HOFFNUNG

THE WORLD IS NOT THY FRIEND NOR THE WORLD’S LAW[1]

Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei, aber die Liebe ist die größte unter ihnen[2].

schnelllangsam
TechnikHeimat
GeldLiebe
KommunikationGlaube
MobilitätNobilität
KulturNatur

Gift und Geld sind zwei schnelle Lösungen für hoffnungslose Situationen. Ein junger Mann will seine Geliebte und sich umbringen – ihm fehlt das Gift. Einem Apotheker fehlt das Geld, aber stattdessen hat er reichlich Zweifel und Skrupel. Romeo, der resignierte junge Mann, sagt in seiner forschen Jugendlichkeit: die Welt ist nicht dein Freund. Freud hat es 1930 allgemeiner beschrieben: das Leben ist zu schwer ohne Schlaf und Traum und Betäubung[3], denn wo die Hoffnung fehlt, regiert das Gift.

Einerseits bemächtigen sich fast alle Ideologien, Philosophien und Religionen der Hoffnung als willfähriges Instrument, andererseits wird sie als vermeintliche Weichspülung verächtlich gemacht. Wer an das Recht des Stärkeren glaubt, braucht keine Hoffnung, denn er glaubt sich schon als Gewinner. Wer sich als Verlierer sieht, braucht meist auch keine Hoffnung, denn er sieht sich schon verloren. Hoffnung ist das Salz in der Suppe.  

Wohl die meisten Bewohner des Anthropozäns setzen auf die schnelle Hoffnung, auf Technik und Geld, auf die Geschwindigkeit der Gedanken und Gestalten und glauben an die Macht der Raserei. Aber es gibt auch die Fraktion der Langsamkeit. Sie setzt auf Heimat und Glaube und glaubt, dass Heimat nicht vergeht und Liebe ewig fortbesteht. Letztlich geht es immer auf die uralte Fehde zwischen Freiheit und Ordnung zurück. Wir erfinden eine Technik nach der anderen, das Rad und den Roboter, um uns die Arbeit zu erleichtern und beschleunigen. Andererseits hängen wir an der inneren und äußeren Heimat, an der Muttersprache wie am Vaterland. So sagen manche: Geh dahin, wo du hingehörst. Sie wollen die Hoffnung auf ein besseres Leben nicht gestatten und hoffen selber auf den Bestand, darauf, dass sich alles gleichbleibt.

Selbst im Sprichwort wird die Hoffnung diskreditiert: hoffen und harren / hält manchen zum Narren. Da ist sie wieder: die Zweiteilung, die Dichotomie, damit die einen gut und richtig sein können, müssen die anderen zu Narren erklärt werden. Wer auf Emanzipation hoffte, war ein Narr wider die Ordnung. Darüber wurde das gesamte neunzehnte und zwanzigste Jahrhundert zur Epoche der Emanzipation der Frauen, der Kinder, der Afrikaner, der Mühseligen und Beladenen, der Kranken, all jener, die anders sind. Es sollte und wird kein Anders mehr geben, nichts anderes heißt ja ALLE MENSCHEN WERDEN BRÜDER[4], wie der Schwesternfreund nicht nur wegen des Reims und wegen des Rhythmus dichtete, nein, auch wegen seiner zeitgemäßen Blindheit.   

‚Vielleicht liegt die Wurzel unserer Misere, der menschlichen Misere, darin, dass wir die ganze Schönheit unseres Lebens opfern, uns von Totems, Tabus, Kreuzen, Blutopfern, Kirchtürmen, Moscheen, Rassen, Armeen, Flaggen und Nationen einsperren lassen, um die Tatsache des Todes zu leugnen, die einzige Tatsache, die wir haben.‘[5] Vielleicht wird alles besser, wenn wir die Hoffnung als Tatsache zulassen und nicht mehr als Narretei abtun.

Ziel der Hoffnung ist das Ende jeder Dichotomie, wenn wir das Sowohlalsauch nicht mehr als Beliebigkeit oder Synkretismus oder als cancel culture verstehen, sondern als Chance, als Synthese, als Komposition, als Kreation unseres Selbst. Ziel der Hoffnung ist es, dass auf unserm Klavier keine Reihe von Tasten als unberührbar gilt.[6]  Ziel der Hoffnung ist es, dass die Hoffnung nicht aufhört.   


[1] William Shakespeare, Romeo und Julia, 51

[2] 1. Brief des Paulus an die Korinther, 1313

[3] Sigmund Freud, Das Unbehagen in der Kultur, Fischer Taschenbuch Frankfurt am Main 1984, S. 73

[4] Friedrich von Schiller, Ode an die Freude, Werke, Cotta 1869, Band 1, S. 53

[5] James Baldwin, Nach der Flut das Feuer, dtv München 2018, S.100

[6] Albert Schweitzer, Die Lehre der Ehrfurcht vor dem Leben, Ostberlin 1963, S. 59