GRÜNSPAN ALS FANAL

Dieser Text wird jedes Jahr am 8. November veröffentlicht

träume sind erinnerung an taten

taten sind erinnerung an träume

1

Woher wusste er, dass seine Tat schon am nächsten Tag in den Schlagzeilen aller europäischen Zeitungen stehen würde? Die Zeit ist nicht nur manchmal reif für Erfindungen oder Kriege, sondern auch für Fanale. Nicht alle Fanale jedoch werden gehört und gesehen. Sein Fanal ist von den Nazis willig aufgegriffen, von allen anderen, Europäern und Amerikanern, aber ignoriert worden. Die Nazis hatten endlich einen Beweis und die anderen, wer weiß, sahen sich in einem Vorurteil bestätigt. Aber in welchem? Wir alle wissen heute, dass es eine Verschwörung der Menschen aus dem schtetl[1] nicht gegeben haben kann. Vielmehr ist Grünspan ein Vorbote der Schulversagergeneration. Allerdings zählt dazu leider auch Hitler. Während man früher als Schulversager keine Chance hatte, ist das Widersetzen gegen die Welt der Erwachsenen bei manchen ein Synonym für Innovation, die, wie im Falle Hitlers aber auch ein Rückgriff sein kann. Grünspan dagegen wollte ein Signal dagegen setzen, dass der Staat sich das Recht anmaßen kann zu bestimmen, wer wo und wann sein darf oder soll. Die Freizügigkeit gehört zur Demokratie wie die Freiheit überhaupt, die Selbstbestimmtheit und die Intimsphäre. Er sah etwas verletzt, was zum Menschen gehört, aber damals noch nicht Allgemeingut war. Die Länder, die nicht so antisemitisch wie Deutschland und Polen waren, öffneten sich aber auch nicht sofort und vollständig für den zu erwartenden Flüchtlingsstrom, sondern gaben den Deutschen insgeheim Recht: ein Jude aus Polen zu sein bedeutete damals nichts Gutes. Fügt man dann noch Frau und Linkshänder hinzu, werden alle Vorurteile durch den Namen Curie hinweggefegt. Grünspan wollte zeigen, dass es unrecht ist, dass man erst zweifacher Nobelpreisträger sein muss, um überall geduldet zu werden. Dulden ist auch das falsche Wort. Jeder Mensch muss überall ganz selbstverständlich sein, dann wird die Welt bewohnbar. Der Streit zwischen Freiheit und Ordnung darf nicht Menschen opfern. Loyalität schließt den Tod nicht ein. Hätte Grünspan die heute zugängliche Literatur gelesen, so hätte er wissen können, dass in diesem Sinne seine Tat auch ‚falsch‘ war. Selbst wenn Tyrannenmord als Ausnahme vom Tötungsverbot bestehen bleibt, so kann man sich nicht beliebige Projektionsopfer wählen. Töten ist immer falsch, aber die Schuld am Töten kann man jetzt nicht Grünspan aufbürden, der intelligent genug war, aber nicht genug Zeit hatte, darüber nachzudenken. Grünspan wollte nicht gezwungenermaßen staatenlos sein, aber auch nicht freiwillig tatenlos. In bezug auf die Wahl seiner Mittel ist Grünspan ein Opfer des Zeitgeistes, aber für das, was er tat, gehört er auf die Liste der Weltinnovatoren. Grünspan ist der Vorkämpfer gegen jede Willkür der Behörden, die schon Hiob und Hamlet beklagten und die auch heute noch so viel Schaden anrichtet, obwohl die Behörden wissen können, dass sie Diener und nicht Herrscher sind. Auch ist er das letzte mögliche Signal gegen den Racheimpuls, der in jedem von uns als archaisches Element steckt, dem von Goebbels schon einen Tag nach Grünpans Tat brutal und alttestamentarisch nachgegeben wurde, der aber für immer geächtet ist durch die Unverhältnismäßigkeit. Das Leid wird durch Rache immer verstärkt, vergrößert. Dagegen verbessert sich das Gesamtsystem, wenn man etwas für andere tut. Das gilt sogar auch für die Grünspan-Initiative. Denn wir wissen heute, dass man Menschen nicht hindern darf, dahin zu gehen, wohin sie wollen. Leben – und wieviel mehr fliehen – heißt aber immer Risiko. Man kann das Leben genauso wenig optimieren wie Märkte, Regierungen und Wasserströme. Auch dafür ist Grünspan ein Zeuge. Er ging mit fünfzehn Jahren ohne Schulabschluss von seinen Eltern weg und es ist ihm alles gescheitert, außer in die Geschichte als leuchtendes Fanal einzugehen. In dem Punkt ähnelt er Gavrilo Princip. Auf den wenigen Fotos, die es gibt, sieht er nicht glücklich aus. Er ist gerade von der französischen Polizei verhaftet worden. Glücklichsein scheint nicht der Sinn des menschlichen Lebens zu sein, nur zu leben, ohne etwas zu tun, aber auch nicht.

Niemand von uns kann die Konsequenzen seines Handelns absehen, nur machen die meisten so wenig, dass man die Folgen vernachlässigen kann. Es wäre also fatal, wollte man die Ermordung des Legationssekretärs Ernst vom Rath als voraussehbares Signal zum Holocaust deuten. Also etwa so: Hitler hätte sich nicht getraut sechs Millionen Menschen umzubringen, wenn Grynszpan[2] nicht vorher den Botschaftssekretär erschossen hätte. Das ist absurd, so kann es nicht gewesen sein, vielleicht war es nicht einmal so, dass die Nazioberen auf ein Signal gewartet haben. Dafür dass sie gewartet haben, spricht eigentlich nur der erste September 1939, wo sie den Anlass, das Signal auf perfide Weise selbst geschaffen haben. Auch zum neunten November 1938 kann man annehmen, dass Goebbels nachgeholfen hat, denn der Legationssekretär hatte außer den Schussverletzungen auch eine Krankheit, die er sich durch homosexuellen Geschlechtsverkehr zugezogen hatte. Wenn man ihn sterben ließ, und dafür spricht einiges, hatte man nicht nur einen Märtyrer mehr, sondern einen schwulen Nazi weniger. Indessen war Ernst vom Rath genauso wenig Nazi wie Grynszpan von der jüdischen Weltverschwörung beauftragt.  Vom Rath orientierte sich an seinem Onkel Köster, dem deutschen Botschafter in Paris, mit seiner kritischen Sicht auf die Nazis. Dieser Köster wurde wahrscheinlich von Hitler in Paris belassen, um dem Naziregime einen pluralistischen Anschein zu geben. Später wurde er ermordet. Grynszpan wurde von der Verzweiflung seiner ausweglosen Lage getrieben. Er hatte nirgendwo eine Aufenthaltsgenehmigung. Als er hörte, dass seine Eltern und Geschwister nach Polen ausgewiesen worden waren, kaufte er sich vom ersparten Geld eine Waffe und ging in die deutsche Botschaft. Wahrscheinlich hat vom Rath ihn empfangen, weil er das genau so sah. Grynszpan ist ein Vorkämpfer der Freizügigkeit. Eigentlich wollte er dagegen protestieren, dass seine Eltern in ein Land ihrer Unwahl abgeschoben wurden, er aber nirgendwohin konnte, denn er war auch keine Pole mehr, Deutscher schon gar nicht, in Brüssel zeitweilig geduldet, in Paris illegal. Er war ein Europäer aus Hannover, der sich nach Geborgenheit sehnte, denn als er nach dem Einmarsch der Deutschen zufällig frei kam, begab er sich in die Obhut der französischen Behörden. Er war kein Anarchist. Was mag er dann im deutschen Gefängnis und im KZ Sachsenhausen getan und gedacht haben? Er folgte jedenfalls der Strategie seines französischen Verteidigers, indem er darauf bestand, dass er gar nicht hätte ausgeliefert werden dürfen und dass er vom Rath aus homosexuellen Kreisen kannte. Das rettete ihn vor einem Schauprozess mit Todesstrafe. Rettete ihm diese Argumentation auch das Leben? Vielleicht war es aber noch ganz anders. Grynszpan hatte sich eine Waffe gekauft, um den deutschen Botschafter zu erschießen. In der deutschen Botschaft angekommen, traf er auf Rath, den er kannte und der sich das Leben nehmen wollte, weil er diese furchtbare Krankheit hatte. Rath riet ihm, ihn zu erschießen und den Botschafter zu verschonen. So haben sie beide in einem letzten Einvernehmen ihre Probleme gelöst. Wäre Grynszpan die Reinkarnation von Hiob, so hätte er überlebt. Er wäre vielleicht der US-Finanzminister geworden oder gewesen. Später glaubte er nicht mehr an Fanal und Rache, sondern an Worte. Er sagte zum Beispiel: Ich weiß, dass Sie glauben, Sie wüssten, was ich Ihrer Ansicht nach gesagt habe. Aber ich bin nicht sicher, ob Ihnen klar ist, dass das, was Sie gehört haben, nicht das ist, was ich meine. Er war in Satzkonstruktionen geflüchtet, denen niemand folgen konnte und sie deshalb lieber bewunderte als kritisierte. Er hatte erkannt, dass Zinsen, Schulden und Wachstum nicht nur rein quantitative Parameter sind, sondern auch durch die Qualität der dahinter stehenden Leistungen und Waren bestimmt sind. Das alles hätte er nicht wissen können, wenn er nicht an jenem siebten November den Mann erschossen hätte, der erschossen werden wollte, aber damit gelichzeitig das Fanal für die Würde des Menschen geliefert hat. Er war der moderne Hiob, der Hüter der Brüder.

[1] jiddisch für jüdischen Wohnplatz

[2] polnische Schreibweise

2

HIOB ALS BOTSCHAFT

Hiob gehört zu den großen Erzählungen, die uns gleichzeitig bewegen und trösten sollen und auch können. Hiob sieht seinen Erfolg übertrieben groß und sein Leid erdrückt ihn. Sein Erfolg ist – mit Ausnahme seiner Kinder – Haben und sein Leid ist Krieg und Krankheit, also für die Zeit, in der er lebt: Sein. Er findet sich auserwählt für übergroße Not und Ungerechtigkeit. Aber er ist nicht auserwählt. Keiner ist auserwählt. Da er, wie wir alle, alles richtig gemacht hat, trifft ihn jede Strafe zu unrecht. Überhaupt: warum glaubt er denn, dass er bestraft wird. Oder: glaubt nicht jeder an seine Unschuld? Würde jeder die Schuld bei sich suchen, wären die Täter schnell gefunden.

Jede Strafe ist unrecht. Die spiegelnden Strafen waren bloße Rache, sie vermehrten das Leid, statt es zu vermindern. Auch heute noch glaubt eine knappe Mehrheit, dass Strafe gerecht sei. Daraus, dass die Untat ungerecht ist, folgt nicht, dass die Strafe gerecht sei.  Gerecht wäre vorbeugendes Verhindern  der Untat und liebevolle Wiedereingliederung des Täters. Wenn eine Wiedergutmachung am Opfer nicht möglich ist, so erhöht sie doch die Bilanz des Guten in einer Gesellschaft. Das universelle Tötungsverbot muss noch mehr  durch Waffenverbote und -ächtung unterstützt werden. In Europa und Japan nimmt die Zahl dieser Untaten drastisch ab, während sie in Ländern mit Armut und Waffen erschreckend  und fast antik hoch bleibt.

So ist es auch mit dem Lohn, dem Verdienst oder Gewinn, den man sich aus seinen Taten erhofft. Wir würden alle Hiob sozusagen überwinden, wenn wir  es verstünden, Gutes zu tun, um es sofort zu vergessen. Stattdessen erwarten wir Dank und Lohn. Es schmerzt, wenn der Verdienst zum Bettler gemacht wird. Aber der wirkliche Gewinn liegt immer im Zugewinn an Seelenfrieden. All die dilemmatischen, schier unlösbaren Probleme der Menschheit, sie nähern sich mikrometermäßig ihren Lösungen, wenn wir anderen helfen, ohne zu fragen und ohne Lohn zu erwarten. Es gibt keinen böseren Verdienst als Finderlohn. Der Lohn der Treppe ist das oben, nicht noch etwas.

 Die höchste Instanz zur Beurteilung unseres Lebens ist Gott, aber er gab uns ein Gewissen. Und deshalb muss ein jeder Mensch mit seiner Schuld leben. Niemand kann sie ihm nehmen und niemand nimmt sie ihm. In den griechischen Tragödien, die zur gleichen Zeit entstanden wie das Buch Hiob, geraten die Menschen unschuldig in schuld. Auch Hiobs Leid geht auf die Wette Gottes mit seinem Widersacher, dem Satan, zurück, liegt also nicht in Hiobs Leben. Viele Täter erschrecken vor ihrer Untat. Sie wissen nicht, wie sie dazu gekommen sind. Es gibt immer nicht nur einen Grund, warum etwas geschieht. Vielmehr benötigt man, um ein Ereignis zu erklären, mehr Gründe als man je finden kann. Das geht soweit, dass man eigentlich gar keine Warumfragen stellen kann: niemand kann sie beantworten. Zu groß ist die Masse der Gründe und Gegengründe, der Tatsachen und Rechtfertigungen.

Wir müssen in diesem Geflecht von Taten und Untaten, von Schuld und Sühne leben, wir haben keinen anderen Ort als diese Welt. So gesehen gehören Hiob und Grünspan in die große Reihe der Märtyrer. Das sind Menschen, die standhalten, obwohl sie wissen, dass sie scheitern, unter der Last fremder Schuld zusammenbrechen werden, die     das auf sich nehmen, was andere ganz offensichtlich falsch machen. Aber die anderen sind das herrschende System, sie glauben erst recht Recht zu haben. In diesem Netzwerk von Taten und Untaten hat niemand recht. Der Fehler ist nicht die einzelne Tat, sondern das bestehen auf ihr, das Rechthabenwollen, gefolgt vom Wahrheitpachten. Dann kommen schon die Kreuzzüge und dreißigjährigen          Weltkriege. Gott ist keine Burg, in der man Recht hat. Gott ist innen, nicht außen.

Das Leben folgt keiner Rechenkunst. Kein Kalkül ist möglich. Während der Pest müssen die Uhrmacher schweigen. Wir werden von dem, was wir Glück nennen, genauso überrascht, wie von dem, was uns Unglück scheint. Jähe Wendungen des Lebens sind genauso wenig vorhersehbar wie lange Strecken der Langeweile. Deshalb brauchen wir Hoffnung, Erzählung, Schlaf, Droge, Ablenkung, Trost. Die Hoffnung wird am meisten kritisiert, manche glauben gar, dass nur Narren hoffen. Hoffen hängt mit Wahrscheinlichkeit zusammen. Die Wahrscheinlichkeit für einen Lottogewinn ist zum Glück genau so klein wie für den Blitzschlag. Die Wahrscheinlichkeit dagegen, dass wir jemanden erfreuen können, ist groß, wenn  wir nur genug dafür tun. Jeder hofft zurecht, dass er ein besserer Mensch werden kann. Niemand wird zum Narren, der hofft und harrt, erzählt und tröstet, schläft oder sich betäubt, wenn die Schläge des Schicksals zu hart scheinen. Wenn Sinus das Kreuz des Lebens ist, dann ist Cosinus die Lust des Strebens.

Das Leben ist kein Kalkül. Es hat demzufolge mit Zahl und Geld nichts zu tun. Das Geld ist nur eine Projektion der Zeit, die wir zur Verfügung haben und für     etwas ausgeben. Genauso wenig ist das Leben digital abbildbar, wenn uns das     auch   Netz und Filme und Spiele immer wieder suggerieren wollen. Das Leben bleibt das Leben aus Fleisch und Blut, fragil, verletzlich, kostbar. Das Leben hat     Würde und muss seine Würde behaupten, nur die Dinge haben einen Preis. Die besten Dinge aber sind die Geschenke, die Gaben, die ebenfalls keinen Preis, sondern eine Würde haben. Der schönste Satz, den ein Mensch zu einem anderen sagen kann, ist deshalb: du musst dich nicht bedanken, denn du bist das Geschenk. Das Leben ist kein Kalkül, und das einzige, was keine Inflation hat, ist das Wunder.  

Liebe ist die weiteste und größte Lösung aller unserer Probleme und unseres Schicksals. Sie eröffnet neue, weite Horizonte, weil sie sich anderen Menschen zuwendet.  Wenn die maximale Kommunikation dadurch zustande kommt, dass ein liebendes Paar in einem leeren Zimmer schweigt, dann schließt dies aber auch die gesamte Menschheit aus. Deshalb ist Liebe, wie jeder weiß, mehr als die individuelle Liebe zwischen zwei Menschen. Liebe, die die Menschheit einbezieht, ist Nächstenliebe oder Solidarität. Jedem Menschen ist das Kindchenschema eingeboren, viele haben das Helfersyndrom. Wer kalt ist, wird erfrieren. Wem kalt ist, wird geholfen. So funktioniert Gemeinschaft, ohne die wir nicht sein können. Gehe in ein fremdes Dorf irgendwo auf der Welt: man wird dir Tee bringen und deine Schuhe trocknen! Alles, was du brauchst, um keine Angst zu haben, ist Liebe, aber alles, was du brauchst, um zu lieben, ist, keine Angst zu haben. Liebe ist aber auch geben, ohne nehmen zu wollen. Nicht zufällig stammt einer der schönsten Sätze des Weltdenkens aus einer Liebestragödie: the more i give, the more i have: je mehr ich geb, je mehr ich hab. [Shakespeare, Romeo und Julia]

Die tiefste Lösung aber für den Menschen ist der Glaube. Mit ihm und sich ist der Mensch allein. Wir glauben an etwas, das größer ist als wir, und wir bauen Häuser, die mehr sind als Schutz vor Regen und Sonne. Mit dem Tod aber können wir nur leben, weil wir nicht an ihn glauben. Es ist nicht wichtig, wie wir das, woran wir glauben, nennen, wenn es nur größer ist als wir selbst und die Summe von unseresgleichen. Hiob und Grünspan stellen sich einen Gott vor, den es nicht geben kann, der ihr Leben verwettet und verspielt. Das ist menschlich, aber nicht göttlich. Nur Ultraorthodoxe können sich den Teufel als Tatsache, aber den Frieden  als bloße Metapher vorstellen. Tiefer Friede kommt aus tiefem Glauben. Das ist die Tiefe des Menschen. Glaube ist immer einsam. Gruppe dagegen ist Therapie und auch oft nötig. Die Frage, ob Hiob wirklich glaubt oder nur aus opportunistischen Gründen seinen Glauben bekennt, ist ebenso unbeantwortbar wie universell und unnütz. Wir wissen letztlich nicht, ob jemand, der sagt, dass er uns liebt, nicht sich und seine Befriedigung meint. Wir müssen es glauben, wir wollen es glauben, wir sollen es glauben. Aber genauso wenig wissen wir, wenn wir annehmen, dass wir glauben, ob wir uns nicht Vorteile bloß von der Einhaltung der Regeln, der Traditionen und Rituale versprechen. Wer – außer Grünspan – wäre kein Opportunist?

Hiob ist die Parabel für die Inflation schlechter Nachrichten. Aber sind es auch schlechte Dinge? Ist Hiob zum Schluss nicht stark und demütig, und ist freiwillige Demut nicht der Stärke gleichzusetzen? Hiob belehrt uns, aber wir wollen ihm nicht nacheifern, im bösen nicht, aber auch im guten nicht. Aber jeder von uns kennt einen: der den Schmerz ausgehalten hat, der das böse Schicksal angenommen hat, genauso wie vorher das gute. Wir wissen nicht, ob es einen Gott gibt, der unser Leben verwetten könnte, wenn er wollte, und der den Weg jeder einzelnen Ameise vorbestimmt. Aber wir wissen und glauben, dass es unsere Aufgabe ist, nicht aufzugeben, wieder aufzustehen, dem Nachbarn zu helfen, Gutes zu tun. Es ist gleich gültig, ob wir die Aufgabe als von Gott gegeben annehmen oder mit der Muttermilch der Menschlichkeit in der Vatersprache der Güte aufgenommen oder sogar beides, das ist gleich gültig, wenn wir nur mehr tun als haben zu wollen und sein zu sollen. Wir müssen mehr sein wollen: Geber und Gabe gleichzeitig.

DREI TRAUERFEIERN

Der französisch-deutsche Fernsehsender ARTE hat vor kurzem einen Film wiederentdeckt, der die Beisetzung von Gamal Abdel Nasser zeigt. Nasser starb mit nur 52 Jahren auf dem Tiefpunkt seiner Macht im Jahre 1970 und wurde am 1. Oktober beigesetzt. Er hatte dreimal verloren: den Sues-Krieg gegen Großbritannien, Frankreich und Israel, das Projekt Vereinigte Arabische Republik mit Syrien und dem Irak, das schon nach drei Jahren scheiterte, und schließlich den 6-Tage-Krieg. Nasser glaubte an die ‚Protokolle der Weisen von Zion‘, einen plump gefälschten Text von 1903, der den Anspruch und die Verschwörung der Juden zu einer Weltherrschaft beschreiben soll. Demzufolge glaubte er nicht an die Existenzberechtigung des Staates Israel, mit dessen überlegener Militärmacht er nicht gerechnet hatte. Bei uns im Osten herrschte die Erzählung vor, dass der Generalstabschef und Verteidigungsminister Moshe Dayan, der diesen Krieg souverän gewann und seinen legendären Ruhm damit begründete, eine Ausbildung an der sowjetischen Generalstabsakademie erhalten hatte. Tatsächlich war Dayan ein Kibbuznik, sein Vater war schon 1908 aus der Ukraine nach Palästina gekommen. Und tatsächlich waren die ägyptischen und syrischen Generäle sowjetisch geschult und hatten sowjetische Waffen und Flugzeuge. Moshe Dayan war als Beobachter im bösartigen Vietnamkrieg und soll gesagt haben: ‚Die Amerikaner gewinnen dort allesmögliche – außer den Krieg.‘ Das ist ein schöner Satz, der auch für die Russen im gegenwärtigen Krieg gegen die Ukraine gilt.

Nasser trat in drei von ihm selbst ausgewählten und so benannten Kreisen an: für den Panarabismus, den Panafrikanismus gemeinsam mit Kwame Nkrumah aus Ghana, und schließlich für den Panislamismus, in dem er Saudi Arabien (Sunniten) in Konkurrenz zum Iran (Schiiten) unterlag. Der Panarabismus ist krachend gescheitert, es hat noch nicht einmal die Sprache überlebt. Für den Panafrikanismus, nachdem er sich von Gaddafi befreien konnte, gibt es neuerdings wieder eine Chance in der Ostafrikanischen Gemeinschaft (EAC), die mit einem Zipfel des Kongo sogar bis an den Atlantik reicht.

Auf Nasser wurde ein Attentat von einem Muslimbruder ausgeführt, das ihn schwer verletzte, den Attentäter aber in der Folge tötete.

Nasser genoss trotzdem bei seinem Tod ein so hohes Ansehen, dass zu seiner Beerdigung fünf Millionen offensichtlich ehrlich trauernder Anhänger kamen, Kairo war damals bei weitem noch nicht so groß wie heute. Die Sicherheitskräfte waren außerstande, die wenigen ausländischen Trauergäste und den Sarg auf der zehn Kilometer langen Trauerstrecke zu schützen. Der höchste Gast war der sowjetische Ministerpräsident Kossygin. Die Gäste wurden in der Parteizentrale, wo schon die trauernden und verängstigten Frauen, darunter die Witwe und die Töchter, warteten, notuntergebracht. Auf dem Sarg, dessen Fahne zerrissen und gestohlen war, saßen zum Schluss Soldaten, die verzweifelt mit Gegenständen auf die allzu Zudringlichen, sozusagen die Vorhut der fünf Millionen, einschlugen.

Der Grund dafür liegt nun nicht in der angeblich besonderen Mentalität des Orients, der emotional aufgeheizten Stimmung und der vermeintlichen angeborenen Disziplinlosigkeit. Gerade die Hoffnungen auf ein besseres Leben, die auf Nasser lagen, obwohl er so eklatant versagt hatte, zeigen, dass die Ägypter keine andere Mentalität haben als alle anderen Menschen auf der Erde. Sie unterscheiden sich lediglich durch die Sprache und gering zu achtende Traditionen von anderen. Ihre Hoffnungen richten sich wie überall auf ein besseres und sicheres Leben.

Drei Jahre zuvor, am 25. April 1967, war ein steinalter Politiker zu Grabe getragen worden, der ebenfalls von seinen Wählern geschätzt wurde, so dass es zu ehrlicher Trauer kam. Konrad Adenauer hatte eine politische Karriere lange hinter sich, als er 1949 der erste Bundeskanzler des westlichen Deutschlands wurde. Seine überdimensionierten Leistungen waren die Aussöhnung mit Frankreich und die Implantierung Westdeutschlands in ein westliches Wirtschafts- und Militärbündnis und – heute nur noch schwer verständlich – die Rückholung der letzten 10.000 Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion, die dort, zehn Jahre nach Kriegsende, immer noch zur Sühne für ihre Untaten schuften mussten. Diese Aktion hatte aber damals einen überhöhten symbolischen Wert, da bis dahin nur eine Minderheit der deutschen Bevölkerung das Unrecht und das Verbrechen einsah, das in dem Krieg gegen die europäischen Völker gelegen hatte. Viel größer war die gemeinsam mit dem ersten israelischen Präsidenten David Ben Gurion ausgehandelte Versöhnung mit den überlebenden Juden, aber sie wurde, wenn überhaupt, nur verschämt wahrgenommen. Adenauer war weder Nazi noch Ideologe und glaubte ganz sicher nicht an die ‚Protokolle der Weisen von Zion‘. Er war ein alter Pragmatiker, dessen Todesjahr gleichzeitig die Zeitenwende eines protodemokratischen Systems wurde, ab 1968 begann eine neue Generation über neue Möglichkeiten der Politik nachzudenken.

Die weit mehr als zehn Kilometer lange Trauerstrecke, vom Kölner Dom bis zum Friedhof in Adenauers Wohnort Rhöndorf, war gesäumt von weinenden und staunenden Menschen. Die beiden wichtigsten Politiker der Zeit, Lyndon B. Johnson und General de Gaulle, die sich nicht leiden konnten, gingen in der ersten Reihe, getrennt durch den umstrittenen Bundespräsidenten Lübke, zwölf weitere Regierungschefs und Vertreter von 180 Staaten, darunter der sowjetische Außenminister Gromyko, der übrigens seine bemerkenswerte Karriere unter Stalin begonnen und unter Gorbatschow beendet hatte, folgten. Es gab keinen Zwischenfall. In Deutschland gab und gibt es, trotz Weltkriegen und grausamsten Diktaturen, Weltwirtschaftskrisen und Inflationen eine seit Jahrhunderten gefestigte Struktur. Niemand wagt es, eine Absperrung zu übertreten, nicht, weil er sich vor Strafen oder knüppelnden Soldaten fürchten müsste, sondern weil er weiß, dass er in jedem Falle unwichtiger ist als der Tote, weil er weiß, dass sein Leben auch nach dem Tod eines noch so wichtigen Politikers gesichert weitergeht. Adenauer war übrigens in seiner vierten Amtszeit zurückgetreten und hatte zwei Nachfolger im Amt noch erlebt: seinen von ihm ungeliebten, vom Volk hoch geachteten Wirtschaftsminister Ludwig Erhard und seinen Zögling Kiesinger, den sogar in der ersten Großen Koalition.

Diese von außen betrachtet bewundernswerte Strukturiertheit, wir im Innern leiden eher etwas darunter, kann man noch besser als an der Trauerzeremonie an dem einzigen Attentat zeigen, das auf Adenauer verübt wurde. In München gab ein Herr zwei Schuljungen ein Paket, das er angeblich aus Mangel an Zeit nicht selbst weiter befördern konnte, mit der Bitte zur Aufgabe bei der Post. Aber die beiden Jungen wurden stutzig über die immense Höhe des Trinkgelds und darüber, dass der Herr sie trotz vermeintlichen Zeitmangels verfolgte. Es waren offensichtlich solche Jungen, wie sie Erich Kästner schon 1929 in seinem wunderschönen Buch ‚Emil und die Detektive‘ beschrieben hatte. Sie wurden stutzig und gingen zur Polizei statt zur Post. In dem Paket an Dr. Konrad Adenauer befand sich eine Briefbombe. Der Sprengmeister der Polizei starb. Adenauer empfing – absolut zeitgemäß – die beiden Jungen und bedankte sich – total altmodisch – mit je einer goldenen Uhr.  

Der Attentäter gehörte zu einer jüdischen Partisanengruppe, die Rache an den Deutschen geschworen hatte. Adenauer verzichtete auf jede Verfolgung. Zur Struktur kann gerne auch menschliche Größe treten.

Die Gemeinsamkeit zwischen den beiden Feiern ist die religiöse Komponente, Nasser wurde in der Abdel-Nasser-Moschee in Kairo bestattet, Adenauer im Kölner Dom verabschiedet.

Genau in der Mitte zwischen Struktur und Chaos verlief die Zeremonie am 9. März 1953 für einen der grausamsten Diktatoren aller Zeiten, für Josef Wissarionowitsch Dschugaschwili, genannt STALIN – der Stählerne. Er hatte fast dreißig Jahre regiert, in denen Millionen Menschen durch seine Herrschaftsmethoden sterben mussten, Gulag, Hungersnot, ‚Säuberungen‘ genannte Erschießungsorgien. Aber den überlebenden Millionen ging es besser als früher.

Er starb im Alter von 74 Jahren als Folge eines Schlaganfalls, nachdem er vorher alle seine Leibärzte hatte erschießen lassen, weil sie Juden waren. Ob er an die Protokolle der Weisen von Zion glaubte, wissen wir nicht, wir wissen, dass er seine Macht immer wieder mit Grausamkeiten gesichert hat. Es gibt kein Land auf der Erde, in dem mehr Innenminister hingerichtet wurden, denn nach den Massakern mussten immer auch die Schergen sterben.

Bei der Trauerfeier herrschte eine durch die Präsenz zehntausender Soldaten erzwungene Struktur. Volk und Trauerzug sind durch bewaffnete Soldaten getrennt. Der Trauerzug selbst ist noch ganz althergebracht: Marschälle und Generäle tragen die Orden, der Katafalk wird von berittenen Pferden gezogen, nebenher die überlebenden Rivalen, die auf der Tribüne versichern, dass sie das Land nicht durch Streitigkeiten ins Chaos stürzen werden. Wenige Wochen später wird aber bereits der widerlichste Rivale erschossen, Berija, der Sicherheitsminister und sein Stellvertreter folgen nach. Tausende andere werden befreit oder gar rehabilitiert.

Wir wissen nicht, ob das Volk, unter dem eine Panik ausbrach, so dass fünfhundert Menschen zertreten wurden, ehrlich trauerte oder nur Angst vor der Ungewissheit der Zukunft hatte. Bei der Krönung des letzten Zaren waren übrigens tausendvierhundert Menschen gestorben, nicht weil sie Nikolaj II. zujubeln wollten, sondern weil sie nach den Lebensmittelpaketen drängten, die an dem Tag als Geschenke verteilt wurden.

Herkunft kann hindern oder fördern. Zumeist wird ihre Wirkung aber überschätzt. Durch Bildung oder Flucht, Tod oder Koalition kann sich fast jeder Mensch aus der misslichen Lage befreien, in die er durch Unheil geriet, sei es staatlich oder religiös organisiert, sei es durch Naturkatastrophen herbeigeführt, sei es selbst verschuldet.

Andererseits sind wir Menschen aber nicht vor der Faulheit und Dummheit gefeit, die schon der alte Kant als die natürlichen Feinde der Mündigkeit, der Selbstbestimmtheit, der Freiheit erkannt hatte. Und er konnte sich dabei auf Rousseau und Seneca berufen, die wiederum mit Yesus korrespondierten, gar als deren geistige Onkel bezeichnet wurden. Ihre Paten sind Sokrates und Pythagoras und Gautama Buddha. Beinahe möchte man schreiben: UNDSOWEITER. Das ist die DNS der Menschheit: Kooperation. Wir sind nicht verdammt, Sklaven einer ausgedachten Erbsünde, einer konstruierten Hautfarbe, denn niemand ist rot oder gelb, weiß oder gar schwarz,  einer Herkunft, einer erdichteten Mentalität, eines demagogischen Gut oder Schlecht zu sein. Wir sind nicht verdammt, die Ketten, in die man uns legte, zu tragen.

Wir dürfen aber nicht übersehen, dass solche Prozesse immer Jahrhunderte dauern. Nur darin liegt der Unterschied zwischen Gesellschaften: an welchem Punkt der Prozesse sie sich befinden. Man kann weder Freiheit noch Demokratie exportieren. Bildung ist ein mühseliger Vorgang. Erörterung und Abwägung dauern länger als Vorurteil.  

NATIONALBOLSCHEWISTISCHES GESCHWÄTZ

Der Mensch kann nicht kommunizieren; nur die Kommunikation kann kommunizieren.*

Das Wort selbst ist Dialog, indem es seine Antworten, also alle Interpretationen, Negationen und Kollaterale, mitdenkt, die Antwort denkt dagegen das Wort, den Sprecher und dessen System von Interpretationen mit. Der Glaube, die Welt, – selbst auch nur trivial: den Nachbarn und seine Gründe – erkennen zu können, ist Wunschdenken, Aberglaube und Hybris. Andererseits weiß der Traum mehr als das Gedächtnis, das Unbewusste mehr als das Bewusstsein, das Subjektive mehr als das nur vermeintlich Objektive. Daher kommt das Wort Lippenbekenntnis, denn Bekenntnis ist mehr als Wort oder gar als Credo, Bekenntnis kann es nur im Verhalten geben. Das Schicksal jeder Botschaft ist folgerichtig Palimpsest.

Und obwohl das alles seit langem bekannt ist, tat sich das 20. Jahrhundert und seine bis heute währenden Ausläufer nicht nur durch nationale und bolschewistische Schreckensherrschaften hervor, sondern auch durch eine Rhetorik, die sowohl die Nationalisten als auch die Bolschewisten ansprach.

Das Wort Bolschewisten ist selbst zur Ironie geworden, denn es bezeichnete ursprünglich die Mehrheit in der russischen Sozialdemokratie, die sich dann bald abspaltete. Nach Lenins Tod war der Weg endgültig frei für die nationale Variante des Bolschewismus: Stalin, obwohl selbst Georgier, setzte er den großrussischen Imperialismus der Zaren, die sich selbst Selbstherrscher aller Russen nannten, nicht nur fort, sondern forcierte ihn bis zum Genozid der anderen. Die Internationale, deren letztes Gefecht in ihrer Hymne besungen wurde, war tatsächlich nicht nur in Moskau untergebracht, sondern auch Moskau unterworfen. Ihr einziger nichtrussischer Generalsekretär wurde folgerichtig vergiftet. Diesen Ermordungsmodus hat Putin wiederbelebt. Ihm schwebt – in der Nachfolge von Stalin und von Slobodan Miloševic – eine Art panslawisches, aber auch kolonialmultiethnisches Imperium vor. Die von Kohl einst apostrophierte ‚Gnade der späten Geburt‘ trifft jetzt mit Putin uns: wir können von Glück reden, dass er nicht schon früher an die Macht kam, denn dann wäre seine Wirkung noch verheerender gewesen. Aber Putin wird bald durch eine Armee besiegt sein, die vor einem halben Jahr noch keiner kannte und der keiner mehr als eine Woche des Überlebens vorausgesagt hätte. Putin ist dieses ‚letzte Gefecht‘, die Reprise des Untergangs der Sowjetunion, und wieder wird es eine geopolitische Katastrophe nur für die eigenen alten Leute sein, die anderen und die Welt werden zum zweiten Mal aufatmen.

In Deutschland dagegen wird der clowneske Charakter der nationalbolschewistischen Redner besonders in den Demonstrationen ihrer Anhänger deutlich. Man muss sie aber mit zwei Gründen entlasten: erstens kann eine Sache, eine Idee noch so hehr und heilig sein, die Anhänger zerren sie in Streit, Teilung und Korruption, wie ja auch die besten Atheisten die Mullahs und die Kardinäle sind. Und zweitens: jede Demonstration hat karnevaleske Züge, wie jeder Karneval demonstrativ ist, etwas zeigen will und vor allem darf. Vielleicht ist die Demonstration auf der Straße überhaupt eine Ausgeburt des Karnevals. Die gegenwärtige infantile Trommelei und Plakatiererei sowie das dazu passende Geschrei sprechen dafür.

Während es den nationalbolschewistischen Machthabern wenigstens noch um ihre Macht ging, obwohl man sich natürlich fragen kann, was eine Macht macht, die alles zerstört, den so genannten Gegner und die eigenen Leute und das eigene Land, geht es den heutigen, sich halbintellektuell gebärdenden Nationalbolschewisten dagegen nur um das Geld. Halbintellektuell gebärden sie sich, weil sie von Leuten verstanden werden wollen, die mit selbstgemalten Plakaten ‚Wir sind das Volk‘ schreiend durch die Kleinstädte laufen. In den Großstädten werden immer Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet zusammengekarrt, ganz so wie bei den machtversessenen Vorbildern. Die Losung, dass jemand, eine Menge Menschen, das Volk sei, stammt bekanntlich aus dem Niedergang der DDR, wo die Herrschenden sich selbst zu Führern des Volkes ernannt hatten, der korrekte Terminus war ‚Arbeiterführer‘. Dieser Anspruch einer ‚wahren Volksherrschaft‘ wurde von den damals Demonstrierenden zerschmettert.

Die heutigen, rein rhetorisch handelnden Nationalbolschewisten Wagenknecht, Weidel, Höcke und Precht beharren auf Etiketten statt auf Argumenten. Sie genießen ihre mediale Präsenz und Berühmtheit, um immer wieder dasselbe zu sagen. Genau dieser Impuls ist es, der den protestierenden Mengen die Stichworte liefert: erst wurde das ganze schöne deutsche (?) Geld an Griechenland verschenkt und verschwendet, dann wurden durch die Bundeskanzlerin persönlich illegale Flüchtlinge eingeladen, obwohl sie Monate und Jahre zuvor schon losgewandert waren. Es entging den nationalbolschewistischen Führern und ihrer mimetischen Gefolgschaft ganz, dass die Flüchtlingsbewegung biblische Ausmaße in Raum und Zeit hatte. Besonders perfide war der Versuch der Aushebelung des ganz einfachen menschlichen Reflexes des berühmten ‚Wir schaffen das‘, der auf den Bahnhöfen und in den Asylbewerberheimen durch ein millionenfaches ‚Wir helfen euch‘ beantwortet wurde. Corona wurde als Pandemie gleich ganz geleugnet, die tastenden Maßnahmen beider Regierungen in Bausch und Bogen verurteilt. Den bisherigen Gipfel erreichte die geldgierige Protestbewegung im Ukrainekrieg. Hier wurden und werden immer wieder Opfer und Täter umgekehrt. Putin wird als das Opfer zunächst der NATO und dann der Sanktionen dargestellt. Jedes neue Narrativ von Putin – und das sind die alten Erzählungen aus dem Kalten Krieg – wird begierig weitergegeben. Die Ukraine wird, als ob die Mehrheit der Bevölkerung das nicht wüsste, als ebenso korrupt bezeichnet wie Russland, und daraus werden zwei Schlüsse gezogen, dass man dann gleich bei Russland hätte bleiben können und dass man deshalb der Ukraine nicht helfen müsste. Woher kommt nur eine derart unmenschliche Verkehrung, dass man jemandem, der Fehler hat oder macht, nicht helfen müsste, bei gleichzeitiger ständiger Berufung auf ‚unsere Werte‘. Unsere Werte heißen Solidarität oder Nächstenliebe, Kooperation und Aufklärung, Demokratie und Bildung.

Nationalbolschewismus ist ein harter und zudem historisch belasteter Begriff, der also auch eher ironisch gemeint ist für Demagogen, die vorgeben, sich um die soziale Lage ihrer follower kümmern zu wollen. Nur wie will man das aus der Opposition oder – noch ferner – aus der pseudointellektuellen Beobachterposition schaffen? Es ist schon sehr scheinheilig, mit sicheren überdurchschnittlichen Einkünften der Anwalt der Armen sein zu wollen. Vielmehr scheint diese neue Variante des Tribalismus, die die eigenen Leute zuerst in die Opferposition verfrachtet und dann auf die Straße schickt, heuchlerisch, scheinheilig und in höchstem Maße unredlich. Jeder weiß, dass alle Versuche einer kommunistisch organisierten Wirtschaft bisher gescheitert sind, zumal sie immer, bis auf den heutigen Tag, mit staatlicher Repression verbunden waren und sind. Statt tribalistische Reden zu schwingen, müssen wir immer mehr Menschen überzeugen, sich einzubringen, an den Werten festzuhalten, die sich Jahrtausende bewährt haben, sich weiterzubilden, um mehr Geld verdienen zu können.

Dies sollen die Politiker der Parteien weiter ausführen und in die Praxis umsetzen, auf deren Fahnen Solidarität und Gerechtigkeit geschrieben stehen.

Hier soll noch einmal an die möglichen Verheerungen durch Sprache erinnert werden:

Auch ein guter Rhetoriker muss an seinen Taten gemessen werden. Schöne Sprüche, Witz und Schlagfertigkeit haben einen hohen Unterhaltungswert, sind aber sonst wenig hilfreich.

Ein Etikett ist kein Argument. Der Diskurs dagegen benötigt keinen Pranger.

Die Perpetuierung der Sprache der Mörder konterkariert jeden Stolperstein. Er erweckt noch nachträglich und immer wieder den Eindruck, dass es doch Wertunterschiede zwischen den einzelnen Menschengruppen, ‚Stämmen‘, Ethnien, Völkern und Nationen geben könnte. Auch Putin beschwört eine ganz besondere russische Geschichte eines monolithischen Blocks unveränderlicher Russen, die seit tausend Jahren Großes tun. Aber ein solches Volk, eine solche Gruppe gibt es nicht. Man könnte nun meinen, dass es Vielvölkerstaaten besonders schwer haben, aber sie unterstellen ja immer ein einheitliches und noch dazu ‚reines‘ Volk. Diese ideale, aber auch höchst unmoralische Vorstellung hat zu dem Begriff der ‚ethnischen Säuberungen‘ geführt, der Morde legitimieren sollte, Stalin nannte seine Mordaktionen ‚Säuberungen der Partei‘, Hitler sprach gar von ‚Vernichtung der Juden‘ und ließ dazu ein Biozid namens Zyklon B verwenden, das man damals UNGEZIEFERVERNICHTUNGSMITTEL nannte.

All diese sprachlichen Elemente der Mörder, Diktatoren und Autokraten müssen genau so verschwinden wie der Anschein, dass Ereignisse nur eine – eventuell noch leicht zu beseitigende – Ursache hätten, dass Armut durch Abschaffung des Reichtums selber verschwände und dass immer die anderen schuld sind.            

* Luhmann, Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt/Main 1992

GIER

für cds

Vielleicht glauben so viele Menschen wirklich, dass die demografische Katastrophe in ihrem Land durch das Verbot von Homosexualität und ‚Genderwahn‘ aufzuhalten sei. Es könnte das dieselbe Frage sein, warum die Menschen früher die Hexen fürchteten, statt diejenigen, die sie verbrannten. Die Erkenntnis ist inzwischen trivial, dass wir zwar denkende Wesen sind, uns aber – in Ersparung des eigenen oder kollektiven Denkens – auch gerne einer vorgeblich allwissenden und allmächtigen Führung unterwerfen. Denn Wissen ist immer auch Verantwortung, die zu tragen unsere Sonntagsruhe stört, wie schon in Goethes Faust zu lesen ist.  

In den reichen Ländern sind vor allem – mit Ausnahme einiger weniger Erben – die Alten reich. Was gebrechlich mit Rollatoren einherkommt, ist durch teils beträchtliche Konten abgesichert. Die wieder andere Kehrseite von Alter und Reichtum ist aber Einsamkeit, weshalb in der Verbrecherwelt der Enkeltrick erfunden wurde, und, obwohl inzwischen hundertfach kolportiert und in den Zeitungen und im Fernsehen entlarvt, weiterhin erfolgreich – für die Verbrecher und Rentner  funktioniert. Er ist auch ein bisschen menschlich verständlich und es handelt sich um überschaubare, meist fünfstellige Summen, die sich für die mafiös organisierte Verbrecherseite nur in der Masse rechnen. Er geht so:  Ein alte Frau wird angerufen und hört, dass ihre Enkelin oder ihr Enkel, die oder den sie nicht kennt, in Not geraten ist. Die Gründe sind amerikanischen Filmen entnommen, die wir alle oft für Wirklichkeit halten: unwiderrufliche Inhaftierungen, Kautionen, übergriffige Polizisten. Die alte Dame geht also zur Sparkasse, hebt ihre gesamten Ersparnisse ab und übergibt sie einem Boten mit osteuropäischem Akzent. Das sieht eher nach einer verständlichen Hoffnung aus, doch noch die Enkel kennenzulernen.

Nun aber gibt es durch eine akzentfreie, wohl in der Klasse der Versicherungsvertreter angesiedelten Mafia die Möglichkeit, ganz locker in den sechsstelligen Abzockerbereich zu gelangen. Einem Ehepaar aus Nordrhein-Westfalen wurden durch ihren Versicherungsagenten Faksimiles als Geldanlage angeboten. Man muss nicht erklären, was Faksimiles sind, die im Gegensatz zu den gefakten Enkeln tatsächlich Geld kosten, denn das ist völlig irrelevant. Die reichen Rentner kauften etwas für sie unverständliches und unwichtiges und stapelten es im Schlafzimmer. Als ihre Ersparnisse von 300.000 € aufgebraucht waren, nahmen sie einen Kredit auf, um weitere Faksimiles erwerben zu können. Jetzt schämen sie sich für ihre Dummheit und geben als Motiv dafür an, dass sie ihren Enkeln etwas mehr vererben wollten.

Die eigentliche Ursache für derlei Verbrechen ist aber, dass wir alle zu viel Geld haben, das gilt nicht nur für Privatleute, sondern auch für Firmen und Staaten. Und aus dieser Inflation der Ersparnisse und der Sparmöglichkeiten ergibt sich seit altersher die Todsünde der Gier. So jedenfalls nennt es die katholische Kirche, die, weiß Gott, über Geld und Gier bescheid weiß. Aber auch außerhalb dieser antikisierenden Geldgemeinschaft wird niemand Gier gutheißen, es gibt sie, seit wir denken können und sie steht in allen alten Schriften, aber wir können nicht von ihr lassen. Die Versuchung ist zu groß, zu glauben, dass die Rücklage von Geld und Gold vor Krieg und Hunger und Pest schützt.

Die Gier ist es, die uns dazu bringt immer mehr Geld für mehr oder weniger unsinnige Projekte auszugeben, einzig mit dem Ziel, immer mehr Geld zu generieren. Zum Beispiel geben wir 100 Milliarden € zur Abwehr eines macht- und gewaltdebilen Diktators aus. Das kann man kritisieren oder gutheißen. Aber die eigentliche Katastrophe besteht darin, dass niemand auf die Idee kommt, gleichzeitig und den gleichen Betrag für die Kinder auszugeben, für deren Bildung, Betreuung und Bevorzugung. Stattdessen sehen wir zu, wie unsere Zukunft in den Banlieues, die hierzulande bisher Hartzvier hießen, verkommt.     

Während wir hier Faksimiles kaufen, um noch mehr und noch mehr Geld vererben zu können, schrumpfen in einigen Gebieten der Welt die Arbeitsbevölkerungen, sie vergreisen und verschlingen Renten, die sie nicht erarbeiten können. So ist es in Russland, in China und wahrscheinlich auch in Indien. Ob etwa Russland seine Probleme durch Expansion lösen will, werden wir erst nach dem Krieg und nach dem baldigen Ende der Putin-Herrschaft erfahren. Bisher hat Russland jedenfalls alle seine Probleme durch Extensivierung (‚NEULAND UNTERM PFLUG‘) zu lösen versucht.

Unbemerkt ist Afrika aus dem Akkumulator aller Probleme zum Vektor der Hoffnung geworden, denn es ist das einzige Weltgebiet, in dem die Bevölkerung wächst. Und damit wächst zum ersten Mal in der Weltgeschichte nicht das Elend. Wir erinnern uns: als unsere Urgroßväter das große Werk der Industrialisierung begannen, nahmen sie Millionen Massen verelendeter Arbeiter und Arbeitsloser in Kauf, so krass, dass 1848 Marx die Diktatur des Proletariats erfand, Wichern Armut mit Unglauben gleichsetzte und schließlich Nietzsche – etwas später – die Umwertung aller Werte voraussah. Allein aus Irland floh die Hälfte der Bevölkerung, auch aus Deutschland wanderten Millionen Menschen aus. Während viele Europäer, Amerikaner und Asiaten ihre antiafrikanischen Vorurteile pflegen und erkenntnistheoretisch für ausreichend halten, dergestalt, dass sie sich Afrikaner als analphabetische Skelette vorstellen, deren höchster Lebenssinn der Besitz einer Kalaschnikow ist, war schon bei der Entstehung dieses Bildes die Welt auf den Kopf gestellt: die Kalaschnikow kam aus Europa, dem Hunger haben wir mit Häme zugesehen, von bedeutenden Einzelbeispielen der sogar blockübergreifenden Hilfe, wie zum Beispiel 1984 für Äthiopien, abgesehen. Inzwischen liegt das Durchschnittsalter vieler afrikanischer Länder bei unter zwanzig Jahren, die Analphabetenquote hingegen im Durchschnitt bei unter zwanzig Prozent, nur in der Sahelzone ist sie höher. Es handelt sich – ganz im Gegenteil zu den Klischees – um eine gebildete, aufwärtsstrebende und gutgelaunte Jugend, die lebensfroh ihrer Ubuntuphilosophie folgt.

Niemand kann bekanntlich die Zukunft voraussagen. Aber es scheint so, dass die Zeiten für faksimilekaufende Rentner, autoritäre Herrscher und irre Kriege sowie Tänze um goldene Kälber langsam auf ihr Ende zugehen. Auf die Verbrechen der reichen Rentner folgen die Kreationen der jungen Innovatoren mit ihren digitalen Werkzeugen. Nicht nur goldene Kälber sind in Zukunft vermeidbar, sondern auch aufzufressende Kälber. Mit Kälbern, die schon Brecht als starke Metapher hatte (‚KÄLBERMARSCH‘), verhält es sich so wie überhaupt mit der Jugend: wer sie verachtet, verachtet sein eigenes Leben und seine eigene Zukunft. Man kann doch nicht Kinder in die Welt setzen, egal auf welchem Kontinent, um sie dann zu verachten und ihrem mäßigen Schicksal zu überlassen. Lange Zeit gab es den Spruch: in diese Welt kann man keine Kinder gebären, er war nicht nur zynisch, sondern auch schöpfungsverachtend, selbstbezogen und gierig. Wenn, wie wir inzwischen alle erkennen, die Welt nicht gut ist, müssen wir sie besser machen, ohne Gier, ohne Geiz, möglichst auch ohne Geld als Lebenssinn. Es beginnt die Stunde der Demografie und das Jahrhundert Afrikas.             

DER KLAVIERSPIELER IM GREIFSWALDER DOM

Ein Manifest

Sie spielen doch auch? Wie spielen Sie das denn? Man kann es so oder so spielen. Ich spiele es so. Wie spielen Sie es? Sie sind doch aus Nordrhein-Westfalen? Aus Brandenburg? Das Brandenburger Tor hat Sie auch kaputt gemacht. Das Brandenburger Tor haben sie auch kaputt gemacht, einfach abgerissen, das Brandenburger und das Friedländer Tor. Es gibt kein Friedland mehr. Es gibt doch ein Brandenburger Tor? Oder wurde es abgerissen? Das macht etwas mit uns. Wie war es damals bei – jetzt weiß ich den Namen nicht mehr. Haben Sie den Maler gesehen? Er hat dort eine unordentliche Ausstellung. Der ganze Dom ist so unordentlich. Gestern traf ich den Herrn Habakuk, und er sagte, dass auch die Steine in den Mauern schreien und die Balken antworten werden. Da braucht man diese Bilder und diese Musik, wegen der fehlenden Ordnung. Überall in der Stadt hängen so kleine Zettel, die angeklebt sind. Darauf steht MAUTE LUSIK. MAUTE LUSIK, Sie verstehen, das ist nicht lustig? Das ist so wie diese Bilder, die hier so unordentlich angenagelt sind. Eines heißt: DER FLÜCHTLING. Aber wir fliehen doch alle, wenn die MAUTE LUSIK beginnt. Noch schlimmer sind all die Listen, auf denen die Namen stehen, die wir vergessen haben. Auch an den Häusern und auf den Bürgersteigen stehen die Namen der Toten. Heute ist Gorbatschow gestorben und auch er hat gesagt: das schlimmste, was er damals vorgefunden hat, waren alle diese Listen, auf denen die Namen standen, die wir vergessen sollen. Und die hat der Maler gemalt. Der Flüchtling liest einen Brief. Darin steht seine ABSCHIEBUNG. Es gibt auch ein Bild mit dem Brandenburger Tor, das abgerissen wurde. Auf dem Bild sehen Sie alle die Bilder, die verboten wurden. Das macht etwas mit uns. Bilder kann man verbieten, MAUTE LUSIK nicht. Sie sehen ja, ich spiele hier, und niemand widerspricht. Der Musik kann man nicht widersprechen. Die ist uns über, obwohl wir sie gemacht haben. Sehen Sie, da kommen immer neue Leute herein, die eigentlich schon tot sein müssten, die auf den Listen standen, die auf den Bildern gemalt waren. Aber sie leben noch, sie kommen hier hereinspaziert, das Eis noch in der Hand, die ihnen abfallen müsste, und fotografieren sich mit ihren Telefonen. Und schicken die Fotos gleich in die Welt. Und die Welt ist heute nur noch der Kommentar der Telefone, und der Zeitungen, und der Fernseher, und der Computer. Aber ich sitze hier jeden Tag an dem Klavier. Und die Steine in den Mauern schreien und ich antworte. Ich schiebe die dicke Kunstlederdecke weg, klappe den Flügel auf, und spiele so, wie die Welt ist, so wieder Maler mit den angenagelten Bildern sie auch gesehen hat. Ich höre sie, die Welt, nicht die Kommentare. Wer hört schon noch die Welt, wer sieht schon noch die Welt? Jeder Blinde tastet besser, als der Rest sieht. Das macht etwas mit uns. Der Flüchtling betrachtet den Globus und weiß nicht, wohin. Der Globus betrachtet den Flüchtling und weiß nicht, wohin mit ihm. Welt und Flüchtling, das passt nicht zusammen, also schieben wir sie ab, lassen wir sie auf dem Mittelmeer ertrinken, schenken wir sie den libyschen Sklavenhändlern oder der Putin-Armee, die braucht dringend Verstärkung. Aber sie wird zu Weihnachten untergehen. Bis Weihnachten werden wir frieren, aber dann wird alles besser. Dann wird alles besser. Das macht etwas mit uns. Uns verfolgen die Phrasen wie früher die Häscher des Herodes,  als wir zwei Jahre alt waren. Herodes metzelte die Babys, Hitler den Maler, der dort angenagelt ist, und Putin metzelt die Ukrainer. Aber er wird verlieren wie Falkenhayn. Kennen Sie Falkenhayn? Er stand in Verdun, da wo jetzt eine Million Kreuze stehen, und schlachtete eine Million Soldaten. Da kommt Putin nicht mit. Aber verlieren wird er wie Falkenhayn. Und wie Hitler und wie die alle heißen. Oh, losers, ich habe eure Namen vergessen! Die Namen gehören auf die Listen der Namen, die wir vergessen sollten. Das macht etwas mit uns. Früher war der Dom zum Beten da. Aber seit keiner mehr beten will, wird hier alles abgestellt. Da sehen Sie die angenagelten Bilder, im Turm sind Faces aus Tansania gefangen. Das ist gut, aber niemand weiß, warum, niemand weiß, wohin. Und dann das Kinderspielzeug. Müssen die Kinder hier spielen? Gibt es überhaupt noch Kinder? Fahren nicht die meisten Menschen schon ihre Hunde spazieren auf ihren Fahrradanhängern? Der tote Maler, wenn er noch leben würde, würde das malen: die Menschen auf den Fahrrädern und in den Anhängern die staunenden Hunde. Aber er stand auf der Liste. Ich muss jetzt weiter spielen. Einer muss weiter spielen oder wenigstens malen. Wenn sie nur das Brandenburger Tor hätten stehen lassen. Aber es ist kaputt für immer. Was macht das mit uns? Was macht das mit uns? Was machen wir mit uns? Was machen wir mit uns?   Die Steine in den Mauern werden schreien und niemand antwortet.  

WAS TUN?

In einem kleinen Dorf wohnte ein Mädchen, das immer eine rote Kappe trug. Es wurde deshalb Rotkäppchen genannt. Eines Tages sagte die Mutter zu dem Mädchen: ‚Rotkäppchen, die Großmutter ist sehr krank und ich habe keine Zeit. Gehe du zu ihr und besuche sie. Ich packe Kuchen und Wein ein, damit die Großmutter wieder zu Kräften kommt.‘

Die Großmutter wohnte aber in einem Wald, drei Kilometer von dem Dorf entfernt. Deshalb sagte die Mutter: ‚Rotkäppchen, du weißt, dass in dem Wald auch der böse Wolf wohnt. Wenn du den Weg verlässt, wird er dich fressen.‘ Rotkäppchen versprach aufzupassen. Aber in Wirklichkeit hatte es keine Angst, denn es ging gerne durch den Wald und hatte dort noch nie einen Wolf gesehen.

Als nun Rotkäppchen im Wald war, bemerkte es dort schöne Blumen. Rotkäppchen wollte für die Großmutter Blumen mitnehmen, denn die Großmutter liebte Blumen über alles und arbeitete gerne in ihrem Garten. Aber erst einmal musste sie wieder gesund werden.

Rotkäppchen pflückte Blumen, da hörte sie eine tiefe Stimme. War das nicht ein Wolf? Und stand neben ihm nicht eine Ziege?

Der Wolf sagte zu der Ziege: ‚Ich bin nicht böse. Ich fresse nie dein Gras. Es wäre also nur gerecht, wenn du mir ohne Gewalt dein Fleisch geben würdest.‘*

Die Ziege antwortete: ‚Nein. Man kann nicht das Leben gegen die Freiheit tauschen. Ich habe Hörner und ich habe Hufe. Ich werde solange gegen dich kämpfen, bis du verschwindest.‘

Rotkäppchen nahm schnell den Korb mit dem Kuchen und dem Wein und ihre Blumen und rannte so schnell sie konnte zu dem kleinen Haus ihrer Großmutter.

‚Großmutter‘, rief sie, ‚ich habe den Wolf gesehen und gehört. Er ist nicht nur böse, sondern auch dumm. Er wollte die Ziege überreden, sich fressen zu lassen.‘

Der Großmutter ging es schon viel besser. Sie setzte sich im Bett auf und sagte: ‚Rotkäppchen, wenn du allen Kindern der Welt auf Facebook schreibst, was du heute erlebt hast, dann wird es Frieden für alle Menschen und für alle Zeit geben. Kein Mensch ist besser als der andere, kein Land ist schöner als das andere. Niemand darf lügen, um sich einen Vorteil zu verschaffen.‘ Und so ging Rotkäppchen nach Hause und schrieb in ihrem Computer: WAS DU NICHT WILLST, DASS MAN DIR TU, DAS FÜG AUCH KEINEM ANDERN ZU**. Und sie schickte es an alle Kinder der Welt. Und als die erwachsen waren, gab es nur noch Frieden.

*nach einer Idee von Karel Čapek

**Goldene Regel

Що робити або Червона Шапочка в часи російсько-української війни

В одному маленькому селі жила дівчинка, яка завжди носила червону шапочку. Саме тому назвали її Червона Шапочка. Одного дня мати до неї каже: «Червона Шапочко, твоя бабуся захворіла, а у мене зовсім немає часу. Піди, будь ласка, та провідай її. Я спакую тобі печиво та вина, щоб бабуся швидше одужала.

Але бабуся жила у лісі, що за три кілометри від села, тому мати наголосила: «Червона Шапочко, ти ж знаєш, що у лісі живе злий Вовк. Якщо ти зіб’єшся зі шляху, він з’їсть тебе.» Червона Шапочка пообіцяла вважати на себе, але насправді вона не боялася, тому що дуже любила гуляти в лісі і ще жодного разу не зустріла там вовка.

Коли вже Червона Шапочка була у лісі, вона помітила багато квітів. Вона захотіла зірвати їх для бабусі, адже бабуся понад усе на світі любила квіти та працювати в своєму садку, тільки для цього їй потрібно було спочатку одужати.

Червона Шапочка рвала квіти, аж раптом почула голос. Чи це не був Вовк? І чи це не Коза стоїть поруч з ним?

Вовк саме промовляв до Кози: «Я не злий. Я не з’їм твоєї трави. Але це буде по-чесному, якщо ти без жодного пручання віддаси мені своє м’ясо.»*

Коза відповіла: «Ні. Не можна проміняти своє життя на свободу. У мене є роги та копита і я буду боротись з тобою доти, доки ти не зникнеш.»

Червона Шапочка схопила швиденько свою корзинку з печивом та вином, квіти та побігла щодуху до маленького будиночку своєї бабусі.

«Бабусю!», – закричала вона, – «Я бачила та чула Вовка. Він не лише злий, а ще й дурний! Він хотів вмовити Козу, щоб та дозволила себе з’їсти.»

Бабуся вже почувала себе краще. Вона припіднялася з ліжка і промовила:

«Червона Шапочко, якщо ти всім дітям на світі напишеш в Фейсбуці, що ти сьогодні пережила, тоді запанує на світі мир на всі часи. Жодна людина не є краща за іншу і жодна країна не є гарніша ніж інша. Ніхто не може брехати заради своєї вигоди.»

Тому Червона Шапочка пішла додому і написала в своєму комп’ютері: ЧОГО НЕ ХОЧЕШ, ЩОБ ЧИНИЛИ ТОБІ, НЕ ЧИНИ ІНШОМУ.** Вона вислала це всім дітям на світі і коли вона вже була дорослою, на світі панував Мир.

*за ідеєю Карла Чапека

** Золоті Правила

Переклад: Аліна-Марія Сенюх

EIN ETIKETT IST KEIN ARGUMENT

Die Landrätin der Uckermark meint nun auch, dass ihre Stunde gekommen sei, um in der großen Weltpolitik mitzureden. Das wäre auch schön und wünschenswert, wenn sie etwas mitzuteilen hätte. Stattdessen glaubt sie, dass die Ukraine den Krieg nicht gewinnen kann und wir deshalb die Sanktionen gegen Russland lockern sollten. Der wahre Grund dafür ist natürlich, dass die PCK-Raffinerie möglicherweise am 1. Januar des nächsten Jahres schließen muss oder jedenfalls in eine tiefe Krise gerät. Aber sind wir nicht alle in großen Krisen?

Man kann die Vergangenheit leider nicht korrigieren. Alle vorhergehenden Regierungen haben von Klimawandel geredet, aber weiter billiges Gas und Öl, also fossile Brennstoffe, aus Russland gekauft. Die Ironie der Geschichte will es, dass nun ausgerechnet ein grüner Wirtschaftsminister, dessen Namen die Landrätin nicht oder falsch kennt,  die festgefahrene Karre aus dem Dreck  ziehen muss. In der letzten rot-grünen Koalition waren es Kriegseinsätze der NATO zugunsten des unterlegenen Bosniens und des unterlegenen Kosovos, beides kleine Länder ohne wirkliche Armee, die von einem übermächtig scheinenden Gegner geschluckt werden sollten. Schon damals zeigten die Grünen, dass sie eher Realisten als Ideologen sind. Trotzdem wird dieser Einsatz heute von Linken und Rechten, die ich zusammen gerne Nationalbolschewisten nenne, als völkerrechtswidrig bezeichnet und von Putin gar als Rechtfertigung für seinen Krieg gegen die Ukraine missbraucht.

Niemand weiß, wie der Krieg des russischen Goliath gegen den ukrainischen David ausgeht, auch wenn wir die schöne biblische Geschichte vom schlauen kleinen Hirtenjungen David zitieren, der gegen das übermächtige Monster locker – sozusagen pfeifend – siegt. Er war siebzehn Jahre alt. Russland verschießt jeden Tag 3000 Tonnen Munition und kommt zentimeterweise vorwärts, wenn überhaupt. In Kiew normalisiert sich das Leben, mit der Ukraine verbündete oder befreundete Politiker geben sich die Klinke in die Hand. Im Süden ist zwar Mariuopol zerstört, aber sieht so ein Sieg aus? Cherson und Odessa dagegen bleiben fest in ukrainischer Hand. Beinahe noch düsterer für das goliathische Monster sieht es im Osten aus, in den von den Separatisten bisher schon gehaltenen Bezirken Luhansk und Donezk. Donezk war einst das Ruhrgebiet der Sowjetunion, der Stolz einer Industrienation. Jetzt wird da noch nicht einmal mehr die Post zugestellt. Das Zarenreich und die Sowjetunion haben eine höchst perfide Russifizierung aller Gebiete betrieben, und ihr Erbe Putin behauptet nun, überall würden die Russen verfolgt. Er behauptet auch, im westlichen Europa seien Tolstoi und Tschaikowski verboten. Er weiß nicht, wieviel Russen allein in Berlin und übrigens auch in Prenzlau leben. Wir sagen Russen, aber in Wirklichkeit sind es Russen, Ukrainer, Belorussen, Russlanddeutsche, russische Juden und neuerdings auch russische IT-Fachleute. Wir haben schon immer zu allen Völkern der Sowjetunion und des Zarenreiches ‚Russen’ gesagt und sind so auch Opfer der besonderen russischen Kolonialpolitik geworden.

China beobachtet diesen Krieg wohl etwas genauer als die uckermärkische Landrätin und ihre Berater und Beraterinnen. Denn auch China hat ein kleines Nachbarland, das es gerne besitzen möchte. Auch hier geht es weniger um die Einwohner und um den Nationalismus, sondern mehr um den demokratischen Output und die Wirtschaft. Denn witzigerweise ist das winzige Taiwan der weltmarktführende Hersteller von semiconductors und das riesige und scheinbar mächtige China, die angebliche Volksrepublik, ist der Hauptabnehmer dieser Chips. Eine Großmacht ist nur, wer mehr herstellt, als er verbrauchen kann. Das sollten sich China und Russland, die – jeder auf seine Weise – von der Weltherrschaft träumen, in Großbuchstaben an die Wände nageln: GROSSMACHT IST NUR WER MEHR HERSTELLT ALS ER VERBRAUCHEN KANN. Aber da stehen schon ganz andere Sprüche. Sollte China also Taiwan angreifen, so wird es einen vielleicht sogar ähnlichen asymmetrischen Krieg geben, den der kleinere durch die bessere Taktik und Strategie gewinnen kann. Der größere aber kann nicht weiterexistieren, weil ihm das KNOWHOW fehlt, das heute in den Microteilen steckt. Und der riesengroße taiwanesische Chiphersteller kann nicht einfach weiterherstellen, wie weiland SINGER seine Nähmaschinen. Taiwan ist selbst durchdigitalisiert und bricht in einem Krieg zusammen wie sein Gegner. Das ist ein schönes Dilemma. Genau betrachtet steckt dieses Dilemma in jedem Krieg, und das hat einst der sagenhafte König Pyrrhus entdeckt: NOCH SO EIN SIEG UND WIR SIND VERLOREN. Wenigstens wir hier in unserem schönen Deutschland sollten das wissen: Stellen wir uns einmal vor, unsere dummen und spielsüchtigen Großeltern hätten die beiden Weltkriege gewonnen! Sie haben sie zum Glück verzockt. Das Böse kann nicht siegen oder – wenigstens – hat es noch nie gewonnen. Auf lange Sicht siegt immer das Gute (und wir sind tot, wie Lord Keynes bemerkte).  

Bei bisher noch allen Krisen wurden die Verarmung Deutschlands und der Bürgerkrieg vorausgesagt. So auch in diesem Interview* der uckermärkischen Landrätin. Auch wenn es schwer fällt, versagen wir uns jede Etikettierung, sowohl der Landrätin als auch der winzigen Zeitung. Wir bleiben lieber im Reich der Argumente. In Deutschland hat es bisher weder einen Bürgerkrieg noch aggressive oder illegale Streiks gegeben. Der einzige gelungene Generalstreik fand am Tag der Beerdigung des von Rechtsextremisten ermordeten deutschen Außenministers und Milliardärs – er besaß den damals weltgrößten Elektrokonzern – statt. Wir sind in Deutschland eher staats- als gott- oder gewaltgläubig. Selbst Verbrechen begehen wir gern und gutgelaunt, wenn der Staat sie uns befiehlt. Aber jetzt haben wir eine Demokratie, einen Rechtsstaat, eine nie dagewesene Transparenz und vor allem einen unvorstellbar großen Reichtum. Das Bruttoinlandprodukt beträgt bei uns knapp vier Billionen $, pro Kopf sind das knapp 46.000 $ (Vergleich China 10.500 USD, Russland 11.500 USD**). Bis zum Bürgerkrieg und bis zur Verarmung ist es also noch ein Weilchen hin. Das will alles erst einmal aufgegessen sein.

In Prenzlau gab es einst einen Landrat, Joachim von Winterfeld, der anschließend noch eine mittelgroße Karriere machte, so dass in Berlin eine Straße und ein Platz nach ihm benannt wurden,  und der nebenbei sein Gut und seine Dörfer pflegte und verwaltete. Eines Tages stellte er fest, dass die Stimmung im Kreis schlecht sei (die heutige Landrätin: wie dünnhäutig, deprimiert oder aggressiv unsere Bürger zunehmend werden‘). Da ordnete er an, dass vor jedem Haus ein Vorgarten angelegt werden sollte. Und da die Menschen nicht genug Geld für solche zusätzlichen Ausgaben hatten, stellte er in seinen Dörfern die Pflanzen und Setzlinge zur Verfügung.

So gesehen ist die gegenwärtige Landrätin weit von einer Straßenbenennung entfernt. Vielleicht merkt sie sich bis zu ihrer Rente den Namen des jetzigen Wirtschaftsministers, denn der bekommt ganz sicher eine Straße.

*Nordkurier, Ausgabe Uckermark, 15.08.2022

**beim HDI sieht es noch schlechter für die selbst ernannten Riesen aus: während das kleine Deutschland, das bald verarmt, Platz 6 hält, liegt Russland weit abgeschlagen auf Platz 53, China außer Sichtweite auf Platz 85

DEJA VU

Vor ein paar Tagen rief mich unser Pfarrer an und fragte, ob ich am Sonntag im Gottesdienst Orgel spielen könnte. Er selbst und sein neuester Aushilfsorganist seien im Urlaub. Ich spielte, aber leider wieder einmal frisch, aber nicht perfekt. Während der Predigt, die mich nicht besonders berührte, weil ich nicht glaube, dass Mose oder Yesus als historische Personen fassbar und demzufolge gültig interpretierbar seien, vielmehr ist nur ihre Rolle im Menschheitsdenken interessant: als Begründer des Monotheismus und der Menschlichkeit, der Abkehr von Rache und Strafe, während dieser Predigt stand ich an der Balustrade der Orgelempore, zählte die Gottesdienstbesucher, es waren dreizehn, und sah in der letzten Reihe eine Frau, die auf dem Liedblatt mitschrieb. Schrieb sie die Predigt mit, machte sie sich Gedanken wie ich, etwa dass die Wendung des Menschen zur Menschlichkeit zwar durch Reformation und Buchdruck, dann durch Aufklärung* und Demokratie verstärkt, schließlich durch den Sozialstaat unterstützt worden, aber immer noch weit davon entfernt ist, verstanden und verwirklicht zu werden? Wer liebt schon seine Feinde? Wer geht – genötigt – zwei Meilen statt einer? Wer wartet mit seiner Empörung auf den fehlerlosen ersten Steinwerfer?

Die gutgekleidete, etwas mehr als mittelalte Frau in der letzten Kirchenbank – ich sah sie leider  nur von oben – schrieb mit einem Bleistift auf das Liedblatt. Und plötzlich sprang die Erinnerung fast sechzig Jahre zurück: als ich auf einer letzten Kirchenbank gesessen hatte und für einen Zuträger der Stasi** gehalten worden war.

Auf einem Orgelkurs im Havelberger Dom hatte ich eine Pfarrerstochter kennengelernt, die ich besuchen wollte. Ich glaube heute nicht, dass einer von uns beiden an eine ernsthafte Beziehung dachte. Eher war es ein Ausprobieren, ein Überprüfen der Erzählungen in der jeweiligen Wirklichkeit. Ich fuhr tatsächlich zu ihr, aber sie nicht zu mir. Am Havelberger Dom wirkte damals Kirchenmusikdirektor Herbert Basche, der eigentlich für die Kirchenmusikschule der Bekennenden Kirche in Stettin-Finkenwalde vorgesehen war. Durch den Krieg und durch – vielleicht – Intrigen, vielleicht aber auch durch unterschiedliche Talente und Interessen wurde diese Kirchenmusikschule nach dem Krieg nach Greifswald verlegt und von Hans Pflugbeil und seiner Frau Annelise aufgebaut und geleitet. Ihr Sohn war Physiker und dann Bürgerrechtler. Hans Pflugbeil hatte im Krieg durch eine schwere Verwundung den rechten Arm verloren. Er hat sich dann das gesamte Orgelrepertoire für die linke Hand und das Pedal angeeignet, so dass der Laie im Greifswalder Dom keinen oder kaum einen Unterschied hörte. Insofern ist er ein spätes Pendent zu Paul Wittgenstein, der allerdings in seinem doppelten Irrtum begeistert in den ersten Weltkrieg gezogen war. Pflugbeil ging gezwungen in den zweiten. Um diesem möglichen Schicksal zu entgehen, hat sich der Berliner Domkantor und bedeutende Komponist Hugo Distler in seiner Dienstwohnung in der Berliner Bauhofstraße mit  Gas das Leben genommen. Wittgenstein stammte aus einer Wiener Milliardärs-Familie und war der Bruder des Musik- und Philosophiegenies Ludwig Wittgenstein, der in seinem Realschuljahr in Linz auf einen anderen Knaben getroffen war, der wie er ganze Opern pfeifen konnte: Adolf Hitler. Die Legende geht, dass er aus dieser Knabenfeindschaft für sich den Auftrag generierte, den Wehrmachtscode der ENIGMAMASCHINE (enigMAMAschine) zu knacken. Sein Bruder Paul hingegen hat aus einer Mischung von Verbitterung und Trotz ein Riesenrepertoire für die linke Hand geschaffen. Er bezahlte bedeutende Komponisten für Werke, die nur für ihn und seine linke Hand bestimmt waren, das berühmteste Beispiel ist Ravels Klavierkonzert D-Dur, das gigantisch-virtuos und düster-tragisch zugleich ist.

Herbert Basche dagegen bekam mit dem Havelberger Dom ein – auch historisch – bedeutsames romanisch-romantisches Ensemble mit übergroßer Strahlkraft, aber mit der D-Kirchenmusiker Ausbildung die allerletzten Brosamen. Er tröstete sich mit imposanten improvisierten Choralvorspielen und Bachinterpretationen, bei denen ich ihm die Noten blättern durfte. Er konnte mich nicht besonders gut leiden, aber niemand anderes in unserem Kurs war als page turner geeignet. Leider habe ich auch nicht besonders viel gelernt, aber das lag weder an ihm noch an unserem gespannten Verhältnis, sondern lediglich an meinem Talentmangel.

Dagegen hat mich das spätromanische Bauensemble, vor allem aber der wuchtige und riesige Dom selbst, berührt und eingenommen. Noch heute ist der Kreuzgang für mich eine Metapher für Gedankengang. Noch heute erstarre ich in Ehrfurcht vor der Baukunst und Hocherhabenheit der drei Schiffe, in denen die sich verabschiedende Romanik mit der frischen Gotik streitet. Der Lettner ist für mich heute noch unerreichte Kunstfertig- und Symbolhaftigkeit. Viel später lernte ich die Werke der besten Berliner Akustikarchitekten August Orth und Hans Scharoun kennen, hier aber gab es namenlos himmelsgleiche Akustik. Die Orgel von Gottlieb Scholtze, dem Wagnerschüler aus Neuruppin, erschien mir unter den Händen des von mir sehr verehrten Meisters nicht nur als unerreicht, sondern als unerreichbar. Aber auch der Blick über die kleine, damals baulich etwas verkommene Stadt, die Insellage, die Mittelalterstruktur, die damals schon überflüssige Stadtkirche, deren Scholtze-Orgel jetzt endlich, in diesem Jahr, restauriert worden ist, all das hat mir eine Idylle hergezaubert, die auch durch die Schelte des Meisters DU MUSST DIE TASTE EINFACH DRÜCKEN nicht beschädigt werden konnte. Sie hält noch heute vor und jedes Jahr einmal fahre ich nach Havelberg.

In das Dorf, in dem die Pfarrerstochter lebte, kam ich an einem Passionssonntag früh, aber zu spät, um den Beginn des Gottesdienstes mitzuerleben. Deshalb war ich auch nicht dort. Die Kirchentür knarrte und quietschte. Alle drehten sich nach mir um. Anfang der 60er Jahre wurden im Westen blaue Mäntel aus Nylon Mode, von uns NATO-PLANE genannt. Da unsere weitläufige Westverwandtschaft nur standardisierte Lebensmittelpakete schickte, blieb mir nichts anderes übrig, als meine Mutter um das ostdeutsche Gegenstück, einen DEDERON-MANTEL zu bitten. Mit dem rauschte ich in die schöne kleine Dorfkirche. An den Namen des Dorfes kann ich mich nicht erinnern. Sorbische Frauen sangen ein furchtbar trauriges Passionslied, das sechzehn Strophen hatte. Viel später, nach der Wiedervereinigung, hörte ich in der Sebastiankirche im Berliner Wedding ein ganz ähnliches kroatisches Lied. Das sangen die Frauen aber nicht nur wegen Yesus, sondern vor allem auch, weil ihr Pfarrer, von dem, es hieß, dass er sehr reich sei, wieder einmal betrunken war und nicht kommen konnte. Die Frauen warteten kurzweilig mit dem überlangen Lied.

Damals in dem Dorf bei Cottbus hat das ellenlange Lied bei mir eine kurze und leider nicht sehr intensive sorbische Phase ausgelöst. Vielleicht hatte sie ihren Ursprung schon in Lübbenau. Die Pfarrerstochter freute sich nach dem Gottesdienst, dass ich da war. Es war auch wohl eine ziemliche logistische Leistung, am Sonntagmorgen vom nördlichen Ostberliner Rand in den Spreewald zu gelangen. Ich war zum Mittag eingeladen und der Pfarrer erzählte, wie schnell und intensiv er vor dem vermeintlichen Stasispitzel in der letzten Reihe gewarnt worden war. Wir waren amüsiert und erleichtert.

Erst jetzt, durch das harmlose Erlebnis in der Brüssower Kirche, versuchte ich herauszufinden, in welchem Dorf ein Pfarrer G. amtierte. Es war nicht möglich. Stattdessen ergab sich, dass der Bruder meiner Pfarrerstochter später nicht nur selber Pfarrer, sondern ein bekannter Bürgerrechtler wurde, der zusammen mit Markus Meckel im Pfarrhaus zu Schwante die SPD-Ost neu geründete. Meckel und Pflugbeil wurden Minister, G. Fraktionsvorsitzender.

Nur der Havelberger Basche ist aus dem Leben und den Annalen verschwunden. Noch nicht einmal eine von der Ost-CDU 1983 herausgegebene Broschüre über die Kirchenmusik in der DDR erwähnt ihn. Nur auf einer CD der ehemaligen Berliner Domorganistin Martina Pohl findet sich ein Werk, das nur in einer handschriftlichen Version von Herbert Basche existiert. Und so zeigt sich, dass jede biografische Notiz zugleich auch ein Denkmal für andere Menschen ist.  

*das englische Wort für Aufklärung enlightenment zieht die gerade Linie zurück bis zur Sonnenanbetung Echnatons und Tutenchamuns, die beide, Vater und Sohn , auch ein schönes Sinnbild für das Auf und Ab, das Hin und Her, das Erscheinen und Verschwinden der alten und der neuen Götter und Welten sind. Damals schon!

**Staatssicherheitsdienst der DDR

KUTUSOW. EIN NACHRUF

2017 sprach ein russischer Generalmajor namens Roman Kutusow zu Kadetten einer Militärschule, von denen es in Russland sehr viele gibt. Es komme, sagte der General den Kindern und Jugendlichen, letztlich darauf an, den Gegner zu vernichten. Das ist die auch einstmals im Warschauer Pakt übliche Formulierung gewesen, den möglichen Kriegsverlauf zu projizieren: der Gegner, die NATO, überfällt den Warschauer Pakt, der weicht kurz zurück, um dann aber in einer gewaltigen gemeinsamen Welle ‚den Gegner auf dessen Territorium zu vernichten‘. So war der Plan, aber bekanntlich hat die NATO weder den Warschauer Pakt noch eines seiner Mitgliedsländer überfallen. Die Sowjetunion brach zusammen, was einige wenige als größte geopolitische Katastrophe des Jahrhunderts ansahen, andere dagegen als Befreiung, Erlösung und Herausforderung zu einem demokratischen  Neubeginn empfanden. Der legendäre Generalfeldmarschall Kutusow, dessen Heer in der Schlacht von Borodinio von knapp 600.000 Mann auf 81.000 Soldaten schrumpfte, wurde von seinen Zeitgenossen kritisiert und verspottet, von der Sowjetgeschichtsschreibung dagegen glorifiziert. Dies erinnert an den Ukrainekrieg, den Putin am 24. Februar, wie man früher sagte, vom Zaun brach, und der aus einer unendlichen Reihe von Schandtaten, aber auch eben aus unzähligen Lügen besteht. Jener schneidige Generalmajor Roman Kutusow fiel als zehnter General der russischen Seite. Das ist insofern merkwürdig, als die meisten dieser zehn Führer durch einfache Funkortung der Ukrainer ausfindig gemacht wurden und dann starben. Aber warum sind so viele Generäle so weit vorn, dass es für die ukrainische Armee doch wohl eher leicht zu sein scheint, sie zu  Fall zu bringen? Der Verlust der Generäle mag nicht so schlimm sein, weil es in einer derart militarisierten  Gesellschaft wie der russischen kein Problem ist, neue Generäle zu benennen. Wenn Generäle so weit nach vorne beordert werden, ist das ein Zeichen von taktischer und Motivationsschwäche. In Moskau stößt Putin wilde Drohungen aus, aber in der Ukraine, die man offensichtlich in wenigen Tagen besiegt haben wollte, wird alle vier Wochen die Strategie geändert, ohne dass man auch nur irgendein Ziel erreicht. Erst ging es gegen Kiew, wir erinnern uns alle an den 60 km langen Konvoi, der die Einnahme von Kiew flankieren sollte. Er ist spurlos im Schrott verschwunden, ebenso wie bislang weit über 1800 Panzer. Dann ging es gegen den Süden. Mariupol, eine mittelgroße Stadt nahe der russischen Grenze, wurde in zwölf (!) Wochen dadurch eingenommen, dass es vollständig zerstört wurde. Nun geht es gegen den Osten der Ukraine, der ohnehin schon von den Separatisten beherrscht wurde. Diese Gebiete (Luhansk und Donezk) wurden schon seit 2014 als russisches Territorium angesehen, so dass man heute in echt Trumpscher Weise Opfer und Täter umkehrt und behauptet, der Krieg hätte damit begonnen, dass das ‚Kiewer Regime‘ Russland  –  also die Separatistengebiete – angegriffen habe. Wenn es ganz schlimm aussieht, droht Putin wieder einmal mit dem Einsatz von Atomwaffen und seine Apologeten innerhalb und außerhalb Russlands fangen schon einmal an zu zittern. Wir aber ahnen: die Atomwaffen sind etwa in dem Zustand wie die Luftwaffe, die Panzer und die demotivierten Soldaten, von den toten Generälen ganz zu schweigen.

Aber vielleicht ist alles ganz anders. Dafür spricht das merkwürdige Verhalten zweier Vasallen des zaristischen Despoten, Lukaschenko, Belarus, und Toqajew, Kasachstan. Obwohl sich beide Hilfe aus Moskau erbaten und auch erhielten, um ihre wankenden Throne ein letztes Mal zu stabilisieren, haben sie sich erstaunlicherweise verbal von Putin verabschiedet. Lukaschenko meinte zu Beginn des Krieges, dass dann jetzt ja wohl jeder seine Grenzen bis hin zu Cingiz Khan revidieren kann, und Toqajew sagte auf dem Petersburger Gipfel, dass sein Land keine Separatistenregimes anerkennt. Dies deutet darauf hin, dass Putins Krieg von seinen Vasallen realistischer – als nicht gewinnbar – gesehen wird. Dies deutet – ich gebe zu, dass das reine Spekulation ist – weiter darauf hin, dass es auch in Russland nicht nur eine Opposition gibt, die von Nawalnij über protestierende und sprayende Jugendliche und das Land scharenweise verlassenden Eliten bis hin zu Generälen reicht. Die Generäle hatten jahrelang die Berichte über den Zustand der Armee  gefälscht. Sie haben Dutzende von Millionen Rubel – gut, das ist nicht viel – verschwinden lassen.  Während wir unsere Armee aus pazifistischen und Gründen der Leichtgläubigkeit vernachlässigt haben, haben die russischen Generäle, Manager und Propagandisten mit ihrem demonstrativen Militarismus – Junarmija, Kadettenschulen, kultische Veranstaltungen – ihre Armee verkommen lassen. Es ist weder gelungen, die schändliche und tödliche Tradition der Dedowschtschina zu beseitigen, noch ein stabiles Unteroffizierskorps aufzubauen. Es gibt weder einen effizienten militärisch-industriellen Komplex, noch ist die Entwicklung von Waffen ohne Importe aus dem westlichen Ausland möglich. Putin, der nach über 130 Tagen erfolglosem Krieg dies bemerkt zu haben scheint, verkündet nun, dass er eine effiziente, innovative Wirtschaft als Antwort auf den Schlamassel aufbauen will. Autokraten leben aber immer in verlotterten Systemen, so eigenartig das ist, ihre Wirtschaftsminister heißen Schlendrian und Korruption. Die Wirtschaft endlich zu reformieren, ist eine sehr gute Idee, nur braucht man dafür mindestens zehn Jahre ohne Putin.

Putins Tage sind aber ohnehin gezählt. In einem ukrainischen blog hieß es vor ein paar Tagen: DIE HÖLLE HAT SCHON GEÖFFNET, Schiller schrieb in seinem antityrannischen Drama: MACH DEINE RECHNUNG MIT DEM HIMMEL, VOGT. Es ist möglich, dass er diesen unmöglichen Krieg aus innenpolitischen Gründen begann. So wie Erdoĝan den Putsch der Generäle inszenierte, um von seinem wirtschaftspolitischen Desaster abzulenken, so wollte Putin mit dem Sieg über die Ukraine seine Hybris demonstrieren, die ihn unangreifbar macht. Aber Hybris ist ein Krebsgeschwür. Dieses und seine Krankheit, vielleicht ein weiteres Krebsgeschwür, rasen aufeinander zu und werden noch vor Ende dieses Jahres Putin dorthin katapultieren, wo er hingehört.  Mit ihm enden ein weiteres und hoffentlich letztes Mal Zarismus und Nationalbolschewismus. In hundert Jahren werden die Schulkinder nicht wissen, wer das alte Russland zu Grunde richtete: Rasputin oder Putin.

Tolstoi lässt Kutusow während der Schlacht bei Borodino sinnieren:  ‚Sein in langjähriger Kriegserfahrung geschulter Greisenverstand wusste, dass kein einzelner Mensch Hunderttausende, die um ihr Leben kämpfen, zu lenken vermag und dass der Ausgang einer Schlacht weder durch die Anordnungen der Oberkommandierenden noch durch das Gelände, auf dem die Truppen stehen, noch durch die Anzahl der Kanonen oder der Gefallenen, sondern durch jene unberechenbare Kraft, die man den Geist der Truppe nennt, entschieden wird, und darum beobachtete er diese Kraft und suchte sie zu lenken, soweit das im Bereich seiner Macht stand.‘*

25. 07. 2022

*Lew Graf Tolstoi, Krieg und Frieden, Leipzig 1977, Band 3, S, 308

HAUSMUSIK

1

Ein Paradigmenwechsel ist nur insofern ein Ende, als er auch ein Anfang ist. Alles, was früher galt, gilt auch heute, nur mit einer anderen Wertigkeit, in neuen Zusammenhängen. Man kann mit einem Faustkeil oder mit einem Dreschflegel noch genau das gleiche tun wie früher, nur tut man es jetzt wesentlich seltener. Hegel nannte das Aufgehobensein. Das ist auch eine schöne Erklärung für wahren Konservatismus: die Tradition wahren, das Alte aufheben, ohne das Neue zu verachten. Inzwischen ist aber, da wir erkannt haben, dass jede Innovation auch einen neuen Grad von Zerstörung in die Welt bringt, eine neue Denkgröße hinzugetreten: die Nachhaltigkeit, die relativ neue Vorstellung, dass nicht mehr verbraucht werden kann, als nachwächst oder sich regeneriert. So können wir überlegen, ob der Faustkeil in einer semimobilen Brechanlage funktional gut aufgehoben ist oder ob diese soviel Energie verbraucht, wie durch die neue Straße, die mit den gebrochenen Steinen als Unterbau entsteht, eingespart wird. Dann hätte diese Gleichung eine fette Null als Lösung, das ist der Traum vom Gleichgewicht, aber in Wirklichkeit verbrauchen wir in Deutschland so viel Energie wie ganz Afrika. Das ist ein Verhältnis von achtzig Millionen zu über einer Milliarde Menschen und nicht durch das schlechte Wetter hierzulande hinreichend erklärt. Das ist signifikant nicht nachhaltig, selbst nicht mit Windrädern, denn diese müssen her- und hingestellt und später entsorgt werden, sie beeinträchtigen zudem die Lebensqualität, wenn auch weit weniger als Kohle- oder Kernkraftwerke.

2

Der kleine Kalkant

Die Orgel als Sozialidylle

Erst musste er die Glocken läuten, dann wirkte er als Kalkant an der Sonntagsmusik in seinem Heimatdorf mit. Kalkant, das klingt heute eher nach einem Menschen, der etwas kalkuliert, was wir ja alle tun. Das war aber der Bälgetreter, ein Junge, der vor der Konfirmation, die seine Kindheit im Elternhaus beendete, in der Kirche den Schöpfbalg der Orgel bediente, damit der Lehrer, der auch Kantor war, die Gemeinde begleiten konnte. Vielleicht war der Lehrer auch so gut, dass er jeden Sonntag mit einem Stück konzertierte und brillierte. Zwar brillierte der Kalkant nicht, trotzdem war er unentbehrlich und vergaß auch später nicht, was er da, vielleicht ein bis zwei Jahre lang, getan hatte, wie er glaubte, für Gott, aber, wie wir meinen, auch für die Demokratie, die Kunst und für sein eigenes Verständnis.

Was er nämlich, wenn er diese Tätigkeit beendete, verstanden hatte, war nicht die Musik, die für ihn wahrscheinlich unverständlich bleibende Musiksprache Bachs oder Regers, sondern das Komplementäre seines Tuns: wenn er den Balg nicht trat, konnte der Kantor nicht spielen, spielte der Kantor nicht, musste er auch nicht den Schöpfbalg bewegen. Die Orgeln im frühen neunzehnten Jahrhundert waren alle Meisterwerke der Mechanik. Es gibt einerseits den Weg der Luft von überall durch den Balg in die Pfeife, andererseits den Impuls des Gedankens über die Finger, die Tasten, die Abstrakten ebenfalls zur Pfeife. Dort treffen sich Luftstrom und Gedankenstrom und erzeugen im besten Falle Musik. Die Abhängigkeit des Musikers, der sich als Tastenwanderer und Spintisierer sehen mochte, vom kleinen Jungen, der seine frühe Kraft in den Dienst der Allgemeinheit stellte, diese Abhängigkeit in einem kohärenten System war gegenseitig.

Weil es einem hierarchischen Staats- und Erziehungssystem nicht gelungen ist, den Bälgetreter von der Notwendigkeit und der Sprache dieser Musik zu überzeugen, ist die Luftbeschaffung mechanisiert und die Musiksprache für Bälgetreter krass vereinfacht worden. Zwar gab es auch schon vorher neben der erbauenden die rein unterhaltende Musik und Kunst überhaupt, aber eben daneben und eher als Ausnahme. Die Reproduktionsmöglichkeiten der Kunst und der wachsende Wohlstand führten zur massenhaften Ausbreitung rein unterhaltender Musik, deren Herkunft und Abhängigkeit dem Laien verborgen bleibt, dem Musiker aber eine Selbstverständlichkeit ist: man hört im Jazz den Choral und die Polyphonie, man sieht im Instrumentarium die türkische Militärmusik, zum Beispiel die Percussion, man fühlt in der Klangnachahmung des Synthesizers den Leierkasten und die Kinoorgel. Und die hatte der Dorfschullehrer auch schon erfunden, wenn er den Kindern eine Geschichte erzählte und die dazugehörigen Geräusche auf der Orgel produzierte. Der Lehrer selbst war ein Medium und musste zaubern können.

Aber das sich ergänzende Miteinander bestand nicht freiwillig, sondern in einem autoritären Zwangssystem, auch wenn es den Menschen damals als ganz natürlich und wunderbar erschien. Der Kaiser im Märchen fiel gedanklich mit dem Kaiser in Berlin oder Wien oder Moskau oder Istanbul zusammen!

Man könnte Technik auch immer als den Versuch deuten, menschliche Abhängigkeiten und Kraftverschwendung durch Apparaturen zu ersetzen. Denn der kleine Kalkant war nicht immer zuverlässig, einmal war er krank, das andere mal hatte er seinen komplementären Termin schlicht vergessen, beim dritten Mal musste er zu einem ersten Date hinterm Hollerbusch eilen.

Die heutigen Windmaschinen erzeugen einen gleichmäßig hohen Winddruck. Spezialisten für alte Musik spielen schon wieder an Orgeln, deren Winddruck von speziell geschulten, natürlich nicht mehr halbwüchsigen Kalkanten hergestellt wird. Die heutigen Windmaschinen erzeugen aber auch oft einen Höllenlärm, der gedämpft werden muss oder störend bleibt. Kurz: ein jeder Vorteil bringt auch neue Nachteile mit sich, ein Lehrsatz, den wir allzu gern vergessen. Auch das Fahrrad war einst erfunden worden, um die Abhängigkeit des Menschen vom Pferd zu mildern. In jenem Jahr ohne Sommer, 1816, starben viele Pferde selbst Hungers oder wurden dem Hunger der Menschen geopfert. Während der Freiherr von Drais als Ersatz für das Pferd das Fahrrad ersann, dachte der junge Justus Liebig, später Freiherr von Liebig, schon über organische Chemie und Düngung, zunächst aber über Knallerbsen nach. Ganz sicher arbeitete er auch als kleiner Kalkant.

Was früher als Kraftverschwendung gedeutet wurde, könnte heute in ein Fitnessprogramm einbezogen sein. Man stelle sich diesen Genuss dickleibiger älterer Damen und Herren vor: sie trainieren sich Pfunde ab und wunderbare Musik an, wenn sie als Kalkanten statt als bloße Zuhörer zum Konzert gehen. Danach besteigen sie ein Fahrrad, das nicht durch einen Elektromotor trittverstärkt, sondern durch einen Dynamo ausgenutzt wird. Die so gewonnene Energie wird zuhause ins Mikrokraftwerk eingespeist. Ein Vorgefühl von diesem späteren Glück kann man schon sommers in der Uckermark sehen: so viele Fahrradfahrer eilen zu Orgelkonzerten!

Das gilt alles nur für kleine Dorforgeln und Fahrräder. Die neue Orgel im Dom zu Speyer hat ein offenes 32-Fuß-Register, für das man soviel Wind braucht, dass eine ganze Schulklasse kalkantisch eingesetzt werden müsste. Das Register heißt Contraposaune, sollte aber zu Ehren der Stifter der Orgel, der Fabrikantenfamilie Quandt, in Quandtarde umbenannt werden. Und weil die Familie nicht nur Automobile der Sorte BMW, sondern auch Waffen produzierte und Zwangsarbeiter beschäftigte, regte sich dagegen demokratischer Protest. Alles Gigantomanische ist kontraproduktiv.

Die Dorforgel wäre aber mit ihrem nahen Verwandten, dem Fahrrad, schon von vornherein demokratisch, wenn sie nicht in so undemokratischer Zeit gestanden hätte. Die Renaissance der Dorforgel in Orgelkonzerten und ganzen Konzertsommern ist also nicht nur unserem Dauerwunsch nach Musik geschuldet, sondern auch der Sehnsucht nach einfachen, aber demokratischen Verhältnissen, nach gegenseitigen Abhängigkeiten, die wohltuend solidarisch sind. Viele Menschen glauben sich heute in einer kalten, fremden Welt, weil sie das Solidarsystem genauso wenig wahrnehmen können wie die Winderzeugung beim sommerlichen Orgelkonzert. Eine kleine Orgel ist heute so demokratisch, sozialromantisch, ökologisch und nachhaltig wie ein Fahrrad.

Bleibt nur noch zu hoffen, dass die Glocken von einem einsamen Rentner, der seinen Lebenssinn darin wiederfindet, oder willigen Hartzvieristen, der einen kleinen Teil dessen, was er der Gesellschaft schuldet, zurückzugeben hofft, geläutet werden, und nicht von einer gott- und seelenlosen energieverbrauchenden Maschine.

3

In einem winzigen Dorf in der menschenleeren Uckermark wurde am Reformationstag 2014 eine neue alte Orgel eingeweiht. Früher, im neunzehnten Jahrhundert, war die Orgel eine Schnittstelle zwischen elitärer Kultur und dem so genannten einfachen Volk. Diese Kultur war nicht insofern elitär, als dass sie niemand hätte verstehen können, sondern in dem Sinne, dass sie, mangels Reproduzierbarkeit, selten zu hören und zu sehen war. Wenn sie allerdings stattfand, waren an ihr mehr eingeborene Personen beteiligt als heute. Wir nehmen einmal an, der Dorfschullehrer von Woddow oder Bagemühl hätte sich zum Reformationstag 1814 vorgenommen, einen Bachchoral aufzuführen. Den kräftigsten Schüler hätte er als Kalkanten eingesetzt, die schönsten Stimmen hätten gesungen. Viele hätten mitgemacht. Mädchen denken immer, dass sie gut singen können, Jungen denken meistens, dass sie es nicht können. In einem Bachchoral gibt es keine Hierarchie, alle Stimmen sind gleichverpflichtet, die Orgel muss so laut sein, dass sie jeder hört, aber so leise, dass sie nicht die zarten Stimmen der angeblich groben Dorfkinder übertönt. Wie sollen die Kinder nicht die Schönheit dieses Chorals empfunden haben? Und wie soll das im Gegensatz zur Kirmesmusik gestanden haben, wie man damals Pop nannte? Nur in einer Hierarchie gibt es oben und unten, gut und schlecht. Nach zwei verheerenden Kriegen, die eine Hierarchie der Nationen stützen sollten, brach die internationale Hierarchie zurecht zusammen, aber nicht Freiheit war das Ergebnis, sondern zunächst Chaos. Vandalismus kann nie Freiheit bringen, aber vielleicht doch Befreiung. Gutshäuser wurden angezündet, Kirchen geplündert. Die Gutsherren und die Kirchenfürsten hatten sich zu sehr ins Zerstörungsgeschäft gemischt. Die Pfeifen der Woddower Orgel, wir wissen noch nicht einmal, wer das Werk einst gebaut hatte, wurden, nachdem sie Kindern zum Gespött dienten, als Altmetall verscherbelt und der Rest als Altholz verbrannt. Die Kirche verfiel, ihr Inventar, darunter ein wertvoller mittelalterlicher Altar, wurde ausgelagert. ‚Ach wie flüchtig, ach wie nichtig…‘ ächzten die Fugen des Feldsteinbaus.

Inzwischen war in Berlin durch denselben Krieg zum fünften Mal jene Kirche zerstört worden, die an der ältesten Stelle dieser nicht so sehr alten Stadt gestanden hatte, die Petrikirche. Aber im Gegensatz zu Woddow kam der Krieg nicht als fremdes unverstandenes Schicksal auf Berlin, sondern er war von hier als böses Schicksal für viele Millionen Menschen ausgegangen. Von der ältesten Gemeinde blieb ein Schutthaufen übrig, aber auch Hoffnung in einem Gemeindehaus. Für den weiteren Verfall wird gerne der durch die Diktaturen geförderte Atheismus verantwortlich gemacht, denn das haben wir alle in Hierarchien und Diktaturen gelernt, dass es leichter ist, von äußeren Ursachen auszugehen. In jeder Schuldzuweisung liegt ein falscher Trost. Zum Schluss wurde auch dieses Gemeindehaus verkauft, so dass, nachdem die Petrikirche einst die größte Orgel Berlins besessen hatte (Carl August und Carl Friedrich Buchholz, IV, 60, 1860), die letzte kleine Orgel heimatlos übrig blieb.

Und man möchte beinahe glauben, dass auf wunderbarem Weg sich diese beiden Geschichten trafen. Die Orgel scheint für die gerettete Kirche von Woddow wie gemacht, hier erst entfaltet sie ihren wahren Klang, ungedämpft durch Querelen und Hölzer. Aber für wen wurde die Kirche gerettet? Zunächst wurde sie für die Retter gerettet, die Bewohner des Palindromdorfes und der umliegenden Orte. Sodann aber auch für willkommene Gäste, seien es Verwandte und Bekannte, Touristen und Migranten. Gerade in diesen Dörfern kamen vor dreihundert Jahren französische Glaubensflüchtlinge an, die vielleicht nicht in jedem Falle willkommen waren, zumindest haben sie selbst auch lange gefremdelt, aber dann haben sie sich so sehr integriert und assimiliert, dass ihre Nachkommen heute noch nicht einmal mehr ihre eigenen Namen französisch aussprechen. Die Uckermark ist also auch ein Landstrich der Migration. Vielleicht sollten wir wieder ausrufen, dass Flüchtlinge, aus welchem Grund und Land auch immer, hier jederzeit willkommen sind. Vielleicht wird Woddow dann die erste Moschee mit einer Orgel, noch besser aber: keine Moschee und keine Kirche, sondern ein Haus für alle Menschen haben. Die einen beten – in welchem Kult und in welcher Sprache auch immer – zu Gott, die anderen beraten, was man Gutes für die nächsten Generationen tun kann. Dann hätte die alte Feldsteinkirche von Woddow dieselbe Bestimmung wie der Ort der Petrikirche, wo gerade jetzt ein Tempel der drei monotheistischen oder abrahamitischen Religionen entsteht, das HOUSE OF ONE. Um die Ecke haben übrigens zwei berühmte Pfarrer gewohnt: Gotthold Ephraim Lessing erdachte dort den weisen Nathan und den weisen Saladin und den weisen Tempelherrn, der aus der Hierarchie aussteigt wie aus einem falschen Mantel, und Johann Peter Süßmilch, der übrigens tatsächlich auch Pfarrer an der Petrikirche war, erdachte dort die Statistik als Beschreibung des perfekten göttlichen Wirkens. Er war nicht nur einer der Begründer der Demografie, sondern auch der erste Denker, der Evolution und Glauben zusammenbrachte, ein gottnaher Mathematiker.

4

Die Nachhaltigkeit einer mechanischen Orgel erklärt sich aus ihrem Material, Kiefernholz, Eichenholz, Kupfer, Blei, Zinn und Zink, wie aus ihrer robust mechanischen Bauweise und Zweckbestimmtheit. All das wirkt in Dauerhaftigkeit und Verlässlichkeit zusammen. Eine Orgel besteht sicher hundert und zweihundert, oft dreihundert und vierhundert Jahre. Sie muss allerdings gepflegt und benutzt, gewollt und gemocht sein. Solange die Kirche das Monopol und den Primat im menschlichen Lebenslauf hatte, war also auch die Orgel, wo sie überhaupt vorhanden war, allgegenwärtig. Bis in das Denken und die Sprache hinein war sie zu hören: Kinder wie die Orgelpfeifen, denen man die Flötentöne schon beibringen wird, wo du nicht bist, Herr Organist, da schweigen alle Pfeifen, alle Register ziehen, den Riemen auf die Orgel werfen, die Pfeife spricht oder ist blind, zu der Orgel gehören andere Bälge, draußen orgelt der Wind. Fast jede Orgel hat viele Generationen von Menschen erlebt, fast jede Kirche hat mehrere Generationen Orgeln gehört. Konkurrenz hat die Orgel in dieser Beziehung zum Menschen nur im neunzehnten Jahrhundert vom Harmonium und vom Wohnzimmerklavier bekommen. Ansonsten steht sie einzig da: das Musikinstrument, das die meisten Menschen in vielen Jahrhunderten begleitete. Nachhaltigkeit ist also keineswegs nur eine Materialfrage. Vielmehr kann man von einer Prägung der abendländischen Bevölkerung sprechen. Sprechen die Glocken mehr als Signal, so kann die Orgel Gefühle kommentieren und sogar hinterfragen. Die Symbiose des europäischen Menschen mit der Orgel wies aber auch in die Zukunft:  Jeder kleine aufmerksame Kalkant wusste schon im neunzehnten Jahrhundert, was programmieren ist: eine Melodie oder Harmonie als Software und eine Flöte oder Trompete als grundlegende Hardware zusammenbringen. Dieses Prinzip wurde in der weitgehend verachteten Drehorgel noch weitergeführt, so dass man sagen kann, der Lochstreifen des Zuse-Computers ist die legitime Tochter der Walze von Drehorgeln oder der Lochplatten von anderen mechanisch-automatisierten Instrumenten.

Ist die Musik uns emotional am nächsten, so ist es das Haus rational. Beide treffen sich im Ton. Die mit Abstand meisten Orgeln stehen in Gotteshäusern. Es gab eine ganz kurze Periode von Kinoorgeln, die allerdings schnell durch den Tonfilm abgelöst wurde. Dennoch ist die Verwandtschaft der Kultorgeln in Kirchen und Kinos nicht zu übersehen. Die Allgegenwart des christlichen Kultus erscheint im zwanzigsten Jahrhundert abgelöst durch die Allgegenwart narrativer Medien. Wenn man noch die unvermeidliche Globalisierung hinzudenkt, ist die Angst vor Synkretismus unverständlich bis lächerlich. Alle Reinheitsvorstellungen sind notwendig absurd. Es gibt keine hundert Prozent. Alle Balken brechen nach dem Muster der Eulerschen Knickfälle und alle aufeinandertreffenden Systeme bilden Schnittmengen nach Venn, auch er übrigens ein Pfarrer.

Kultische Häuser sind einerseits Versammlungsstätten, Orte der Gruppen. Andererseits aber zeigt ihre Anzahl, ihr Raum und der Ort, auf dem sie stehen, an, dass sie gleichzeitig Symbole der Transzendenz sind. Jeder Mensch fühlt, dass es eine höhere Kraft als ihn selbst und die Summe von seinesgleichen gibt.  Selbst wenn wir das moralische Gesetz, das Kant unter dem gestirnten Himmel spürte, als Kindchenschema oder gar als biochemische Schutzreaktion der Arterhaltung deuten, ist uns klar, dass dahinter eine höhere Rettungsmacht steht, die sozusagen naturwidrige Wunder vollbringt: der gefürchtete Wolf zieht ein Menschenbaby auf und umgekehrt. Der Wolf löst gleichzeitig Furcht und Nähe aus. So ist auch das Verhältnis von Technik und Leben: sie schließen sich gleichzeitig ein und aus. Heute ist uns erst klar geworden, wer in diesem Wettstreit letztendlich obsiegen wird.  Ganz ähnlich wirken die von uns so genannten Gotteshäuser auf uns, weil wir wollen, dass etwas so auf uns wirkt. Wir spüren Gott, weil wir im gotischen Dom oder in der prächtigen Moschee Gott spüren wollen und sollen, der Architekt baut, was wir alle fühlen. Wir alle fühlen hinter den Feldsteinmauern, die durchaus auch den Regeln von Feuchte und Moder gehorchen, das Übernatürliche.

Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt. Alle Hochrechnungen sind letztlich falsch. Als man von Telepathie träumte, wurde das Telefon erfunden, kurz darauf die die Television. Zwar spinnen wir Luftgespinste (empty visions), wie es in einem der schönsten Lieder heißt, aber selbst der felsenfesteste Fundamentalist wird zugeben müssen, dass doch nicht nur eine erstaunliche Anzahl von leeren Visionen Wirklichkeit wurde, sondern auch auf höchst erstaunlichen Gebieten. So sind wir selbst als Körper hochmobil, aber noch schneller sind unsere Gedanken. In wenigen Sekunden sind sie in Amerika oder Australien. Aber braucht sie dort jemand, fragte schon Samuel Morse?

Je schneller unser Leben zu sein scheint, desto mehr Entschleunigung benötigen wir. Man kann nach Schweden fahren oder in die Feldsteinkirche Woddow gehen, denn alles, was früher galt, gilt auch heute, wenn auch mit einer anderen Wertigkeit.  

5

Also, wozu brauchen wir diese Orgel?

So wie das Kreuz die Zusammenführung zweier Linien ist, so ist die Orgel in gewisser Weise ein Symbol für das Abendland, für alles, was gestern war und von dem wir fürchten, dass es morgen nicht mehr sein wird. Unsere eigene Angst vor der Vergänglichkeit, von der die Fugen des Feldsteinmauerwerks singen, wird in der Bewahrung aufgehoben. Unser Leben hat nur Sinn auf andere Menschen hin, so wie wir von anderen Menschen leben, leben wir auch für sie. Wenn wir also etwas bewahren, tun wir es gerade auch für andere Menschen, Generationen und sogar Nationen.

Und obwohl diese Feldsteinkirche, die nach 69 Jahren Schweigen wieder eine Orgel hat, ein doppeltes und dreifaches Symbol für das Abendland ist, ist sie gerade durch ihre Leere, durch ihr Verwurzeltsein im leeren Raum, in einer Landschaft, die nahezu menschenleer ist, offen für alles Neue, ob es nun Flüchtlinge sind oder elektronische Gedankenstützen und Gefühlsreproduzenten. In der Feldsteinkirche aus dem dreizehnten Jahrhundert wohnte schon immer die Hoffnung und wohnt sie wieder. Nur wenige Touristen eilen durch unser abgelegenes Brüssower Land. Aber wenn in jedem Jahr einer darunter ist, der hier Entschleunigung und Trost findet, Stille und einen neuen Gedanken, dann hat es Sinn gehabt, die Schukeorgel opus 278 aus dem verkauften Petrigemeindesaal der fünfmal zerstörten ältesten Kirche Berlins, dort wo jetzt das HOUSE OF ONE gebaut wird, ganz in der Nähe vom Geburtsort des weisen Nathan,  in das fast schon verlassene Dorf in der menschenleeren Uckermark zu bringen, in die Kirche, die schon aufgegeben und vergessen war, an die Stelle der Orgel, an die sich niemand erinnert…

Jedes Dach ist ein Obdach und jede Melodie ist Heimat.