EMMA ROSENBAUMs MENSCHENKNÄUEL BRINGT DIE PAPPELN ZUM SCHWEIGEN

Obwohl in Jana Franke-Freys Roman ‚Emma Rosenbaum‘ eine Familiengeschichte erzählt wird, ist das Buch keine neue Fortsetzungssaga und schon gar keine daily-soap-Vorlage. Vielmehr hat der lange Landaufenthalt der Autorin, der Abstand zu der Stadt, in der die Familie des Buches einst agierte, einen Filter gesetzt, der uns langwierige Handlungen über lange Zeiträume, ein Familiengeheimnis gar, das mit allen Staatssystemen kollidierte, erspart. Das aufklärerische Moment eines Entwicklungsromans ist auch nicht die tragende Säule dieses interessanten Buches, denn die Protagonistin Emma Rosenbaum fühlt sich in der Vergangenheit wohl, ohne sie zu verklären. Ein ironischer Schleier von Metaphern, die in Aphorismen und manchmal sogar in Gedichte übergehen und dann beginnen, ein Gitternetz von Befindlichkeiten zu konstruieren: ‚Niemand weiß, wie die Vergangenheit mit Sauerstoff reagiert…‘, heißt es da, jedoch wird es immer klarer, dass die Vergangenheit, ans Licht und in den Sauerstoff gezerrt, nicht leidet, sondern wieder Leben produziert. Das ist das erste konstruktive Element des Buches: zerstreutes und gefiltertes Leben wurde in Sätze gegossen, für die einem sofort das schöne alte Wort ‚Bonmots‘ einfällt. Statt zu behaupten: so ist es gewesen, zeigt uns das Buch ‚dieses übergangslose Vergessen, das wie ein Hochwasser mit jeder Sekunde steigt‘. [S.127]. Und so gesehen ist der Roman eine Hilfe für die in ihren Erinnerungen Ertrinkenden. Zwei große Themen der Vergangenheit fallen wie Steine ins Wasser und ziehen Kreise um sich: die Nazizeit aus der Sicht einer jüdischen Familie, die sich mit der Verbastelung von Verletzungen und Amputationen beschäftigt. Beinprothesen und Glasaugen werden zu verbitterten Substituten und tapferen Metaphern. Und gerade an diesen äußeren und inneren Vernarbungen wird gezeigt, dass der Schmerz nichts weiter ist, ‚als ein Trichter mit zu enger Tülle‘ [S.98]. Der Versuch, diese Vergangenheit sozusagen an einem winzigen Zipfel aus dem Moor der Erinnerungssuppe zu ziehen, zeigt uns, wie schnell und gewollt Vergessen geht. Der Zipfel ist kaum noch fassbar. Das andere große Thema wird dagegen plastischer, weil es in uns auch plastischer ist: die frühe DDR, selbst für diejenigen, denen sie nicht in der Familiengeschichte als Gespenst erscheint.

Das zweite konstruktive Element des Romans sind die Personen, ist ein Kaleidoskop von personellen Bauelementen mit sprechenden, flüsternden oder schwatzenden Namen. In jedem Leben wie in jedem Roman gibt es eine Vielzahl von Personen und Protagonisten. Hier erscheinen sie wie ein Baukasten, ohne dass die alte Frage aufgeworfen wird, ob der Baukasten von vornherein Sinn macht oder nachgerade Zufall ist. Besonders im ersten Teil fällt es etwas schwerer, diese beinahe impressionistische Komposition zu verstehen. Selbst die Pappeln werden aufgefordert sich zu kompostieren [S. 97]. Vielleicht liegt es daran, dass man doch eine Saga oder einen Entwicklungshelden erwartet. Beides gibt es erfreulicherweise nicht, um etwas Neues hervorzubringen: ein manchmal bis ins Clowneske getriebenes, aber doch erstaunlich sinnvolles Kaleidoskop. Seinen Sinn erhält es nur durch die auf zweihundert Seiten festgehaltene einmalige Sicht, und diese Sicht sagt uns: du musst deine Sicht auf dein Kaleidoskop finden, du kannst es drehen und wenden, aber wenn du ausgewählt bist, dann nur dazu, in deinem Kaleidoskop zu kugeln und dich zu finden. Das ist schon eine große Sache.

Und so wird diese kleine Ostberliner Welt noch einmal gespiegelt, nämlich aus einem Kinderzimmer. Die Puppen erzählen die Weltgeschichte, und wem kommt dabei nicht der Gedanke, dass wir nur Marionetten in wessen? Händen seien? Dass die Pubertät die Pforte zu einer Welt ist, die wir weder wollen noch meiden, ist jedem klar, aber einen mutigen Roman über diese Pforte auf die Tür des Kinderzimmers zu schreiben, ist ein Kunststück. Aber sieht die Welt nicht aus wie ein Kinderzimmer? Die Puppen, die gerade erzählten, liegen nun achtlos weggeworfen. Das Kaleidoskop ist zerbrochen. Die Eisenbahn ist stillgelegt. Erinnerungen verkamen zu Lametta, aber das Lametta ist Erinnerung. Die Brotkrumen einer Saga liegen unter dem Tisch. Aber da ist ja Emma Rosenbaum mit ihren Vierwortbefehlssätzen, die sie von ihrer Mutter geerbt und an ihre Tochter weitergegeben hat: Spiel nicht mit Brot. Spiel ist Lebensabbild, auch für diejenigen, die in der Wirklichkeit ankommen wollten.

Der vierte Baustein ist diese Kette von Frauen, die Familiengeschichten ohne die blauen Glasaugen und mit beiden Beinen im Leben. Es ist eine die Geschichte über das vermeintlich universell Weibliche [S. 113], aber tatsächlich über das feminine Universum. Zwar werden auch die Berührungspunkte zwischen Männern und Frauen berührt und beschrieben, aber, und das könnte das Wort sein, das  wie ein Dietrich funktioniert [S.108], es ist weder der Versuch unternommen worden, die beiden Welten zu versöhnen, noch sie zu vermanschen. Emma Rosenbaum ist ein Gegenentwurf, nicht etwa zum Leben, sondern zur ständigen Vermännlichung der Geschichten. Dabei kommt das Buch ohne feministische Klischees und gar Ermahnungen aus. Es ist überhaupt nicht didaktisch, man soll nicht lernen, aber man kann lernen, wenn man will und kann.

Äußerst klar treten Frühgeschichten eines untergegangenen Landes hervor. Das FDJ-Hemd wird umgenäht, ein Kind fällt von einer menschlichen Pyramide des konstruierten Internationalismus auf den Platz vor Wilhelm Pieck, der schon allein mit seinem Namen die Kontinuität Ostdeutschlands sowohl im Roman als auch in der Wirklichkeit verbürgt. Vielleicht war sogar Wilhelm Pieck der Bonus, den Ulbricht und Honecker dann verspielten. Aber nie geht es in ‚Emma Rosenbaum‘ um Geschichte um der Geschichte willen. Es geht um Geschichten, die Menschen passieren, die mit einem Spielzeug in der Hand noch mit einem Bein – das andere ist aus Holz und mit Schnitzereien verziert – in ihrem Kinderzimmer stehen. Vielleicht bedauern sie, dass sie die nachfolgende Welt nicht mit den Augen ihrer Mutter sehen konnten. Aber vielleicht war ihre Mutter auch ein allzugetreues Abbild männlicher Welten, die sie in Vierwortbefehlen kopierte.

Nach dem Lesen dieses sehr poetischen Romans muss man nicht die Welt besser verstehen, aber vielleicht versteht man, dass ein Kaleidoskop etwa so genau ist wie ein Horoskop, und dass der Horror der Geschichte in der Familie durch Liebe abgedämpft werden kann. Vielleicht ist Liebe eine Erfindung der Frauen, meint Emma Rosenbaum. So gesehen handelt das Buch vom wahren Leben und nicht vom ‚Zerbrechen der Bügelfalten‘ [S.92].      

Jana Franke-Frey, Emma Rosenbaum, Roman, VogelsangVerlag Wallmow 2014, ISBN 978-3-939196-05-1,

191 Seiten, 16,80 €

Ein Gedanke zu “EMMA ROSENBAUMs MENSCHENKNÄUEL BRINGT DIE PAPPELN ZUM SCHWEIGEN

  1. Im Drama der Seele
    wo ich nicht der Autor bin
    eine Nebenrolle
    im Traum
    zu spielen habe

    das sich ereignende
    in einer Auseinandersetzung
    im Zwiegespräch
    mit mir
    in Erfahrung
    zu bringen

    die Arbeit
    zu neuer Einsicht
    der Versuch
    mir der Bedeutung
    der Wirklichkeit
    der Seele
    in ihrer Darlegung
    dessen bewusst
    zu machen

    ob ich dem will
    oder nicht

    Erinnerungen steigen
    quer durch
    die Gedankenwelt
    in mir auf

    Träume
    Erinnerungen
    und Gedanken
    sind die Vorlage
    für das Verständnis
    der Beziehung
    des Menschen
    von Innenwelt
    und Aussenwelt
    zur Welt

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