DIE SCHREIBMASCHINE WILL NICHT SCHREIBMASCHINE BLEIBEN

Apodiktische Sätze gehen fast immer von Menschen aus, die mit ihrem Tun gerade das Gegenteil dessen bewirken, was sie meist plakativ und populistisch fordern und verkünden. Je verbissener das Alte verteidigt wird, desto größer ist zum Schluss dessen Zerstörung. Fast könnte man diesem aggressiven und dekonstruktiven Konservatismus – im Gegensatz zum Bismarckschen konstruktiven Konservatismus – dankbar sein, denn er wirkt oft als Katalysator eher zögerlicher und vorsichtiger Erneuerungsprozesse.

Die Dampfmaschine, so groß ihr Einfluss auf das herannahende Mobilitätszeitalter auch war, hat sich durch Perfektion und Effektivität selbst abgeschafft. Die Verbrennung konnte, durch immer präzisere Teile, von außen in den Zylinder verlegt werden. Kurz nachdem der erste Schnellzug die 100 km/h-Marke überschritten hatte, individualisierten Benz, Daimler und Maybach die Maschine und den Verkehr. Zweifellos ist die Erfindung des Buchdrucks, ähnlich wie die der Dampfmaschine, der Beginn eines Zeitalters. Jedoch ist auch hier die Schreibmaschine die Individualisierung einer ungeheuren Innovation und jenes Zeitalters. Hundert Jahre lang ist die Schreibmaschine einer der Höhepunkte des mechanischen Zeitalters gewesen.

Allerdings sagen wir nicht, was wir meinen und schreiben deshalb auch nicht, was wir sagen. Inmitten der Geschichte der Schreibmaschine gibt es die kurze Geschichte der Codiermaschinen, unter anderen der ENIGMA. Ein deutscher Konstrukteur namens Alfred Scherbius, der den Umsturz, welcher durch die Enträtselung seiner Maschine eingeleitet wurde, nicht mehr erleben konnte, weil er selbst mit einem Pferdewagen, über den er die Beherrschung verlor, umstürzte und zu Tode kam, erfand sie. Das war 1929. 1939 begann der Zweite Weltkrieg und die Wehrmacht war die am stärksten aufgerüstete Armee, die Befehle wurden codiert mit der ENIGMA, jener elektromechanischen Fortführung der Schreibmaschine mit drei oder fünf Walzen zur Verwirrung des Inhalts. 40.000 Maschinen dieser Art wurden gebaut, und sie waren das Ende der Schreibmaschine und des Zweiten Weltkrieges und der Epoche der Kriege und der Beginn einer nicht mehr zu fassenden Chiffrierung aller Bilder und Worte. Alan Turing, im Bletchley Park mit der Decodierung beauftragt, entwickelte daraus den Gedanken der Berechenbarkeit aller Informationen. Seitdem wird darüber nachgedacht, ob Maschinen denken können oder werden. Dass und ob uns Maschinen dominieren, wird weniger reflektiert: ‚Am Ende hängen wir doch ab von Kreaturen, die wir machten‘, sagen Faust und sein Kreator Goethe.

Die Schreibmaschine ist also nicht die Schreibmaschine geblieben. Sie ist viel plötzlicher verschwunden als sie kam. Nietzsche benutzte eine von dem dänischen Pastor Rasmus Malle-Hansen für Gehörlose (damals Taubstumme genannt) entwickelte skrivekugle und sagte eine neue Epoche voraus: ‚Unser Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken.‘ – und an unserer Gedankenlosigkeit. Heute kann ein Kind oder ein Jugendlicher noch nicht einmal mehr den Klang oder das Schriftbild der noch vor kurzer Zeit allgegenwärtigen Schreibmaschine identifizieren. Ihr Schicksal war es, Vorläufer zu sein. Der Computer, ihr Nachfolger, kann alles berechnen und vergleichen, codieren und decodieren, speichern und sortieren. Zusammen mit dem Telegraphen und der Schallplatte, dem Radio und der Bildauflösung ist er heute ein weltumspannendes Netz von Gedanken und Langeweile, wie jeder weiß. Ihre gemeinsame Chiffre ist, merkwürdig genug, QWERTZU. Selbst in der Schreibkugel des Pastors Malle-Hansen war das A an der gleichen Stelle wie in unserem Telefon, das wir nicht mehr aus der Hand legen und kaum noch ans Ohr halten.

Trotzdem gibt es in dieser Welt, von der immer wieder behauptet wird, sie sei schnelllebig, weil vergessen wird, dass jede Zeit sich als schneller empfindet als die jeweils davorliegende Zeit der Großeltern, man denke an Eichendorff, wie er litt, durch Europa rasen zu müssen – mit fünfzig Stundenkilometern -, trotzdem gibt es in dieser Welt voller sich selbst programmierender Technik Menschen, die glauben, dass etwas bleiben muss, was es und wie es war. Auch die ständige Wiederholung des Satzes: danach war nichts mehr, wie es war, womit man das Traumatische an einem Ereignis zu betonen glaubt, nimmt ihm nichts von seiner Trivialität. Wenn du diesen Text zuende gelesen hast, bist du nicht mehr, der du warst: wer einen Text liest, wird sein Autor. Man traut es sich kaum zu schreiben, so trivial ist es, jedes Kind weiß es. Wenn also ein Autor schreibt, dass trotz aller Nächstenliebe und Aufnahmebereitschaft, trotz allen Mitgefühls, Deutschland immer noch Deutschland bleiben muss, dann will er Prioritäten setzen und nicht Tatsachen beschreiben. Es ist letztlich der gleiche Satz, wie der oft gehörte: ich bin kein Rassist, aber… Man will in der Einleitung zerstreuen, was man im Hauptteil glaubt sagen zu müssen. Himmler glaubte vielleicht wirklich, dass das Ergebnis des zweiten Weltkrieges ein reinrassiges Deutschland sein könnte. Tatsächlich gab es danach eine Million schwarzer Deutscher – und das ist auch gut so. Wir wissen heute, dass der Begriff der Rasse nichts in der Soziologie und Politik zu suchen hat. Wir verdanken es einem fast mathematischen Satz von Luigi Luca Cavalli-Sforza, dass nämlich die  Unterschiede innerhalb einer Gruppe immer größer sind als die zwischen den Gruppen, dass wir heute wesentlich gelassener über uns Menschen nachdenken können als unsere Vorfahren, die getrieben waren von der Angst, Fremde könnten ihnen nehmen, was ihnen nach ihrer eigenen Definition zustand. Je enger die Welt war, desto mehr Fremde gab es. Je mehr Fremde es gab, desto feindlicher erschienen sie. Das war die Zeit der Kriege.

Das Automobil und die Schreibmaschine hatten schon keinen Nationalcharakter (qwertzu, qwertyu), noch viel weniger der Computer und das Computerzeitalter. Während im Vatikan hinter verschlossenen Mauern über die Wiederzulassung geschiedener neuverheirateter Menschen zur Kommunion beraten wird, was zum Glück die Mehrheit der Menschen (sechs Siebtel) gar nicht mehr versteht, befasst sich wahrscheinlich die Mehrheit der Menschen mit der Nächstenliebe, keiner Erfindung von Jesus, aber doch seinem Wesensmerkmal. Es könnte sein, dass ein ganz neues Zeitalter heraufscheint: das Zeitalter der Menschen, der Nachhaltigkeit, der Bildung und der Nächstenliebe. Es könnte sein, dass die Angst vor dem Neuen, das jedes Kind kennt, der Nächstenliebe, Häuser anzünden und solche unsäglich dummen Sätze verbreiten lässt: Deutschland muss Deutschland bleiben. Es könnte sein, dass das der gleiche Geist ist, der auch den syrischen Diktator Bachar al Assad zu dem Glauben bringt, dass Syrien Syrien bleiben muss und dass man das mit Raketen und Giftgas schaffen könnte.

Begrüßen wir statt dessen lieber jeden Migranten oder sogar Flüchtling mit den Worten John von Neumanns, des großen Mathematikers und Computerpioniers: Ein neuer Mensch wird durch die Menge der bereits eingeführten definiert.

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