IST GOTT DEMOKRAT?

IST GOTT DEMOKRAT?

Ich habe mich einst fragend an bibelauslegende Blogger gewandt, ob sie wirklich der Meinung sind, dass Gott Krieg führt. Daraufhin belehrten sie mich, dass es im Christentum nicht um Moral, sondern um Gnade ginge und fragten mich, ob ich ernsthaft glaubte, dass die Welt besser geworden sei. Das tue ich.

Ist Gott Demokrat? Natürlich ist die Frage unerlaubt. Aber viele Antworten sind ja auch unerlaubt und werden trotzdem gegeben: Gott ist gnädig, Gott hat seinen Sohn geopfert, Gottes Ratschluss ist unerforschlich.
Fragen sind immer erlaubter als Antworten, denn Fragen nehmen niemandem etwas weg. Die Antworten, die hier als Beispiele gegeben wurden, diese Antworten schränken die Omnipotenz Gottes ein, und zwar deswegen, weil er als ein begrenztes Wesen erscheint, wenn diese Aussagen auf ihn zutreffen.
Sollte Gott gnädig sein, wäre er ungerecht. Warum aber sollte er den einen vor dem anderen von allen seinen Geschöpfen, die er alle unter Kontrolle hat, vorziehen oder benachteiligen? Das kann ja jeder andere Vater besser.
Warum sollte Gott seinen Sohn geopfert haben, um die Welt zu retten, wenn er doch die Welt retten könnte, ohne seinen Sohn zu opfern? Außerdem ist die Welt seit dem Tod von Jesus offensichtlich nicht gerettet, sondern wird nur langsam besser. Sollte Gott tatsächlich zu jedem Zeitpunkt über jede einzelne Ameise entscheiden, warum sollte er dann seinen ‚Ratschluss’ geheim oder gar ‚unerforschlich’ halten, statt ihn für uns einsichtig zu machen, damit wir dafür danken können, falls Gott merkwürdigerweise von unserem Dank abhängig sein sollte. Wenn es so ist, dann spricht das gegen einen Gott, der allmächtig, weil allweise ist.
Gegen Gnade statt Gerechtigkeit spricht außerdem die Historizität des Wortes Gnade. Gnade ist nicht nach der Gerechtigkeit, sondern vor ihr. Bevor es einklagbare Menschenrechte und nachvollziehbare Gerechtigkeit gab, war Gnade das Instrument eines wohlwollenden und weisen Herrschers, der allerdings nicht allgerecht sein konnte. Warum sollte man diese unfertige Willkür auf ein allweises Wesen projizieren? Gnade mag und soll vom einzelnen dankend aufgenommen werden, sie ist weder gerecht oder evident noch demokratisch. Jesus hat mit seiner moralischen Wende, nämlich mit der Abschaffung der Rache (Joh. 8,7) also nicht etwa Gott kritisiert, denn dessen Gnade bedurfte es nicht, um ein für alle mal festzuhalten: erstens es gibt nur einen Richter, und zweitens verbietet sich Rache deshalb, weil wir alle schuldig sind, und zwar nicht a priori, sondern durch unser Leben. Diese Schuld kann uns auch leider niemand nehmen, weil es wieder keinen Sinn machen würde, jemanden mit freiem Willen in die Welt zu setzen, um ihn dann zu bestrafen oder zu belohnen, wenn er von dieser seiner Freiheit Gebrauch macht. Jedes menschliche Elternpaar macht diese Erfahrung: man muss den Kindern Freiheiten gemäß ihrem Entwicklungsniveau lassen, und Freiheit heißt hier: aus der Fürsorge entlassen. Dass die Todesstrafe dann in Europa aber erst 1984 wirklich abgeschafft wurde, nachdem sie viele Länder schon nicht mehr angewandt haben, gehört zu den Merkwürdigkeiten des christlichen Abendlandes, die uns Mahnung sein sollten, nicht allzu überheblich über die Merkwürdigkeiten anderer Kulturen zu urteilen. Weder die Botschaft von Jesus noch der Aufruf der Aufklärung haben es vermocht, unsere Vorväter von dem Wahn erlaubter Tötung zu befreien. Stattdessen wurden Waffen gesegnet und Selbstmördern der Segen verweigert. Schon allein daran kann man sehen, dass Religion menschliche Interpretation ist. Demzufolge sollten wir erneut darüber nachdenken, wer oder was Gott sein könnte.
Mit dem leicht ironischen Begriff ‚Gott der Ameisen’ wird versucht, sich ein anthropomorphes Wesen vorzustellen, das gemäß dem Kinderlied alle ‚Sternlein’, ‚Mücken’ und – warum nicht auch – Ameisen zählt und befehligt. Auch hier wieder stellt sich die Frage, wenn Gott vorher alle Ameisen geschaffen hat, warum muss er sie dann umständlich zählen, wenn er ohnehin alles weiß, wie kann dann eine fehlen? Wenn er höher ist als alle Vernunft, wie kann dann seine Vernunft hinter der unzulänglichen Logik der Menschen zurückbleiben? All diese Regeln, Merkmale und Argumentationen haben offensichtlich Menschen aufgestellt, die entweder nicht wollen, dass Gott allweise ist oder die es sich nicht vorstellen können. Deshalb stellen sie sich einen alten Mann vor, den sie ‚Herr’ nennen und der auf einem Thron sitzt, wie ihr König, nur ein bisschen höher. Gegen dieses Bild haben schon die Feministen zu Recht vorgebracht, dass man sich dann auch eine alte Frau vorstellen kann, und wir fügen hinzu, dann kann sie auch Frau Dr. Agnes Natur heißen und eine grüne Kittelschürze tragen.
Gott ist kein Herr und kein Lord mit neunundneunzig Beinamen. Man darf sich nicht anmaßen, seine Gestalt, seinen Inhalt und seine Attribute bestimmen oder beschreiben zu wollen. Es mag sein, dass er der Weltgeist ist. Es mag sein, dass alle Dinge mit ihm beseelt sind. Es ist möglich, dass er die Evolution oder das Gesetz der großen Zahl geschaffen hat oder ist.
Das Gegenargument, dass die Menschen an einem Ort Einen anbeten wollen, greift ins Leere: jede Gruppe ist ohnehin und gottgewollt Therapie, es bedarf keiner weiteren Anstrengung. Jeder Ort ist recht: ob er nun Synagoge, Kirche, Moschee oder Tempel heißt. Die gegenseitige Abhängigkeit dieser vier Gebäude ist unübersehbar. Sie sind naturgemäß aber auch mit allen anderen Gruppengebäuden verwandt: Markthalle ist Basilika. Religion ist also die menschliche Interpretation von Transzendenz. Dieser Satz ist nur scheinbar widersprüchlich, denn wer will heute noch ausschließen, dass Tiere oder andere Intelligenzen ein transzendentes Bewusstsein haben können? Vielleicht hat der Dichter Friedrich Rückert so etwas gemeint, als er den Anfang der 112. Sure übersetzt hat:
sprich: gott ist einer
ein ewig reiner
hat nicht gezeugt und ihn gezeugt hat keiner
und gleich ist ihm keiner

Die Kirchen sind leer und die Bibelinterpretationszirkel winzig, weil die Menschen zwar Transzendenz und Orientierung, aber keine strengen, dichotomischen Regeln wollen, über die selbsternannte Hirten wachen. Das Problem der Hirten hat übrigens schon Rousseau gelöst: Politiker und Priester gehören mit den von ihnen geführten Menschen in dieselbe Kategorie, Hirten dagegen und Schafe sehen wir als zwei verschiedene Kategorien an. Immer wieder gibt es jedoch elitäre Interpreten, und warum sollen wir sie nicht Propheten nennen, die Wendungen in den Ansichten der Menschen hervorzubringen imstande sind: Moses, Gautama Buddha, Jesus, Mohammed, Luther, Mahatma Gandhi. Auch auf die Gefahr hin, dass es allzu verkürzt erscheint, wagen wir Formulierungen:

Moses verkündet das universelle Tötungsverbot einschließlich der Würde des Menschen.
Buddha dagegen sieht jedes Leid verursacht und zeigt Wege der Vermeidung von notwendigem Leid.
Jesus, wir deuteten es schon an, entsagte der Rache, erhob eine allgemeine Moral des Vergebens an die Stelle von Willkür der Gnade.
Mohammed zeigte, dass Barmherzigkeit auch unter den harten Lebensbedingungen des Orients überlebenswichtig ist.
Ob man Luther wegen seines Machtopportunismus (‚wider die Bauern’) und Antisemitismus überhaupt in diese Reihe stellen mag, vielleicht als den letzten Papst?, muss noch überlegt werden, seine Wendung wäre aber, die Würde des Menschen durch den Beitrag des Menschen herzustellen, die Prädestinationslehre.
Gandhi bringt die dringend gebotene Bekräftigung des Tötungsverbots und seine Erweiterung auf die Abstinenz von jeglicher Gewalt.

Nach langem Zögern und nach krassen Rückschlägen ist es uns gelungen, die Gründe für Kriege zu ächten und keine nennenswerten Kriege mehr zu führen. Der Hunger ist für 5/6 der Menschheit gebannt. Mit dem Verbot der Todesstrafe erkennt auch die Gesellschaft einschließlich der Kirche endlich, endlich das Tötungsverbot an. Die Würde des Menschen, das bleibt für viele schwer verständlich, ist das oberste Gebot der Gesellschaft. Davon war Moses nicht so weit entfernt: du sollst Gott, also das Wesen des Menschen, seine Würde, achten!

10 Gedanken zu “IST GOTT DEMOKRAT?

  1. Ein Atemzug.

    Ich trinke der Jahrtausende Bilder,
    Symbole, Mythen und Geschichten.
    Ein Spiegel ist die Welt.
    Weiß nur von mir selbst zu berichten.
    Sie atmet meinen Atem.
    Wird laut mit mir und mit mir leiser.
    Am Ende ist auch sie – gleich mir
    Einen Atemzug weiser.

    P.

    Die Sehnsucht nach Welterkenntnis, nach Gotterkenntnis offenbart uns doch eigentlich nur die immanente Sehnsucht nach Selbsterkenntnis.

    Eine latente Hoffnung: Selbsterkenntnis = Erleuchtung?

    Und… Über Gott nachdenken heißt am Ende nichts anderes als: über sich selbst nachzudenken.

    Ich Gott Martin!
    grüße Dich Gott Rochus!

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  2. Der Glaube an sich ist schon ein Erfolg, wenn der Glaube den Menschen inspiriert zu Denken, Fragen zu stellen und Antworten zu überlegen, dann hat der Glaube seinen Tribut geleistet.

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  3. so ist wohl die sogenannte „entdeckung gottes“ und seiner gegengötterlosen alleinigen allmacht einer der hilfreichen hinweise für uns, das ICH als bestandteil gottes anzunehmen, da es für den alleinigen ja kein außerhalb geben kann. also kann es nicht blasphemisch sein, wenn wir uns zu sagen erlauben: „ich bin in gott! ich bin gott – warum also soll ich nach ihm suchen?“
    der würde hilft es insofern, als dass wir beginnen, verantwortung zu übernehmen. schuld, gerechtigkeit und gnade in uns zu erkennen… und so auch im gegenüber!

    danke, ich denke
    gruß martin

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  4. was mich an den kirchenleuten so verwundert hat, war, dass auch sie ihre hierarchischen, für meine begriffe mittelalterlichen, vorstellungen auf gott, der nur ein bild ihrer interpreationen ist, übertragen. ich dagegen denke, dass gott, wenn es ihn gibt, natürlich kein autokrat, nicht die spitze einer hierarchie, nicht ‚gnädiger‘ ‚herr‘ ist, sondern dass er sich durch seine propheten bemüht hat, zwar mit langsamem, aber auch unübersehbarem erfolg die menschen auf den diskurs mit sich selbst zu bringen. salopper ausgedrückt: der gott, den ich mir vorstellen könnte, hat eines tages gesagt: kinder, hier nehmt das handy, nehmt den computer, und tut mir einen gefallen: redet miteinander. alles andere sind projektionen unzulänglicher menschlicher verhältnisse auf einen überholten alten mann.
    trotzdem vielen dank fürs zurkenntnisnehmen!
    beste grüße
    r.

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  5. Ich musste sofort an „Die philosophische Hintertreppe“ denken, als ich deinen Beitrag las – jenem Buch, in dem den geneigten Leser Philosophen und dessen Denkmodelle in nur jeweils wenigen Seiten „verdichtet“ wiedergegeben werden.

    Gott (die Schöpfung) kann kein Demokrat sein; -jedenfalls kein Demokrat, wie er in unserer Vorstellung zu sein hätte, um ein Demokrat zu sein

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  6. das finde ich auch: es ist immer die reziproke projektion. deshalb war mein titel (ob nun glücklich oder nicht) etwas absurd. jedenfalls brauchen wir keine gnade und keine hierarchie, sondern moralische wenden zum guten, aber ich weiß, das ist dir zu menschelnd.
    ich will eigentlich nicht die phlilosophische hintertreppe sein, sondern kommentierend die gegenwartstauglichkeit gewisser gedanken betrachten.
    vielleicht ergibt sich – erfreulicherweise – erneuter gedankenaustausch!?
    beste grüße
    r.

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  7. Hallo,

    Ein Moralisches Modell ohne Gott ist der Humanismus, der sich im 20.Jhd entwickelte.
    Mann kann ja gut sagen, das die Testamentarische Rel., und auch die anderen Monotheistische Religonen, eine Moralvorstellung vertreten die sich vor mehr als 1000 Jahren manifestierten.
    Mit der Moderne, setzte eine gewisse Entwicklungs- und Wachstumsgläubigkeit ein, die die alten Moralmodelle für altbacken erklährten. Der Humanismus ist wesendlich Liberaler als die Strömungen davor. Ob die neuen Modelle besser, sprich besser für den einzelnen sind, darüber kann man streiten.

    PS.
    Luther setzte statt dem JHAWE den Eigenname HERR ein und hat mit dem Herr wenig zu tun.
    PPS.
    In Hessen gibt es noch die Todesstrafe. Artikel 21 der Hessischen Verfassung.

    mfg
    Richard

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  8. keineswegs stammt der hierarchische ‚herren‘ begriff von luther. schon in den griechischen evangelien stand ‚kyrios‘ = der herr, lat. dominus. luther hat also nicht JHW mit ‚herr‘ übersetzt, sondern das den rabbi = meister ablösende griechische kyrios.
    zweitens spricht die luther-übersetzung ja gerade für meine kritik an der hierachie. luther hat in absolut feudalen und und militärischen metaphern gedacht: ein feste burg ist unser gott…
    der fortschrittsgedanke, philosophisch formuliert, stammt von hegel, siehe meine ‚hegelsche treppe‘, die den gedanken jedoch kritisiert.
    der humanismus oder die freidenker bewegung folgte direkt aus feuerbach, stirner und dem philosophischen atheismus, der leben-jesu-forschung, und andererseits aus der naturforschung heckelscher prägung: die angebliche lösung der welträtsel, ist also ein kind des 19. jahrhunderts.
    sollte die todesstrafe noch in der hessischen verfassung stehen, wie auch lange die enteignung der konzerne, so gilt: bundesrecht bricht landesrecht.
    vielen dank für den kommentar
    beste grüße
    r.

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