
ODER
UNGEMUSTERTE DAMENFEINSTRUMPFHOSEN
Man zählt weder die Krisen noch die Glücksphasen, in einem Gedicht habe ich behauptet, dass ich nur ein gutes Jahr hatte, gemeint ist nicht ein Jahr am Stück, sondern die 365 Tage über all die Jahre verteilt. Und wenn man schon die persönlichen Krisen nicht zählt, so erst recht nicht die Krisen des Staates oder der Gesellschaft. In der Kubakrise zum Beispiel stand der dritte Weltkrieg praktisch schon in der Haustür.
Die letzten dreißig Jahre brachten vier tiefe Krisen, den Zusammenbruch des Ostblocks einschließlich der DDR, die Finanzkrise, die Flüchtlingskrise und jetzt die Coronapandemie. In jeder dieser Krisen fanden sich Zeitungsschreiber und Parteiengründer, die die Apokalypse voraussahen und sich quasi von der Welt verabschiedeten, aber nicht ohne ein paar hunderttausend Follower mit in den Strudel zu reißen. Der Begriff des Followers ist heute eher positiv besetzt, man meint damit Anhänger eines Politikers, eines Stars oder irgendeines anderen Charismaten. Man muss zugeben, dass selbst der platteste PEGIDA-Redner ein gewisses Charisma hatte und missbrauchte. Höcke dagegen mit seinem unmännlichen, unschneidigen Leierton überzeugt nur durch seine Tabubrüche. Das gleiche gilt für Gauland und Sarrazin. ‚Endlich traut sich einer zu sagen, dass Deutschland untergehen wird‘: Die Ängste werden durch den Tabubruch aufgehoben. Wenn andere ebenfalls Angst haben, darf ich es auch.
Die andere Seite sind die immer inflationärer auftretenden Nachrichten. Jede Meinung letzter Hinterbänkler der Parlamente wird als Weltneuheit und globale Wichtigkeit in mehreren Nachrichtensendungen oder -kolumnen tausender Massenmedien in die Welt posaunt, bis ein anderer Hinterbänkler das Gegenteil behauptet oder einer von beiden von seiner Parteiführung zurückgepfiffen wird. Jetzt in der Corona-Krise treten selbst die kleinsten Blätter menschenleerer Regionen als Verstärker-Medien derjenigen Regierungskritiker und Scheinepidemiologen auf, die sonst nur über Feuerwehrvergnügen und Goldene Hochzeiten berichten. Dabei wird ständig betont, wie sehr man schon mit einem Bein im Gefängnis steht. Jede Krise ist nicht nur die Stunde der Besserwisser, sondern auch der semiprofessionellen Heulsusen. Ohne Untergang geht kein Kommentar mehr über die Provinzpossenpresse. Niemand glaubt, dass man eine Krise einfach aushalten muss und auch kann. Diese Heulsusen glauben, dass man Krisen mit dem Permanentgeschwafel wegheulen kann. Die Krise wäre halb so schlimm, würde sie nicht durch das inkompetente Dauergeschwätz ständig verstärkt oder ins Gedächtnis zurückkatapultiert.
Das alles ist nicht etwa neu, sondern nur verstärkt. Am 15. Januar 1990 meldete die ‚Aktuelle Kamera‘, das war die Hauptnachrichtensendung des DDR-Staatsfernsehens, dass für UNGEMUSTERTE DAMENFEINSTRUMPFHOSEN am Tag der Sendung die Preise gesenkt würden, und wir vermuten, das das mitteilungswürdig war, weil man glauben sollte, dass damit die Krise der DDR gelöst werden würde. Tatsächlich war sie aber schon gelöst.