiebilanz nachgedacht. Das Denken vollzog sich vielmehr in ebenso engen Bahnen wie der Überlebenskampf. Aber nicht nur der Hunger war allmächtig, sondern auch die heute als falsch angenommene Ansicht, dass der Mensch der Natur überlegen sei, dass er sie sinnlos opfern könne. Die Intensivierung der Landwirtschaft hat einerseits den Hunger besiegt, andererseits aber ethische Vorstellungen außerkraft gesetzt, die uns im neunzehnten Jahrhundert noch nahe waren. Ich meine nicht das vermeintliche Recht zum Schlachten an sich, sondern das Schlachten in Würde.
Wir müssen jedes Argument ergreifen, das uns aus der Sackgasse der Massentierhaltung herausführt. In Niedersachsen gibt es 100.000.000 Hühner und Puten, aber nur acht Millionen Menschen. In Deutschland werden rund 27 Millionen Schweine und 13 Millionen Rinder gehalten, wir sind der viertgrößte Fleischproduzent der Welt nach den Giganten China, USA und Brasilien, vor Indien und Russland. Trotzdem ist die Landwirtschaft mit nur einem Prozent am Bruttoinlandsprodukt beteiligt. Schweine werden durch ganz Europa gekarrt. Neuerdings sieht das Bundesamt für den Güterverkehr hin und wieder nach, ob sie während der Fahrt genügend Wasser haben. Schweine erhalten Antibiotika, wodurch Menschen, die sie essen, resistent werden. Eine der größten medizinischen Errungenschaften, der Sieg über die Entzündung, wird durch unsere Fressgier zunichte gemacht. Zu Futter zermahlene Schafe führten einst dazu, dass Rinder und Menschen die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit bekamen, allgemein bei Menschen verbreiteter Rinderwahn blieb zum Glück aus. Eischaum verbreitete Salmonellen in Altersheimen, da trafen zwei ungesunde Konzentrationen aufeinander. Legebatterien sind aber seit 2012 in Europa verboten, Altersheime dagegen nicht. Die häufigsten Todesursachen in den reichen Ländern sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die, kurz gesagt, dadurch entstehen, dass Menschen, die sich zu wenig bewegen, zu viel essen.
Niemand kann die Ernährung der Menschen oder die Landwirtschaft von heute auf morgen revolutionieren, schon deswegen nicht, weil die Angst vor dem Hunger tief in uns verankert ist und leicht instrumentalisiert werden kann. Es gibt sogar Menschen, die neidisch auf Flüchtlinge sind.
Aber wir können weniger essen und uns mehr bewegen. Wir können auf besonders ungesunde Nahrungsbestandteile verzichten. Wir können auf die Subventionen für die Landwirtschaft verzichten, dann würden sich die Preise und damit auch die Produktionsmethoden langsam ändern. Vorher könnten wir schon die Preise für Brot und Milch anheben, damit weniger verschwendet wird. Wir könnten überlegen, wo wir schrittweise Pastoralismus statt Massentierhaltung einführen können, punktuell gibt es das sogar schon in der EU. Vielleicht geben wir endlich unsere Arroganz auf und lernen von den Massai und den Tuareg, nach denen wir schon einmal vorab und unter Einfügung eines o ein Auto benannt haben. Auch in der Mongolei gibt es Pastoralismus, allerdings gehört sie auch nicht zu den von uns zum Lernen bevorzugten Ländern. Pastoralismus ist eine natürliche Weidewirtschaft und sie führt uns gedanklich zu einem seit Jahrzehnten diskutierten Denkmodell, dem Allmende-Dilemma (1968). Immer noch gehen die meisten von uns von allgemein leicht lösbaren Problemen, von der Unerschöpflichkeit und Beherrschbarkeit der Natur, von der Hierarchie als natürlicher Ordnung und der Allmacht des Menschen aus.
Statt dessen müssen wir den Altruismus durch Erziehung, Ethik und auch Religion stärken. Wir müssen immer wieder zeigen, dass er auch evolutionär die einzige letztlich erfolgreiche Überlebensstrategie ist. Auch Nachhaltigkeit sollten wir nicht als Modebegriff diskreditieren, sondern als dringende Aufgabe der Menschheit betrachten. Sie geht von der Analyse unserer verschiedenen Energiebilanzen aus.
Wenn wir auf ein neues Problem stoßen, also zum Beispiel das Angebot und die Nachfrage von Schweinefleisch in einer Schulmensa, deren Kunden zum Teil Muslime sind, sollten wir weder die Muslime kritisieren, was uns ohnehin nicht zusteht, noch den Betreiber der Mensa, was auch marktwirtschaftlich eher Schaden anrichtet, sondern wir sollten uns fragen, was wir daraus lernen können. Man sollte immer Mitmenschen das Leben zu erleichtern suchen. Man sollte aber auch, gleichgültig ob die Energie- und Effizienzbilanz von Schweinefleisch gegenüber Rind und Schaf günstiger oder ungünstiger ist, einfach die Gelegenheit ergreifen, etwas richtiger zu machen als bisher. Toleranz heißt nicht nur den anderen zu dulden – denn in diesem Wort liegt auch die Möglichkeit der Unduldsamkeit -, sondern auch von ihm, wo möglich, zu lernen. Niemals kann es falsch sein, wenigstens zu überprüfen, ob man etwas lernen kann. Was ist eigentlich das Gegenteil von lernen?