NARRENSCHIFFEVERSENKEN

ÜBER DAS NARRENSCHIFF VON CHRISTOPH HEIN

Wer in einer Zeit, in der sich viele Menschen fragen, ob und inwiefern der Osten anders tickt, einen fulminanten Roman über den Osten vorlegt, muss sich nicht wundern, wenn seine Leser Antworten über das Ostspezifikum suchen. Die Republik dieses Romans besteht aus Worthülsen und Opportunisten. Beides sind keine ‚Ostspezifika‘, wahrscheinlich besitzen alle Autokratien und Diktaturen spezielle Sprachen und unspezifische opportunistische Sprecher. Und auch der Untergang dieses kleinen närrischen Landes wundert nicht: alle Diktaturen sind zum Scheitern verurteilt und ihre schuldigen Protagonisten schmoren in der Hölle. Aber was machen die so genannten einfachen Menschen, die Opportunisten, die Mitläufer, die kleinen Funktionäre, die die Rädchen am Laufen hielten? Von ihnen handelt der Roman, leider sind die teils sehr warm und sympathisch gezeichneten Figuren fast alle etwas über dem Durchschnitt: das Politbüromitglied, der Hauptabteilungsleiter im Ministerium für Schwarzmetallurgie, der Referatsleiter Kinderfilm, der noch dazu ein international bedeutender Shakespeare-Forscher war. Ihm und seiner Neigung, alles in Proverbs auszudrücken, verdanken wir die schönen Zitate und Sprichwörter, die sich der auktoriale Erzähler zu eigen macht. Aber wir wissen immer noch nicht, was die Putzhilfe und der Arbeiter in der maroden Industrie dachten und taten. Immerhin wird eine kleine Luke zur industriellen Fertigung geöffnet, als die Stieftochter des Hauptabteilungsleiters, nachdem sie keinen Studienplatz erhielt, für ein Jahr in einem Weißenseer Betrieb als Kranführerin arbeitet. Dort erlebt sie die Diskrepanz zwischen der tatsächlichen Arbeit und ihrer Abbildung in den Berichten, eigentlich auch ein Sprachproblem. Um die Arbeitsnormen niedrig zu halten, wurde der Kran nur bei Kontrollen gebraucht, er verlängerte die Arbeitszeiten. Jeder wusste, dass Bauarbeiter oft tagelang biertrinkend und kartenspielend auf Material warteten.

Das faszinierende an dem Roman ist aber etwas anderes: die fast dokumentarische Breite und Tiefe der Schilderung. So wie Merkels Memoiren scheint auch dieser Ablauf aus einem – wahrscheinlich imaginären – Schreibtischkalender abgeschrieben. Während in Merkels Memoiren aber dann oft auch überlesbare Langeweile aufkommt, geht es hier spannend, unterhaltsam und zügig immer voran, sozusagen dem Ende entgegen. Von außen werden autoritäre Systeme oft als grau-in-graue Angstkäfige verstanden. Das waren sie sicher, aber die DDR war auch voller Witz und Alkohol, Nudismus und allgegenwärtigen Sex. Während nach außen das fest definierte semantische Skelett (‚antifaschistischer Schutzwall‘, ‚Klassenfeind‘, ‚Klassenkampf‘) zelebriert wurde, konnte man in den Nischen, Kneipen und Wohnstuben durchaus fröhlich sein und singen. Zudem gab es – außer in Dresden und Torgelow – überall das alternative Fernsehprogramm aus dem Westen, das technisch – im Gegensatz zu Nordkorea – nie ausgeschlossen war. Nordkorea ist so, wie die DDR – von oben gesehen – sein wollte, aber durch das westdeutsche Korrektiv nicht sein konnte. Ob das daran lag, wie der Roman unterstellt, dass Ulbricht und andere Führer lange an einer nationalbolschewistischen Entwicklung unter Einschluss der polnisch und sowjetisch besetzten Ostgebete festhielten, bleibt offen. Wenn es so wäre, dann hätten wir jedenfalls ein nationalbolschewistisches Kontinuum von Ulbricht, Schirdewan, Oelßner bis hin zur PDS, zur AfD und zu Sahra Wagenknecht. Als Erklärung reicht das natürlich nicht.

Während die Stieftochter des Hauptabteilungsleiters von diesem arg vernachlässigt (‚Pissnelke‘) wird, wird der Sohn, der ebenfalls Heinrich heißt, wie auch etwa die Hälfte der männlichen Figuren, verzärtelt und verwöhnt. Aber er verweigert sich der Anpassung und bleibt ein höchst eigenwilliges Kind. Als Jungerwachsener erwächst ihm allerdings sein opportunistisches Erbe. Er tritt in die Bauernpartei ein, die sich nach der Wiedervereinigung mit der CDU vereinigt. Allerdings scheitert er wie sein Vater am ganz großen Sprung: er wird nicht der Nachfolger des legendären Tierparkdirektors, der übrigens tatsächlich Heinrich hieß und dessen Lebensweg und Grundsätze Vorbild für den kleinen Heinrich aus dem Roman sind.

Der Hauptabteilungsleiter im Ministerium für Schwarzmetallurgie wird durchgängig als ‚Krüppel‘ oder ‚Kriegskrüppel‘ bezeichnet. Dieses Wort ist auf jeden Fall veraltet, wenn nicht diskriminierend. Schon nach dem ersten Weltkrieg, der Millionen von Menschen mit ernsthaften körperlichen Schädigungen erzeugt hatte, setzte ein Umdenken in deren Bezeichnung ein. Versehrt oder behindert schoben sich in den Vordergrund. Aber schon bald bemerkte man auch den Unterschied zwischen einem Behinderten und einem Menschen mit Behinderung. Ich sehe für den Autor drei mögliche Ausnahmen, die dem Gebot, das Wort ‚Krüppel‘ nicht mehr zu verwenden, widersprechen. Es mag sein, dass er so konservativ gegen jede wokeness ist, gegen jede Wachsamkeit gegenüber Diskriminierung. Dafür gibt es sonst in dem Text keine Belege. Es ist weiter möglich, dass das Wort als Trotzreaktion benutzt wird. Dann müsste dies aber ausdrücklich begründet sein. Schließlich kann es die Selbstbezeichnung eines Menschen mit Behinderung sein, aber dagegen spricht der fast inflationäre Gebrauch des Wortes zumindest in der ersten Hälfte des Romans.

Eine andere psychologische Studie ist die Frau des Hauptabteilungsleiters. Sie hat ihn überhaupt nur geheiratet, weil sie nicht über den Verlust des Vaters ihrer Tochter hinwegkommen konnte. Der wollte vor den Nazis fliehen, ist aber verschollen. Sie verdächtigt natürlich seinen Freund, mit dem zusammen er losging, des Verrats. Aber weder lässt sich dieser Verrat erhärten oder gar beweisen, noch taucht Jonathan je wieder auf. Sie flieht also in eine Versorgungsehe. Der Hauptabteilungsleiter seinerseits ist auch nicht von Liebe getrieben, sondern will auf andere Weise ebenfalls versorgt sein. Daran ändert auch sein Sohn Heinrich nichts, dem er sich ebenso entfremdet. Die Frau, Yvonne, flieht nun nochmals – über 750 Seiten den Romans -, in eine Welt des Konsums und des Alkohols. Sie kauft Schuhe, trinkt nachts gegen die Schlaflosigkeit, begibt sich in Sexaffären. Das alles ist auch die DDR. Nicht typisch dagegen ist ihre Freundschaft mit der Gattin des Politbüromitglieds, Rita, und dem Kinderfilmreferatsleiter Prof. Benaja Kuckuck. Das Politbüromitglied Emser, einst ein bürgerlicher Professor, kommentiert – unter ständigem Hinweis auf die notwendige Verschwiegenheit der Zuhörer – bei den gemeinsamen Essen die Politik seiner von ihm verachteten Genossen. 

Ganz anders der sonderbare Professor Kuckuck. Er feierte Triumphe als Shakespearekenner, der einst herausfand, dass Hamlet dreißig Jahre alt war, obwohl er schon an Atemnot litt. Aber er war in Großbritannien auch Mitglied der kommunistischen Partei. Deshalb erhält er im westlichen Nachkriegsdeutschland keine Professur. Das Misstrauen in Ostdeutschland begründet sich wiederum aus seinem Emigrationsort. So kann er nirgendwo an seine Erfolge anknüpfen. Er wird auf einen Versorgungsposten abgeschoben und mit der Zensur der Kinderfilme beauftragt. Schließlich, nachdem er auch endlich einen schwulen Partner gefunden hat, treibt ihn eine letzte Plage in den Tod: Alzheimer. Benaja Kuckuck, wenngleich ebenfalls nicht DDR-typisch, ist eine bemerkenswerte Studie menschlicher Möglichkeiten und Unmöglichkeiten.

Die DDR zerbröselt in diesem Buch nicht nur in den Enkelgeschichten der beteiligten Familien, sondern im Grundbuchstreit. Dreimal verschachteltes Unrecht ergibt immer noch keine Gerechtigkeit. Leider wird nicht gesagt, dass der – laut Grundbuch – rechtmäßige Besitzer der Emser-Villa diese ebenfalls unrechtmäßig einer jüdischen Familie abgejagt hatte, was man aus dem Jahr des ‚Erwerbs‘ schließen kann. Auch die Geschichte Jonathans, des Vaters von Kathinka, die den Anfang und das Ende des voluminösen Werks bildet, bleibt offen, wie im Leben eben auch manches offen bleibt. Das unterstreicht den semidokumentarischen Charakter des Romans. Das fiktive Element dagegen gibt die Spannung, die tatsächlich atemberaubend ist: man kann nicht aufhören zu lesen.

Dieser semidokumentarische Charakter scheint aber auch gleichzeitig tiefere Reflexionen zu verhindern. So wird zum Beispiel nicht weiter darüber nachgedacht, dass an den Sollbruchstellen der DDR-Geschichte 1953, 1956, 1961, 1968 und 1989 nach Meinung der Führung gar nicht ‚das Volk‘ handelte, sondern ‚vom Klassenfeind gesteuerte Elemente‘. Dieser Streit darüber, wer ‚das Volk‘ ist, hält merkwürdigerweise an. AfD und Querdenkerdemonstrationen berufen sich auf den Volksbegriff von 1989, der wiederum an 1968 und sicher auch an 1953 knüpft. Dieses Gedankenpotenzial wurde leider nicht genutzt. Das hinterlässt, bei aller Spannung und gleichbleibendem Interesse, doch auch eine Leere. Ob es zu einer Lehre hätte führen können, darüber seitenweise nachzudenken, muss offenbleiben. Was nicht offenbleibt, ist Kuckucks Vermächtnis für Ost und West und Nord und Süd: the world is not thy friend, nor the world’s law, aus Romeo und Julia 51, leider von Christoph Hein auf Seite 404 falsch zitiert.

ALTE ZEITEN. BRIEF ÜBER NANOPARTIKEL

Erstens bin ich Rentner, zweitens ist es Winter, drittens befinde ich mich seit längerem in einer grippalen Endlosschleife, so dass es gerechtfertigt ist, sich auch einmal einen völlig blödsinnigen Film anzusehen. Manchmal reizt auch das Lokalkolorit, wie zum Beispiel die am meisten fotografierte U-Bahn-Brücke Eberswalder Straße, die damals allerdings Dimitroff Straße hieß. Der Film[1], den ich heute erwischte, war aber so idiotisch, dass auch die schönen Fotografien vom Berlin vor der Mauer nicht als Trost ausreichten. Der Film ist die Mischung einer missglückten Satire und einer lächerlichen Agitation über einen äußerst dummen Westberliner Staatsanwalt. Der Film unterstellt, dass Westberlin die umgekehrte Projektion der Ostberliner Verhältnisse wäre, etwa nach der Negativformulierung der Goldenen Regel: was ich selber denk und tu, das trau ich auch andern zu.

Aber dann entdeckte ich Horst Schönemann in einer Nebenrolle. Beim nebenbei-Nachblättern sah ich, dass er als Regisseur des Dresdner Staatsschauspiels dem damals frisch eingetroffenen Jungschauspieler Ahmad M. begegnet sein kann, laut Wikipedia aber nicht in einem gemeinsamen Projekt. Aber woher kannte ich Horst Schönemann?

Als ich ein kleiner Junge war (so der Titel der Erich-Kästner-Autobiografie aus Dresden), lebte ich mit meiner Großmutter in deren Elternhaus. Ihr Vater, also mein Urgroßvater, war ein self made man aus Bellinchen an der Oder gewesen, der einst mit seiner Gitarre losgezogen war, um dem elterlichen und lehrherrlichen Wahn zu entkommen. Er wurde ein wohlhabender Malermeister in Senftenberg. Nun lebten wir bei seinem Enkel Günther Wendt, der, obwohl auch Malermeister, den Beruf und das Geschäft aufgegeben hatte, Kunstmaler, Sgraffiteur und Museumsdirektor geworden war, gemeinsam mit seiner Frau, nachdem diese aus der zehnjährigen GULAG-Haft zurückgekehrt war, ganze Ausstattungen für das Theater der Bergarbeiter[2] gefertigt hat, sie die Kostüme, er das Bühnenbild. Dieses Theater, übrigens in einem wunderschönen Bruno-Taut-Bau, war eine Art Modellbühne für das Deutsche Theater und das Maxim-Gorki-Theater in Ostberlin. Viele Biografien später berühmter DDR-Schauspieler, aber auch des Kreisredakteurs der Lausitzer Rundschau, Erwin Strittmatter, gingen durch das Wohnzimmer meines Onkels Günther. Und die angetrunkenen Gäste wankten zur Toilette durch das Atelier, in dem ich als riesige Kohlezeichnung an der Wand hing, sie war eine Vorlage für irgendeine Zeitung. Leider ist sie verloren gegangen. Damals erkannten mich die illustren Gäste auf dem Hof wieder, der heute bei Wikipedia als mustergültiges Denkmal abgebildet ist.

Beim Überfliegen der Wikipedia-Seiten fiel mir ein Film auf, an dem Sven D. als Redakteur und Ahmad M. in einer Nebenrolle mitgewirkt hatten: UNSICHTBAR, ein MDR-Tatort. Der Film ist als überladen kritisiert worden, ich finde, dass er, im Gegenteil, die Komplexität des Lebens zeigt, wobei die unsichtbaren Nano-Partikel gleichzeitig auch Metaphern für unsere Angst vor dem Verschlungenwerden sind: eines Tages werden wir perfekt verschwunden worden sein, der Traum aller Diktatoren und Geheimdienste und der Alptraum von uns armen Bürgerinnen und Bürgern. Lediglich für den Schluss hätte man noch einmal neunzig Minuten ausgeben müssen. Obwohl ich schon lange kein Fernseh- und Tatortkonsument mehr bin, war mir doch aus früherer Zeit der Name des MDR-Redakteurs aufgefallen. Was mich mit ihm verband, weiß ich nicht mehr, auch nicht die Klasse, in der er war. Jedenfalls war er eines Tages bei mir zuhause, und das Gespräch hatte meiner Erinnerung nach zwei Inhalte. Der erste Punkt war die Geschichte von der Stasi-Falle, in die ich nicht tappte. Ich war mit jener Klasse, in der Ahmad M. war, an der Müritz und wir zählten dort Graugänse und sahen uns alte Gebäude an, manche – so in Waren – waren kurz vor dem Einsturz, wie auch die Seitenkapelle einer sehr schönen Stadtkirche. In dieser Stadt kann man noch deutlich die Teilung in den einst slawischen und den dazugekommenen deutschen Teil sehen. Die Pastorin erklärte uns, dass die Rettung der Seitenkapelle gar nicht so sehr am fehlenden Material, sondern an der – wie man damals sagte – fehlenden Kapazität scheiterte: kurz, es gab keine Maurer, keine Firma und auch kein Geld. Da sagte einer der Schüler, vielleicht war es auch eine Schülerin, warum machen wir das eigentlich nicht? Einige Wochen lang wurde alles vorbereitet, eine neue Klassenfahrt beantragt, die Pastorin besorgte Quartiere, Essen und Material. Aber an dem Sonntag, nach dem es losgehen sollte, kam eine Schülerin zu mir und sagte mir, dass ihr Freund, ein Volkspolizei-Offiziersschüler, bei der Stasi sei und unsere Pläne verraten habe. Wir würden, sagte sie, ins offene Messer laufen und an der Tür zur Kapelle von den ‚Genossen‘ begrüßt werden. An diesem Sonntagnachmittag musste alles zurückgedreht werden. Die Klasse hatte einen Alarmplan mit teils telefonischer, teils persönlicher Information. Die Pastorin konnte aus – wie man damals so schön sagte – Sicherheitsgründen nicht angerufen werden, denn sie wurde garantiert abgehört, meine Schwester musste mit mir, weil ich kein Auto und keinen Führerschein hatte, in die kleine Stadt fahren, und am Montag früh musste ich dem Schulleiter meinen Fehler eingestehen. Der fand es richtig, dass ich ihm die Wahrheit sagte oder wusste er sie schon? Denn 1990 stellte sich heraus, dass auch er bei der Stasi war. Den Schülern habe ich nicht die Wahrheit gesagt. Bei der Zeugnisausgabe sagte trotzdem der Großvater eines Schülers, dass ich mich nur an ihn hätte wenden müssen, um das Unheil abzuwenden. Angeblich war er ein Stasi-General. Aber später, nach Erscheinen etlicher Handbücher suchte ich ihn vergeblich. Er stand in keiner Liste der Stasi-Generäle. Vielleicht war er beim KGB, dafürspricht, dass auch sein Enkel, mein damaliger Schüler, 1990 Deutschland verlassen hat. Ich erzählte Sven D. diese Geschichte unter der Maßgabe der Verschwiegenheit, so wie damals üblich. Aber er, wahrscheinlich der geborene Redakteur, bemerkte die Schleifspuren meiner Erzählung, was mich doch ein bisschen ritzte, obwohl es für seine Fähigkeiten sprach. Das zweite Thema kratzte noch mehr an meiner Konfidenz. Er fragte mich, warum ich eigentlich nur Lehrer an einer nicht besonders herausragenden Schule bin, um es freundlich auszudrücken. Je wortreicher meine Erklärungen waren, desto peinlicher wurden sie von Satz zu Satz. Erkläre mal deine Faulheit und Trägheit, deinen mangelnden Ehrgeiz und die Sucht nach dem schnellen Beifall! Andererseits bin ich froh, dass ich kein DDR-Schriftsteller geworden bin, auch kein DDR-Pädagoge, dass ich das gut und als Auszeichnung gemeinte Angebot zum Promovieren und Forschen abgelehnt habe, weil ich meine mittelmäßige Schule dafür verlassen und an die von Margot Honecker kontrollierte Forschungsschule der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften hätte wechseln müssen. Erst Ahmad M. erklärte mir, viel später, im vorigen Jahr nach einer Aufführung von Lessings NATHAN DER WEISE mit ihm als Titelfigur die Vergänglichkeit auch des längerfristigen Beifalls. Auch der Künstler, der das geworden ist, was er hatte werden wollen, leidet und dem Mangel an Mehr. Trotzdem hatte Sven D. damals recht. Ich habe ihn nie wiedergesehen, nur seinen Namen manchmal im Abspann von irgendwelchen Fernsehfilmen. Aber sind nicht die beiden und zum Glück noch einige andere die lebenden Beweise dafür, dass es nicht schlecht ist, wenn an einer, wie ich damals gerne sagte, gewöhnlichen Dorfschule gute Lehrer sind, denn ich war nicht der einzige. Auch nach der Wiedervereinigung konnten wir noch gut zwei Jahrzehnte den humanen genius loci unserer Schule beibehalten, dann fielen wir dem Versetzungs- und Verschiebewahn der eher unfähigen Berliner Schulverwaltung zum Opfer. Der Preis dafür war aber ein wunderschöner Schulneubau von Reimar Herbst[3], ein Beispiel für das Theseus-Paradoxon: es wird so lange repariert und reformiert, bis nichts mehr da ist.      


[1] Fackelträger, DEFA 1957

[2] jetzt Neue Bühne Senftenberg

[3] damals Seniorchef von herbst architekten