WEIHNACHTS- UND NEUJAHRSBRIEF

2023/2024

Im vorvorigen Jahr hatten wir die nächste, im vorigen Jahr die übernächste Flüchtlingskrise. Und obwohl in der Politik heftig gestritten wurde, hat sich das WIRSINDDASVOLK-Volk beruhigt. Vielleicht ist es durch den Ukraine-Krieg oder die Inflation abgelenkt. Die Klimakrise wurde durch das Heizungsgesetz zugeschüttet oder sogar eskamotiert, so wie die Bauern ihren sicheren Untergang durch den Wegfall von durchschnittlich knapp 3000 € pro Jahr und Hof Dieselsubvention projizieren. Der Vergleich mit den Klimaklebern drängt sich auf. Über allem schwebt die Krise der schwächsten Regierung nach Ludwig Erhard als Kanzler, Kohl IV und Merkel IV. Allerdings steht sie vor weitaus größeren Herausforderungen als diese drei schlechten Regierungen. Jetzt rächt sich, was alles gedanken- und gewissenlos versäumt oder dummerweise zugestanden wurde. Mich wundert, dass sich, obwohl die Marke Deutschland im Sturm der Weltgeschichte wackelt, wenn nicht kippelt, kein Politiker, Wissenschaftler oder Dichter findet, der sagt: so jetzt fangen wir neu an, und zwar unten. Die Subvention für den Agrardiesel, die Dienstwagenpauschale oder das Ehegattensplitting sind ganz oben. Sie sind nur ein Sparpotential und keine Vision. Unten dagegen sind die Kinder, von denen ein inzwischen beträchtlicher Teil, der migrantische und anderweitig bildungsferne, zunächst Förderbedarf hat, dann aber zur Hoffnung und zu Mitarbeitern an den Visionen aufsteigt. LASST UNS ENDLICH NICHT MEHR ÜBER DIE HERKUNFT DIESER KINDER SCHWAFELN, SONDERN ÜBER IHRE ZUKUNFT REDEN. Fachkräfte wachsen nicht auf den Bäumen oder fliegen durch die Luft in die geöffneten Münder der vergreisten Nationen, sondern müssen gefördert und ausgebildet werden. Ich erinnere an Uğur Şahin, der von der Schule schon als nicht beachtenswertes Migrantenkind abgestempelt und abgetan war, aber ein Nachbar setzte sich dafür ein, dass er doch noch aufs Gymnasium konnte. Saša Stanišić dagegen wurde von seinem Deutschlehrer entdeckt, ermutigt und gefördert. Wer jetzt nicht weiß, wer Uğur Şahin und Saša Stanišić ist, gehört in die Gruppe von Lindner und Merz bis Söder und Scholz, die nicht verstanden haben, wie man Zukunft macht, die überhaupt keine Macher, sondern nur Schwätzer sind. Noch schlimmer sind allerdings Wagenknecht, Weidel, Maaßen und Aiwanger, die wissentlich das Falsche sagen, weil ihre Wähler das hören wollen. Was wir nicht hören wollen, ist, dass Entwicklung unten anfängt: bei der Bildung, beim Schienennetz und bei der Kommunikation. Schon, wenn wir diese Erneuerung von unten auf begönnen, würde sich die Strahlkraft der Demokratie erhöhen. Je perfekter die Demokratie ist, desto mehr kann sie durch reine Bürokratie ersetzt werden. Je mehr die Demokratie aber durch die Bürokratie am Laufen gehalten wird, desto mehr Anhänger verliert sie. Vielen Menschen fehlt einfach ein Gesicht des Staates. Der Diskurs braucht keine Führer, aber wir Menschen lieben Gesichter. Fast fällt einem der alte Slogan aus dem Prager Frühling ein: Sozialismus mit menschlichem Antlitz. Der gelebte Sozialismus war unmenschlich, aber der Demokratie fehlt das Gesicht. Merkels Spottname ‚Mutti‘ war ein Ausdruck dessen, obwohl er anders gemeint war. Die bemerkenswerte Gesichts-, Geschichts-, Gedächtnis- und Sprachlosigkeit von Scholz verstärkt nur das Desaster der Demokratie: wenn alles schon geregelt ist, worüber soll man dann reden oder gar abstimmen. Ob nicht diese fatale Sehnsucht nach Autokraten in Wirklichkeit die Sehnsucht nach dem Gesicht ist? Dafür spricht Selenskyj, der Präsident, der sich jeden Tag an sein langsam ermüdendes Volk wendet und mindestens einmal in der Woche an der Front ist. Dagegen lässt Putin sich durch seine Propagandisten vertreten, auch in dem Punkt Hitler ähnlich, der nach Stalingrad nicht mehr in der Öffentlichkeit aufgetreten ist. Die bösen Staaten China, Russland, Iran, Nordkorea halten an einer voraufgeklärten, sozialdarwinistischen, auf dem vermeintlichen Recht des Stärkeren beruhenden Staatsraison fest, Russland kann man nur zynisch zuraunen: dann muss man aber auch der Stärkere sein. Aber wir bleiben bei unserer felsenfesten Ansicht: das Böse kann und wird nicht gewinnen.  Ich weiß, dass das kein Brief, sondern ein Aufschrei ist. Auch mein Optimismus ist ins Wanken geraten, aber er behauptet sich.

Alles Gute im hoffentlich besseren Jahr 2024.

rst moor