
THE WORLD IS NOT THY FRIEND NOR THE WORLD’S LAW.[1]
GLAUBE, HOFFNUNG, LIEBE DIESE DREI, ABER DIE LIEBE IST DIE GRÖSSTE UNTER IHNEN.[2]
Hoffnung richtet sich auf die Zukunft. Liebe mag größer, Glaube mag tiefer sein, aber Hoffnung ist immer und überall. Wer atmen will, muss hoffen, wer leben will, hat n MB Hoffnung im Backpack. Niemand würde morgens aufstehen ohne die Hoffnung auf einen schönen Tag, den wir uns deswegen fortwährend wünschen. ICH HOFFE, DASS ES DIR GUT GEHT. HABE EINEN SCHÖNEN TAG. Wie Glaube und Liebe kann auch Hoffnung trügen. Als die A 20 projektiert wurde, versprachen philosophische und ökonomische Scharlatane den schnellen wirtschaftlichen Aufschwung Vorpommerns, der Uckermark und Mecklenburgs. Stattdessen fiel die Autobahn erst einmal ins Moor[3]. Wir können nicht in die Zukunft sehen, deshalb brauchen wir Hoffnung, bei aller Liebe und trotz des möglicherweise festen Glaubens.
Ein anderes Tripel ist die berühmte Hegelsche Abstraktion der Abstraktionen von Religion, Philosophie und Kunst[4]. Hätte der gute Hegel, dessen heutige Nachbarin die GROSSE UCKERMÄRKERIN[5] ist, nicht auch daraus wieder eine Hierarchie gemacht, sondern ein Netz, könnten wir gut damit leben. Man kann noch nicht einmal herausfinden, welche der drei Weltsichten zuerst da war: sind sie doch alle drei aus einem Ei entsprungen. Am Anfang, sozusagen nach dem ersten Hunger, war der Schamane, noch nicht mit dem Wort, sondern mit der Tat, mit der Abstraktion. Er heilte und ermutigte, er lehrte das Vordenken und leitete das Nachdenken. Die Betrachtung des Höhlenherzens war der Beginn der Menschlichkeit des frühen Menschen. Aber war es nun Glaube oder war es Liebe oder war es Hoffnung? War es Religion, war es Philosophie als Medizin oder war es Kunst, wie das hölzerne Herz in unserer Kunstkirche hier in Woddow.
Mit der Eisenbahn und dem Automobil kam die Mobilität für das stetig wachsende Volk, die Geschwindigkeit siegte über die Trägheit. Aber es wird oft übersehen, dass durch die Findung des Gutenbergschen Buchdrucks und des Edisonschen Phonographen die Reproduzierbarkeit der Kunst in demselben Maße zugenommen hat wie die Geschwindigkeit der Mobilität. Während es über die vielen Jahrhunderte der Existenz dieser Dorfkirche sozusagen nur eine Kunst und Religion für den Sonntag gab und die Philosophie durch den Mund des Dorfschullehrers sogar meist schwieg, tritt nun neben die Mobilität die Nobilität, der allgemeinmenschliche Adel, die Veredelung des Menschen durch die Allgegenwart und Omnipotenz der Kunst. Wir leben nur noch mit einem Fuß in der schwebeleicht gewordenen Wirklichkeit, das zweite Standbein steht im Nebel der Fiktion, im Würgegriff des Narrativs. Wir leben gleichzeitig in beiden Welten, im Tag und im Traum. Es gab Epen, Sagen und Märchen, Musik und Höhlenmalerei schon immer, aber sie waren nicht allgegenwärtig, sie waren nur Beiwerk, Attribut, Zugabe, während der christlichen Periode auf den Sonntag beschränkt.
Gift und Geld sind zwei schnelle Lösungen für hoffnungslose Situationen. Ein junger Mann will seine Geliebte und sich umbringen – ihm fehlt das Gift. Einem Apotheker fehlt das Geld, aber stattdessen hat er reichlich Zweifel und Skrupel. Romeo, der resignierte junge Mann, sagt in seiner forschen Jugendlichkeit: die Welt ist nicht dein Freund. Freud hat es 1930 weniger allgemein beschrieben: das Leben ist zu schwer ohne Schlaf und Traum und Betäubung[6]. Wo die Hoffnung fehlt, regiert das Gift.
Einerseits bemächtigen sich fast alle Ideologien, Philosophien und Religionen der Hoffnung als eines willfährigen Instruments, andererseits wird sie als vermeintliche Weichspülung verächtlich gemacht. Wer an das Recht des Stärkeren glaubt, braucht keine Hoffnung, denn er glaubt sich schon als Gewinner. Wer sich als Verlierer sieht, braucht meist auch keine Hoffnung, denn er sieht sich schon verloren. Hoffnung ist das Salz in der Suppe.
Wohl die meisten Bewohner des Anthropozäns setzen auf die schnelle Hoffnung, auf Technik und Geld, auf die Geschwindigkeit der Gedanken und Gestalten und glauben an die Macht der Raserei. Aber es gibt auch die Fraktion der Langsamkeit. Sie setzt auf Heimat und Glaube und glaubt, dass Heimat nicht vergeht und Liebe ewig fortbesteht. Letztlich geht es immer auf die uralte Fehde zwischen Freiheit und Ordnung zurück. Wir erfinden eine Technik nach der anderen, das Rad und den Roboter, um uns die Arbeit zu erleichtern und beschleunigen. Andererseits hängen wir an der inneren und äußeren Heimat, an der Muttersprache wie am Vaterland. So sagen manche: Geh dahin, wo du hingehörst. Sie wollen die Hoffnung auf ein besseres Leben nicht gestatten und hoffen selber auf den Bestand, darauf, dass sich alles gleichbleibt.
Selbst im Sprichwort wird die Hoffnung diskreditiert: hoffen und harren / hält manchen zum Narren. Da ist sie wieder: die Zweiteilung, die Dichotomie, damit die einen gut und richtig sein können, müssen die anderen zu Narren erklärt werden. Wer auf Emanzipation hoffte, war ein Narr wider die Ordnung. Darüber wurde das gesamte neunzehnte und zwanzigste Jahrhundert zur Epoche der Emanzipation der Frauen, der Kinder, der Afrikaner, der Mühseligen und Beladenen, der Kranken, all jener, die anders sind. Es sollte und wird kein Anders mehr geben, nichts anderes heißt ja ALLE MENSCHEN WERDEN BRÜDER[7], wie der Schwesternfreund nicht nur wegen des Reims und wegen des Rhythmus dichtete, nein, auch wegen seiner zeitgemäßen Blindheit.
‚Vielleicht liegt die Wurzel unserer Misere, der menschlichen Misere, darin, dass wir die ganze Schönheit unseres Lebens opfern, uns von Totems, Tabus, Kreuzen, Blutopfern, Kirchtürmen, Moscheen, Rassen, Armeen, Flaggen und Nationen einsperren lassen, um die Tatsache des Todes zu leugnen, die einzige Tatsache, die wir haben.‘[8] Vielleicht wird alles besser, wenn wir die Hoffnung als Tatsache zulassen und nicht mehr als Narretei abtun.
Ziel der Hoffnung ist das Ende jeder Dichotomie, wenn wir das Sowohlalsauch nicht mehr als Beliebigkeit oder Synkretismus oder als cancel culture verstehen, sondern als Chance, als Synthese, als Komposition, als Kreation unseres widersprüchlichen Selbst. Ziel der Hoffnung ist es, dass auf unserm Klavier keine Reihe von Tasten als unberührbar gilt.[9] Ziel der Hoffnung ist es, dass die Hoffnung nicht aufhört.
[1] William Shakespeare, Romeo und Julia, 51
[2] Erster Brief des Paulus an die Korinther, 1313
[3] 2017 bei Tribsees, Kosten der Reparatur 180.000.000 €
[4] G.W.F. Hegel, Ästhetik, Ost-Berlin 1984, Bd. 1, S. 108ff.
[5] Bundeskanzlerin a.D. Dr. Angela Merkel in der Straße Am Kupfergraben
[6] Sigmund Freud, Das Unbehagen in der Kultur, Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 1984, S. 73
[7] Friedrich von Schiller, Ode an die Freude, Werke, Cotta 1869, Bd. 1, S. 53
[8] James Baldwin, Nach der Flut das Feuer, dtv München 2018, S.100
[9] Albert Schweitzer, Die Lehre der Ehrfurcht vor dem Leben, Ostberlin 1963, S. 59
Das ist die gesprochene Variante der Diskussionsgrundlage vom 29.06.2025 in der Kunstkirche zu Woddow.
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